Der Freiburger Erzbischof spricht im Abendblatt über die Folgen des Falls Williamson, Konsequenzen aus der Wirtschaftskrise und die Politik von Bundeskanzlerin Merkel.
Hamburg. Abendblatt:
Erstmals in ihrer Geschichte treffen sich die katholischen Bischöfe im protestantischen Hamburg. Was treibt die Deutsche Bischofskonferenz in die Diaspora?
Robert Zollitsch:
Es ist eine Chance, in einer mehrheitlich protestantisch geprägten Stadt als katholische Bischofskonferenz zu tagen. Das verträgt sich gut mit unserer ökumenischen Einstellung. Wir suchen den Kontakt zur evangelischen Kirche und das drückt sich in Hamburg gut aus.
Abendblatt:
Ein zentrales Thema ist die Rehabilitierung von vier traditionalistischen Bischöfen, zu denen der Holocaust-Leugner Richard Williamson zählt. Wie groß ist der Schaden, den der Vatikan angerichtet hat?
Zollitsch:
Es war das Anliegen von Papst Benedikt, den Bischöfen der Pius-Bruderschaft die Hand zu reichen. Er hat einen ganz kleinen Spalt geöffnet, indem er die Exkommunikation aufgehoben hat. Diese Bischöfe dürfen nach wie vor keine Funktionen in der katholischen Kirche wahrnehmen, auch nicht die heilige Messe erlaubt feiern. Dann kam die unglückliche Verquickung, die dem Papst nicht bekannt war, mit den schrecklichen Äußerungen von Bischof Williamson. Das ist tatsächlich ein Schaden für uns in der Kirche.
Abendblatt:
Als Benedikt XVI. ins Amt kam, jubelten viele Deutsche: "Wir sind Papst." Jetzt haben sie das Gefühl: "Wir sind peinlich" ...
Zollitsch:
Wir haben auf dem Weltjugendtag in Köln einen Papst erlebt, der auf die Menschen zuging und freundlich war. Er hat gezeigt, wie sehr er mit uns verbunden ist. Nun ist bei vielen Gläubigen die Sorge entstanden: Wie sieht es mit der Linie der Kirche aus? Ich halte solche Bedenken sachlich für völlig unbegründet, kann sie aber verstehen.
Abendblatt:
Gerade deutsche Bischöfe haben den Papst scharf kritisiert. Wie tief ist der Riss, der sich durch die katholische Kirche zieht?
Zollitsch:
Alle Bischöfe verstehen, dass Papst Benedikt ein Zeichen setzen wollte. Alle wissen, wie sehr er die Schoah verurteilt. Alle Bischöfe bedauern, dass er über diese Situation mit Bischof Williamson nicht informiert war. Sie bedauern auch, dass die Exkommunikation zurückgenommen wurde, ohne die Bischöfe vorher zu informieren oder zu konsultieren. Das ist unsere gemeinsame Position, die wir in Hamburg bekräftigen werden. Um es deutlich zu sagen: Wir sind alle solidarisch mit dem Papst. Gleichwohl droht ein Riss in der katholischen Kirche in Deutschland. Viele Gläubige befürchten, es könnte ein Zurück hinter das Zweite Vatikanische Konzil geben. Daher muss die Botschaft der Deutschen Bischofskonferenz sein, dass wir den Weg des Zweiten Vatikanischen Konzils gemeinsam fortsetzen werden. Es gibt keine Identitätskrise in der katholischen Kirche.
Abendblatt:
Verzeichnen Sie vermehrt Kirchenaustritte?
Zollitsch:
Es gibt Einzelfälle. Nichts deutet darauf hin, dass es eine Welle wäre.
Abendblatt:
Benedikt XVI. forderte Williamson auf, seine Thesen zu widerrufen. Drei Wochen später entschuldigte sich der Bischof. Wie soll es jetzt weitergehen?
Zollitsch:
Was Bischof Williamson an Entschuldigung vorbrachte, genügt bei Weitem nicht. Er muss sagen: Ich habe mich geirrt, ich habe Falsches gesagt, ich nehme das zurück, ich bitte um Vergebung und Verzeihung. Außerdem müssen alle vier Levebvre-Bischöfe die Autorität des Papstes und das Zweite Vatikanische Konzil voll anerkennen.
Abendblatt:
Und wenn sie das nicht tun?
Zollitsch:
Dann gibt es für diese Bischöfe keinen Platz in der Kirche.
Abendblatt:
Wie viel Zeit sollen die Pius-Brüder noch bekommen, um sich zu besinnen?
