Die höchsten Kirchenmänner gehen aufeinander los. Bei den Regensburger Domspatzen sind neue Vorwürfe aufgetaucht.
Regensburg. Im Bistum Regensburg hat es in den fünfziger bis siebziger Jahren weitere sieben Missbrauchsfälle gegeben. Der aktuellste Fall stammt aus dem Jahr 1975, wie der Pressesprecher des Bistums, Clemens Neck, mitteilte.
Insgesamt seien neue Vorwürfe gegen sechs noch lebende Personen erhoben worden: einen Pfarrer, zwei Ordensgeistliche, einen ehemaligen Ordensmann und zwei Ordensschwestern.
Unter den Opfern, die sich bei der für sexuellen Missbrauch zuständigen Beauftragten des Bistums, Birgit Böhm, meldeten, sind laut Neck auch zwei ehemalige Domspatzen. Sie berichteten über sexuelle Übergriffe durch eine studentische Hilfskraft und späteren Geistlichen aus den sechziger oder siebziger Jahren sowie 1969 oder 1970. In diesen Fällen ermittele inzwischen die Staatsanwaltschaft, sagte Neck.
Ebenfalls gemeldet hätten sich drei neue Opfer von zwei bereits verurteilten Geistlichen. Allerdings hätten zwei davon den Weg über die Medien gesucht, nur ein Geschädigter habe sich direkt an Birgit Böhm gewandt. Sie beschuldigten demnach unter anderem Georg Z., der 1959 acht Monate Direktor der Domspatzen war.
Allerdings seien für diesen Zeitraum bisher keine Straftaten nachgewiesen worden, erklärte Neck. Z. sei 1969 vom Landgericht Weiden zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt worden, weil er sich in dem von ihm gegründeten Jugendmusikcorps in Eslarn an Knaben und Jugendlichen vergangen hatte.
Böhm sagte, in den vergangenen Wochen hätten sich „sehr viele“ Menschen bei ihr gemeldet, um über Übergriffe zu berichten. Allerdings hätten es die meisten bei unkonkreten Andeutungen belassen. „Die Menschen nehmen oft sehr vorsichtig Kontakt auf, sie überlegen aus Ängsten und Misstrauen heraus genau, ob sie etwas sagen“, erzählte Böhm. Zum Teil seien die Opfer auch nicht mehr sicher, wie ihre Peiniger hießen. „In diesem Fall unterstütze ich sie mit Namenslisten und Fotos.“ Der Großteil der Vorwürfe von Körperverletzung beziehe sich auf das Grundschulinternat in Etterzhausen, aus dem auch Domspatzen rekrutiert würden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüße, dass der Papst Fragen der Wiedergutmachung und der Prävention offen angesprochen habe, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Die Opfer und die Gesellschaft bräuchten „Wahrheit und Klarheit“ bei der Aufarbeitung. Grünen-Chefin Claudia Roth ist über die Reaktion des Papstes auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche tief enttäuscht. Es sei bedauerlich, dass der Papst in seinem Hirtenbrief nicht ausdrücklich auch den Missbrauch durch katholische Geistliche in Deutschland angesprochen habe. „Das ist ein schwerer Fehler, den das Oberhaupt der katholischen Kirche begeht“, sagte Roth. Auch werde in dem Hirtenbrief des Papstes die Vertuschung der Straftaten durch die Kirchenhierarchie nicht in den Mittelpunkt gerückt.
Unterdessen hat sich der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller mit seiner Medienschelte scharfe Kritik aus den Reihen der katholische Kirche eingehandelt. Am Montag distanzierte sich der römische Kurienkardinal Walter Kasper von den Äußerungen des Regensburger Bischofs. Dem Bayerischen Rundfunk sagte Kasper, die katholische Kirche solle nicht mit dem Finger auf andere zeigen. „Wir sollen unser eigenes Haus in Ordnung bringem."
Müller hatte im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen heftige Medienschelte betrieben und von einer „Kampagne gegen die Kirche“ gesprochen. Journalisten, die über die Fälle bei den Regensburger Domspatzen berichten, warf Müller „kriminelle Energie“ vor. In einer Predigt im Regensburger Dom soll Müller die Berichterstattung auch in die Nähe der Nazipropaganda gerückt haben. Dafür war Müller parteiübergreifend von verschiedenen Politikern scharf kritisiert worden.
Auch der Vorsitzende des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Alois Glück, distanzierte sich von einem Nazi-Vergleich. Dieser werde „der Situation der Kirche in der Nazizeit nicht gerecht“, meinte der ehemalige CSU-Politiker im WDR-Hörfunk. „Und wir müssen uns darauf konzentrieren, dass hier unsere Hausaufgaben gemacht werden in der katholischen Kirche.“
Der emeritierte katholische Theologieprofessor Hermann Häring (Tübingen) hat den Hirtenbrief des Papstes als unzureichend kritisiert. Entscheidende Fragen würden darin nicht angesprochen, sagte Häring der in Ulm erscheinenden Südwestpresse. „Vergessen sind die Fragen einer grundlegenden Strukturreform. Die katholische Kirche praktiziert immer noch autoritäre Machtverhältnisse“, kritisierte Häring.
Auch in der evangelischen Kirche im Rheinland hat es offenbar in der Vergangenheit zahlreiche Missbrauchsfälle gegeben. Vizepräses Petra Bosse-Huber berichtete, in den vergangenen Wochen hätten sich neun Männer und Frauen gemeldet, die von körperlicher Gewalt und Erniedrigungen in kirchlichen Einrichtungen im Rheinland berichtet hätten. Die Vorfälle sollen 30 bis 50 Jahre zurückliegen und sich in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ereignet haben. (abendblatt.de/apn/dpa/epd)