Der Papst hat sich in einem Hirtenbrief an die irischen Katholiken für den Missbrauch an Kindern in ihren Gemeinden entschuldigt.
Der Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI. wurde mit großer Spannung erwartet. Doch die hohen Erwartungen hat er nur zum Teil erfüllt. Bei den irischen Katholiken hat er sich für den Missbrauch an Kindern und Jugendlichen in irischen Gemeinden entschuldigt. Die Missbrauchsfälle in Deutschland hat er dabei nicht erwähnt. Doch Vatikansprecher Federico Lombardi ließ mit seiner Bemerkung, Benedikt XVI. werde einen "angemessenen Weg finden, um auch auf die deutsche Situation Bezug zu nehmen", Raum für Spekulationen auf weitere Briefe.
In seinem am vergangenen Sonnabend veröffentlichten Hirtenbrief an die von Sexskandalen erschütterte irische Kirche hatte der Papst zwar "Scham und Reue", bekundet, war aber eben mit keiner Silbe auf vergleichbare Fälle in seiner Heimat eingegangen. Lombardi beließ es zunächst bei dem Hinweis, dass das Kirchenoberhaupt die deutschen Bischöfe in ihrem Krisenmanagement unterstütze; mit dieser Botschaft war der Vorsitzende des deutschen Episkopats, Erzbischof Robert Zollitsch, von einer Audienz bei Benedikt zurückgekehrt. Offenbar warte Benedikt XVI. das Ergebnis der Ermittlungen ab, die gegenwärtig in allen 27 deutschen Diözesen geführt werden. Geprüft werden 250 Verdachtsfälle, darunter einer aus der Amtszeit von Joseph Ratzinger als Erzbischof von München und Freising.
Zollitsch interpretierte die "klare Weisung" des Papstes, der Perspektive der Opfer sexueller Verfehlungen von Priestern und Ordensleuten Vorrang vor allen anderen Überlegungen zu geben und für eine lückenlose Aufklärung zu sorgen, auch als Mahnung "an uns". Der Skandal sexuellen Missbrauchs sei kein bloßes irisches Problem, er sei ein Skandal der Kirche an vielen Orten, "und er ist der Skandal der Kirche in Deutschland". Im "Focus" gibt Zollitsch zu, dass es auch hierzulande zu "bewusster Vertuschung" gekommen sei. Seit Jahren jedoch steuere die Kirche "den entgegengesetzten Kurs". Gewürdigt wurde das päpstliche Dokument auch vom Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück. Als wichtige Kriterien für weitere Beratungen nannte Glück eine bessere Auswahl der Priesteramtskandidaten, mehr Transparenz und Offenheit.
Auszüge aus dem Hirtenbrief des Papstes
Damit ist aber die Diskussion über das Verhalten des Papstes und das ausgebliebene Wort zu Deutschland nicht gestoppt. Enttäuscht über den Inhalt des Briefes zeigte sich der Sprecher der amtskirchenkritischen Bewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner. Der Text erwecke den Eindruck, es gehe seinem Verfasser hauptsächlich um das Ansehen der Kirche. Das werde die Autorität des Papstes nicht erhöhen. Weisner vermisst eine Auseinandersetzung mit der Zölibatsfrage und der kirchlichen Sexuallehre. Dass der Papst sich auf das irische Problem konzentrierte, ist jedoch für Weisner "alles in allem akzeptabel", denn die irische Situation sei "viel dramatischer" als die deutsche; für Irland sind vatikanische Ermittlungskommissionen angekündigt, für Deutschland ist das nicht der Fall.
Entschieden verteidigt wurde Benedikt XVI. vom Trierer Bischof Stephan Ackermann. Er wundere sich nicht darüber, dass die Missbrauchsfälle in Deutschland im Brief nicht erwähnt würden, erklärte Ackermann, der als Sonderbeauftragte für die Aufklärung der Skandale eingesetzt wurde. Die Zölibatsdiskussion bleibt dem deutschen Episkopat freilich nicht erspart. Sie wird - ebenfalls eine Folge der Sexskandale - von Theologen wie Hans Küng und von katholischen Laien- und Jugendorganisationen vorangetrieben. Selbst aus den Reihen der Bischöfe kommen Rufe nach mehr "Fantasie und mehr Großmut" in dieser Frage, zum Beispiel vom Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Man könne aber den Zölibat nicht für die Missbrauchsfälle in der Kirche verantwortlich machen, so Jaschke. Der Hirtenbrief habe ihn zu Tränen gerührt, sagte er gestern dem Abendblatt. "Der Papst hat in seinem Brief einen Ton getroffen, der zu Herzen geht. Ich habe Tränen des Mitleids für die Opfer gefühlt und Tränen der Wut darüber, dass so etwas in der Kirche passiert." Das Gleiche gelte natürlich auch für die Kirche in Deutschland: "Ich bin sicher, der Papst wird sich genauso klar äußern, wenn wir ein einigermaßen vollständiges Bild von den Fällen hier haben."
Vorrangig für die deutschen Bischöfe ist im Moment, dem päpstlichen Aufruf zu folgen und bei Fällen von sexuellem Missbrauch eng mit der staatlichen Justiz zusammenzuarbeiten sowie die kirchenrechtlichen Normen kontinuierlich zu überarbeiten. Mit der Forderung nach Aufnahme einer Meldepflicht bei Verdacht auf Missbrauch in die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) haben die bayerischen Oberhirten schon einen Anfang gemacht und den Episkopat in Zugzwang gesetzt. Ihr Vorsitzender, Erzbischof Reinhard Marx, wurde dafür von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gelobt. Der DBK-Vorsitzende Zollitsch hingegen sieht eine Meldepflicht kritisch. Für die Kirche, darauf wurde vom Kölner Erzbistum hingewiesen, gilt noch ein weiteres, nämlich innerkirchliches Recht, es relativiere das staatliche in keiner Weise und sei ihm auch nicht vorgeordnet. Es lege aber strengere Maßstäbe an als das weltliche Recht. Wegen der Unabhängigkeit von staatlichen Strafverfahren ermögliche es das Kirchenrecht sogar, Taten disziplinarisch zu verfolgen, auch wenn die Staatsanwaltschaft kein Verfahren eröffne oder es einstelle. Dazu komme eine weitere Abweichung vom staatlichen Recht: In Einzelfällen könne sogar die Verjährung ganz ausgesetzt werden, eine kirchliche Strafverfolgung bleibe somit auch noch nach zehn Jahren möglich. Ob die kirchlichen Autoritäten dieses Recht immer ausgeschöpft haben, diese Frage ist auch nach der Diskussion um den Papst-Brief nicht zufriedenstellend beantwortet.