Zollitsch:
Es ist schwierig, zeitlich Grenzen zu setzen. Aber die öffentliche Diskussion und die Betroffenheit, die durch die Kirche geht, legen nahe, dass man das nicht auf die lange Bank schieben darf.
Abendblatt:
Sie reisen nächste Woche nach Rom. Was werden Sie Benedikt XVI. sagen?
Zollitsch:
Ich werde die Fragen der Kommunikation ansprechen und zu prüfen bitten, wie man künftig Schäden verhindern oder begrenzen kann.
Abendblatt:
Hört der Heilige Vater auf Sie?
Zollitsch:
Ich kenne Papst Benedikt seit Langem und habe die Erfahrung gemacht, dass er sehr genau zuhört. Ich habe ihn immer als sehr vornehm und sehr aufmerksam erlebt.
Abendblatt:
Ist dem Papst das Verhältnis zu den Pius-Brüdern wichtiger als die Beziehungen zu Protestanten oder Juden?
Zollitsch:
Das kann man nicht vergleichen. Der Papst will verhindern, dass eine Gruppe, die katholisch sein will, endgültig aus der katholischen Kirche auswandert. Sein Handeln ist von einem Albtraum geleitet: Wenn es in meinem Pontifikat zu einer endgültigen Trennung mit dieser Gruppe kommt, ist das Schisma nicht mehr zurückzuholen. Ich weiß, dass die Ökumene dem Papst ein wichtiges Anliegen ist, aber der Handlungsbedarf ist ein anderer.
Abendblatt:
Die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, hat vor antisemitischen Tendenzen in der katholischen Kirche gewarnt. Was entgegnen Sie?
Zollitsch:
Für Einzelne wie Bischof Williamson ist das Verhältnis zum Judentum extrem belastet. Aber innerhalb der katholischen Kirche in ihrer Breite - vor allem in Deutschland - sehe ich keine antisemitischen Tendenzen. Ich verstehe allerdings die Empfindungen unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger: Was könnte da wieder wach werden?
Abendblatt:
Der Augsburger Bischof Walter Mixa hat die Zahl der Abtreibungen mit dem Holocaust in Verbindung gebracht. Was wird da wach?
Zollitsch:
Wir müssen mit solchen Vergleichen sehr behutsam sein, weil sie zu schnell missverstanden sind und neuen Schmerz hervorrufen.
Abendblatt:
Bundeskanzlerin Merkel hat Benedikt XVI. für seinen Umgang mit dem Fall Williamson kritisiert. Ist das ihre Aufgabe?
Zollitsch:
Die Bundeskanzlerin hat mich angerufen, um zu erklären, was ihre Motive waren. Ich habe ihr gesagt: Wenn eine Bundeskanzlerin zu einer Position des Papstes Stellung nehmen will, dann empfiehlt sich der diplomatische Weg. Es ist nicht gut, öffentlich übereinander zu reden.
Abendblatt:
Sind Sie - umgekehrt - mit der Politik von Kanzlerin Merkel und ihrer Großen Koalition einverstanden?
Zollitsch:
Diese Frage muss ich vor allem als Staatsbürger beantworten. Ich sehe natürlich die Schwierigkeiten einer Kanzlerin, die eine Große Koalition führt. Viele Dinge müssen in Kompromissen gelöst werden, wo man sich eine eindeutigere Haltung wünschen würde. Frau Merkel ist es aber zumindest gelungen, die Regierung handlungsfähig zu halten.
Abendblatt:
Ist die CDU der Angela Merkel eine christliche Partei?
Zollitsch:
Die CDU ist von ihrem Entstehen her sicherlich eine christlich orientierte Partei, und ich bin froh, dass sie das C nach wie vor in ihrem Namen hat. Das ist ein Anknüpfungspunkt, den ich als Chance sehe.
Abendblatt:
Sie betonen den Namen. Wird das Christliche auch gelebt?
Zollitsch:
Unterschiedlich. Ich erlebe eine ganze Reihe von Abgeordneten, die aus christlicher Überzeugung sprechen. In den neuen Bundesländern ist der christliche Hintergrund sicherlich weniger prägend als etwa in Süddeutschland.
Abendblatt:
Sie haben der CDU einmal vorgeworfen, sie nähere sich neoliberalen Thesen an. Sehen Sie das immer noch so?
