Das Drama um den Bundespräsidenten. Selbst Parteifreunde rücken von Christian Wulff ab. Doch er schweigt weiter
Hamburg. Der Rückhalt für Bundespräsident Christian Wulff schwindet spürbar. Nach Bekanntwerden von Drohanrufen bei Journalisten in der Kreditaffäre sprangen dem angeschlagenen Staatsoberhaupt gestern weder Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch andere Mitglieder der Bundesregierung bei. Aus der Unions-Fraktion hieß es, es sei die ureigenste Sache Wulffs, selbst für Klarheit zu sorgen. Man wisse im Moment nicht mehr, wie man Wulff verteidigen solle.
Aus Sicht der SPD kann Wulff sein Amt nicht mehr unbefangen ausüben. SPD-Chef Sigmar Gabriel schrieb am Abend auf seiner Facebook-Seite, der Präsident erwecke den Eindruck, dass er seinem Amt nicht gewachsen sei. Ähnlich äußerten sich die Grünen. Die Linke forderte seinen Rücktritt. Doch Wulff schweigt zu den Vorwürfen.
Unterdessen wird seine Glaubwürdigkeit weiter erschüttert. Dem Abendblatt liegt ein Schreiben Wulffs vom 17. Februar 2010 an einen Bürger vor, in dem er versprach, künftig keine Angebote mehr annehmen zu wollen, die ihm persönliche Vorteile verschaffen würden. Zuvor war bekannt geworden, dass er bei einem Urlaubsflug mit Air Berlin in der Businessclass gereist war, obwohl er nur Economy gebucht und bezahlt hatte.
Nur einen Tag nachdem der damalige niedersächsische Ministerpräsident diesen Brief an den Bürger verschickt hatte, antwortete er im Landtag auf eine mündliche Anfrage, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer Egon Geerkens keine geschäftlichen Beziehungen gegeben habe. Am 21. März desselben Jahres löste er dann seinen ohnehin schon günstigen Privatkredit der Unternehmergattin Edith Geerkens in Höhe von 500 000 Euro durch ein Darlehen der staatlichen BW-Bank ab. Die Zinsen sollen 0,9 bis 2,1 Prozent betragen haben - um die Hälfte niedriger als bei der Immobilienfinanzierung normaler Kunden.
Eine neue Dimension erhielt die Debatte um Wulffs Finanzen, als bekannt wurde, dass der Bundespräsident persönlich durch einen Anruf bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann versucht hat, die erste Veröffentlichung der Zeitung zu den Krediten am 13. Dezember zu verhindern. Bei Springer-Chef Mathias Döpfner intervenierte er ebenfalls erfolglos. Wie gestern bekannt wurde, hatte Wulff bereits im vergangenen Sommer versucht, einen ihm unliebsamen Artikel in der "Welt am Sonntag" über seine Familiengeschichte zu verhindern. Ein Redakteur wurde deshalb sogar ins Schloss Bellevue zitiert. Der Präsident wandte sich auch damals an "höchste Verlagsstellen", so der Chefredakteur der "Welt"-Gruppe, Jan-Eric Peters. Doch Wulff hatte keinen Erfolg: Der Bericht wurde gedruckt.
Im Zusammenhang mit dem Mobilbox-Anruf bei "Bild"-Chefredakteur Diekmann prüft die Berliner Staatsanwaltschaft eine Anzeige gegen Wulff wegen des Verdachts der Nötigung. Bei der Staatsanwaltschaft Hannover liegen mittlerweile mehr als 20 Anzeigen im Zusammenhang mit dem Privatkredit vor. Strafanzeigen sind jederzeit möglich, jeder Bürger kann sie erstatten.
Wie der "Stern" berichtet, soll sich Wulff als Ministerpräsident auch an der Sponsorensuche für eine private Veranstaltung beteiligt haben. Danach machten Wulff und die Staatskanzlei den Hannoveraner Versicherungskonzern Talanx und den Touristikkonzern TUI auf eine Veranstaltung des Eventmanagers Manfred Schmidt aufmerksam. Beide Firmen unterstützten daraufhin den "Nord-Süd-Dialog" mit mehreren Zehntausend Euro. Gegen Olaf Glaeseker, den Wulff vor knapp zwei Wochen überraschend als Sprecher entließ, prüft die Staatsanwaltschaft Hannover derweil einen Anfangsverdacht auf Vorteilsnahme. Er soll ab 2008 zusammen mit seiner Frau dreimal in Auslandsquartieren des Eventmanagers Schmidt gratis Urlaub gemacht haben.
Eine Sprecherin Wulffs erklärte, das Staatsoberhaupt werde heute regulär seine Arbeit im Schloss Bellevue wieder aufnehmen. Am Freitag hat er seinen ersten öffentlichen Termin - und empfängt Sternsinger.