Die Spirale sinkender Einnahmen und steigender Sozialausgaben führt in der Krise zu einem Defizit in Rekordhöhe.
Köln. Die Länder haben es gut: Sie können mit einem Veto im Bundesrat drohen, um zumindest einen teilweisen Ausgleich für ihre Steuerausfälle zu erreichen. Die deutschen Städte, die finanziell am Abgrund stehen, haben kein solches Instrument in der Hand. Ihnen bleiben nur Proteste wie vor wenigen Tagen in Düsseldorf, Verfassungsklagen oder eben öffentliche Appelle.
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Stephan Articus, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, hat sich zum Jahresende mit einem verzweifelten Hilferuf an Bund und Länder gewandt. „Die derzeitige Finanzmisere der Kommunen ist beispiellos in der Nachkriegsgeschichte“, sagt er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur DAPD. In Wuppertal sollen Schwimmbäder, Schulen und das Stadttheater geschlossen werden; Oberhausen wird für überschuldet erklärt und darf keine Auszubildenden mehr einstellen. Doch die beiden Beispiele sind nur die Spitze des Eisbergs.
Articus spricht von einem Teufelskreis: Die Kommunen werden in der Wirtschaftskrise schier erdrückt von der Spirale rapide sinkender Einnahmen vor allem bei der Gewerbesteuer und seit Jahren steigender Sozialausgaben. Nachdem sich die Finanzlage der ohnehin hoch verschuldeten Städte von 2006 bis 2008 endlich ein wenig verbessert habe, stehe sie in diesem und erst recht im nächsten Jahr wieder vor einem regelrechten Absturz. Der Saldo zwischen Einnahmen und Ausgaben wird 2009 trotz aller Sparprogramme um deutlich mehr als zehn Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr einbrechen.
Für 2010 wird mit einem Rekorddefizit von mehr als elf Milliarden Euro gerechnet, das noch das bisher schlechteste Jahr für die Kommunen 2003 mit bundesweit 8,3 Milliarden übertrifft. Ein deutliches Krisenzeichen sind auch die auf sage und schreibe 33,8 Milliarden Euro angewachsenen Kassenkredite, die eigentlich nur zur Überbrückung kurzfristiger finanzieller Engpässe in Anspruch genommen werden dürfen. Sie entsprechen in etwa dem Überziehungskredit von Privatpersonen und liegen laut Articus damit mehr als fünf Mal so hoch wie vor zehn Jahren. Die bittere Wahrheit: Viele Städte können selbst ihre laufenden Ausgaben nur noch auf Pump finanzieren.
Die Gründe liegen auf der Hand. Zum einen lässt die schwere Wirtschaftskrise die Einnahmen massiv einbrechen. So sinkt vor allem das Aufkommen der Gewerbesteuer als Haupteinnahmequelle der Kommunen in diesem Jahr um mehr als fünf Milliarden Euro. Weitere zwei Milliarden minus sind beim Gemeindeanteil an der Einkommensteuer zu verkraften. Insgesamt sinken die Steuereinnahmen der deutschen Städte und Gemeinden in diesem Jahr um mehr als sieben Milliarden Euro.
Auf der anderen Seite steigen seit Jahren die Sozialausgaben der Kommunen. Seit Wiederherstellung der deutschen Einheit haben sie sich von 22 Milliarden auf rund 40 Milliarden fast verdoppelt. Die steigende Arbeitslosigkeit lässt in der Krise vor allem die den Städten und Gemeinden obliegenden Kosten für die Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern nach oben schnellen: Abzüglich der finanziellen Beteiligung des Bundes verbleiben den Kommunen dafür in diesem Jahr Kosten von 10,2 und 2010 voraussichtlich sogar 11 Milliarden Euro.
Statt der versprochenen Entlastung der Städte bedeutet dies eine Kostensteigerung von 2,3 Milliarden Euro seit Einführung von Hartz IV. Der Bund müsse sich angemessen am Anstieg der Wohnungskosten für Langzeitarbeitslose beteiligen, fordert Articus. Die bisherige Berechnungsformel habe sich als untauglich erwiesen, wie die vom Bund geplante Kürzung seiner Kostenerstattung für die Unterbringung von Hartz-IV-Empfängern zeige. Aber auch Sozialhilfe, Jugendhilfe, Grundsicherung im Alter und Eingliederungshilfe für Behinderte tragen dazu bei, dass die Kommunen mittlerweile rund ein Viertel ihrer Ausgaben für soziale Zwecke ausgeben müssen.
Articus nennt eine erschreckende Zahl: Gegenüber den 1970er Jahren hat sich der Anteil der Sozialausgaben sogar verfünffacht, während sich der für kommunale Investitionen um zwei Drittel verringerte. Von den Investitionen der Städte aber leben sehr stark das Handwerk und die lokale Wirtschaft. Auch seien sie nötig, um die Städte für Bürger wie auch Unternehmen attraktiv zu erhalten.
Noch läuft allerdings das zum Jahresanfang verabschiedete Konjunkturprogramm II mit dem Schwerpunkt auf kommunale Investitionen. Insgesamt 13,3 Milliarden Euro fließen vor allem an Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser, etwa für energetische Modernisierungen. Projekte über 11 Milliarden sind Articus zufolge bereits auf den Weg gebracht.
Und auch beim Ausbau der Kinderbetreuung haben die Städte nach seinen Angaben viel geleistet: Für gut 15 Prozent der unter Dreijährigen in Westdeutschland stehen jetzt Plätze bereit, in einer Reihe Großstädte für deutlich mehr als 20 Prozent. Aber, um den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bis 2013 zu verwirklichen, sind laut Articus noch gewaltige Anstrengungen nötig. Und die könnten die Städte aufgrund der Finanzmisere nicht ohne weitere Finanzhilfen bewältigen. Erste Kommunen haben inzwischen schon Klage auf Kostenerstattung eingereicht.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags fordert eine Senkung der an Bund und Länder abzuführenden Gewerbesteuerumlage und eine Entlastung bei den Sozialausgaben, um die Städte vor dem drohenden Kollaps zu bewahren. Er muss dabei auf Vernunft hoffen. Mit Blockade drohen wie die Länder im Bundesrat können die Kommunen ja nicht.