Zollitsch:
Ich habe damals auf die Gefahr hingewiesen, dass das Soziale in den Hintergrund geraten könnte, weil die Wirtschaftsfreiheit eine zu einseitige Rolle spielt. Inzwischen hat die Finanzmarktkrise die Welt verändert, und wir diskutieren über staatliche Eingriffe, die ihrerseits nicht der Lehre der sozialen Marktwirtschaft entsprechen. Aktuell stellt sich sogar die Frage, ob der Staat ein angeschlagenes Unternehmen wie Opel retten soll.
Abendblatt:
Und? Soll er?
Zollitsch:
Ich weiß immerhin, dass man gründlich abwägen muss und dass viele Fragen noch unbeantwortet sind. Der Staat kann nicht alle Arbeitsplätze, die möglicherweise in Deutschland verloren gehen, mit Steuermitteln retten. Das wäre nicht im Sinne des Marktes. Und es würde den Staat überfordern.
Abendblatt:
Welche Lehren sind aus der weltweiten Wirtschaftskrise zu ziehen?
Zollitsch:
Da ist eine Blase geplatzt. Viele Menschen, nicht nur die Banker, meinten immer, man könne das große Geld machen und 15 bis 25 Prozent Rendite erzielen - ohne zu fragen, woher das Geld kommen soll. Wir sollten uns jetzt darauf besinnen, den Wert hinter dem Geld in den Mittelpunkt zu stellen. Geld kann nicht ohne den Menschen arbeiten.
Abendblatt:
Worauf wollen Sie hinaus?
Zollitsch:
Jeder, der Geld hat oder Aktien hält, trägt auch eine Verantwortung für das Ganze. Im Grundgesetz steht, dass Eigentum sozialpflichtig ist. Das ist aber nicht genügend in dem Bewusstsein der Menschen angekommen. Es gibt Defizite auf den individuellen wie auf den ordnungspolitischen Ebenen. Wir brauchen eine globale soziale Marktwirtschaft. Die Deutsche Bischofskonferenz wird in Hamburg nach entsprechenden Grundlinien suchen.
Abendblatt:
Muss die Krise auch juristisch aufgearbeitet werden?
Zollitsch:
Jetzt ist es vor allem wichtig, rechtliche Grundlagen zu schaffen. Diejenigen, die solche Katastrophen verursachen, müssen in Zukunft dafür zur Verantwortung gezogen werden. Es ist noch immer erschreckend zu sehen, dass manche Manager in ihren Firmen Milliardenverluste machen und dann noch mit großzügigen Summen entlohnt werden.
Abendblatt:
Darf man fragen, wie viel Geld die katholische Kirche in der Krise verloren hat?
Zollitsch:
Ich kann nur für meine Erzdiözese Freiburg sprechen. Von unseren Geldanlagen befinden sich nur 0,02 Prozent in diesen Randgebieten, wo es unsicher geworden ist. Uns hat die Krise nicht spürbar getroffen. Ähnliches höre ich auch aus den anderen Diözesen.
Abendblatt:
Herr Erzbischof, Sie sind seit einem Jahr an der Spitze der Deutschen Bischofskonferenz. Hatten Sie geahnt, was auf Sie zukommt?
Zollitsch:
Ich ahnte, dass viel Arbeit auf mich zukommt. Aber es ist mehr, als ich dachte.
Abendblatt:
Den Konflikt mit dem rot-roten Senat in Berlin haben Sie selber gesucht. Anlass war die Abschaffung des verpflichtenden Religionsunterrichts.
Zollitsch:
Nein, der Senat suchte den Konflikt. Ich kann nur schwer verstehen, dass eine Landesregierung ein Schulfach Ethik verpflichtend für alle festlegt. Es erinnert an vergangene Zeiten, wenn ein Senat klären will, was Werte sind. Berlin sollte Freiheit schaffen: Religion muss ein Fach neben Ethik sein, damit es eine Wahlmöglichkeit gibt. Ich appelliere an die Berliner, sich im April an dem Volksentscheid der Bürgerinitiative Pro Reli zu beteiligen, die sich für eine Wiedereinführung des verpflichtenden Religionsunterrichts einsetzt.
Abendblatt:
Die Bürgerinitiative wollte die Abstimmung am Tag der Europawahl, dem 7. Juni, abhalten. Doch Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister, setzte den 26. April durch.
Zollitsch:
Man wird den Eindruck nicht los, dass der Senat die Abstimmung vorverlegt, damit sich nicht so viele Menschen beteiligen. Das entspricht nicht meinem Verständnis fairen Vorgehens.
Abendblatt:
Zweifeln Sie an Wowereits Demokratieverständnis?
Zollitsch:
Ich befürchte, Herr Wowereit hat da ein Defizit. Er will partout ein Ziel durchsetzen.