Die Kritik der Kanzlerin an seinem Plädoyer für mehr Bürgerbeteiligung ließ ihn gestern Abend unbeeindruckt.
Hamburg. Man konnte es seiner Mimik nicht ansehen, ob Horst Köhler verärgert war. Der wiedergewählte Bundespräsident gab sich entspannt und bei bester Laune während seines Besuchs in Hamburg. Ein paar Stunden zuvor hatte noch die Bundeskanzlerin deutlich zu verstehen gegeben, was sie von seinem Vorstoß hielt, das Staatsoberhaupt direkt zu wählen: nämlich gar nichts.
Aber Köhler ließ sich von all dem nichts anmerken. Vielleicht lag es auch daran, dass er in Hamburg war, der Stadt, die er in seiner ersten Amtszeit auffallend oft besuchte und in der er jedes Mal zum Ausdruck brachte, wie sehr es ihm hier gefalle. Und nun führte ihn auch noch sein allererster Auswärtstermin nach der Wiederwahl am Sonnabend in die Hansestadt. „Reiner Zufall“, betonte gestern ein Sprecher des Bundespräsidialamtes in Berlin. Die Hansestadt sei jetzt eben dran in der Reihe der Benefizkonzerte des Bundespräsidenten.
Offiziell darf ein Bundespräsident ein Bundesland nicht lieber haben als ein anderes.
Doch als Köhler in der Laeiszhalle kurz das Wort ergriff, da war seine Verbundenheit mit der Hansestadt offensichtlich: „Ich bin ja fast schon ständiger Gast in Hamburg.“ Gestern war Köhler sogar mehr als ein Gast, er war schließlich Gastgeber des Benefizkonzerts. Und in dieser Rolle fühlte er sich erkennbar wohl.
Und er war, wie man ihn inzwischen kennt: Am Anfang, bei der Begrüßung durch den Ersten Bürgermeister Ole von Beust, noch etwas wortkarg und zurückhaltend, später aber, nachdem Beust ihm zu seiner Wiederwahl gratuliert hatte und als das Publikum Köhler mit Jubelrufen und tosendem Beifall feierte, wich die anfängliche Anspannung aus dem Gesicht des Staatsoberhauptes. Da erhob er sich und winkte und lächelte erleichtert. Köhler genoss das Signal: Das Volk, das ihn ohnehin gewählt hätte, zeigte ihm seine Freude über die Wiederwahl.
Schließlich in der Konzertpause, als ihm die Sponsoren des Abends einzeln vorgestellt wurden, wirkte Köhler vollends gelöst. Und er tat das, was er am besten kann: Fragen stellen. Für jeden, dem er die Hände schüttelte, hatte er mindestens zwei Fragen übrig. Der Kontakt zu den Bürgern, den „normalen Menschen“ – also den Nicht-Politikern –, fällt Köhler nach wie vor am leichtesten. Ganz weit weg schien gestern die Debatte, die er selbst kurz nach seiner Wahl losgetreten hatte. Mit seinem Appell, den Bürgern mehr Rechte in der Demokratie einzuräumen, hatte er auch erneut eine Direktwahl des Staatsoberhauptes vorgeschlagen.
Weit weg schienen auch die Reaktionen aus dem fernen Berlin, wo das eigene Lager prompt und eindeutig Köhlers Vorschlag abgelehnt hatte. Gestern erntete Köhler gleichwohl noch mehr Widerspruch, und diesmal ausgerechnet von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Am Sonnabend hatte sie sich noch darüber gefreut, dass „ihr“ Kandidat bestätigt wurde. Nun aber wählte sie Worte, die rigoroser kaum hätten sein können. Eine Direktwahl des Bundespräsidenten würde „die gesamte Statik des deutschen Staatsaufbaus massiv verändern“, sagte Merkel. Vielmehr stelle ein solches Ansinnen Anforderungen an den Föderalismus und das Zusammenwirken von Bundestag und Bundesrat wie auch an die Kompetenzverteilung von Bundespräsident und Bundeskanzler. „Dies würde alles verschieben, wenn ausgerechnet die Person direkt gewählt würde, die im täglichen politischen Geschäft am wenigsten exekutive Macht hat“, fügte Merkel hinzu. Man hätte dann ein System wie in den USA oder Frankreich, „mit ausgesprochen persönlichkeitsorientierten Präsidentschaftswahlen“. Und dass Merkel genau so ein System nicht mag, war damit klar geworden. Köhler wird die Reaktion zur Kenntnis genommen haben. Betrübt hat sie ihn offenbar nicht. In Hamburg schien er gedanklich schon weiter, vielleicht bei seinem nächsten Vorstoß. Denn welch großen Rückhalt er als Bürgerpräsident genießt, das konnte er in Hamburg sehr deutlich spüren.