Erneut hat sich der IWF in den US-Schuldenstreit eingeschaltet, denn noch immer fehlt ein Kompromiss. Finanzmärkte erheblich belastet.
Washington. Der Schuldenstreit in den Vereinigten Staaten schwelt - und er schwelt immer weiter. Nun hat der Internationale Währungsfonds (IWF) in einem am Montag veröffentlichten Bericht erneut auf eine rasche Einigung im Schuldenstreit gedrängt. Eine Lösung müsse eine „umfassende, mittelfristige Plan zur Etatkonsolidierung“ beinhalten. Auf kurze Sicht müssten Einsparungen auf die Wirtschaftslage Rücksicht nehmen. Allerdings müsse der Defizitabbau im Haushaltsjahr 2012 in Angriff genommen werden, das am 1. Oktober beginnt. Es gelte, mit Blick auf den Zustand des Etats einen „Verlust an Glaubwürdigkeit“ zu verhindern.
Der andauernde Streit um die Staatsverschudlung in den Vereinigten Staaten beeinflusst erheblich den Finanzmarkt. Die Aktienmärkte in Asien sind am Montag stark belastet. Auch der Dollar sank, was den Euro auf Kurse von rund 1,4370 Dollar steigen ließ nach zuletzt 1,4350 in New York. Der Preis für Gold markierte ein Rekordhoch bei 1622,49 Dollar je Feinunze. Händler sagten, der Fokus der Anleger liege nun klar auf der US-Schuldenkrise und weniger auf den Problemen in Europa rund um Griechenland.
Zuletzt versuchten laut Finanzminister Timothy Geithner noch führende US-Politiker eine Lösung im Schuldenstreit zu finden, bevor die asiatischen Finanzmärkte öffnen. Doch ein Kompromiss war nicht zu erlangen. Die Kongresspolitiker arbeiten noch an Eckpunkten für eine Erhöhung der Schuldengrenze, sagte Geithner im Sender ABC. Sowohl Republikaner als auch Demokraten seien gewiss, dass die Schuldengrenze angehoben werde, bevor am 2. August die Zahlungsunfähigkeit drohe. Präsident Barack Obama beharre weiterhin auf einer Vereinbarung über die Wahlen 2012 hinaus.
Die USA haben nur noch bis zum 2. August Zeit, ihre Schuldenobergrenze von derzeit 14,3 Billionen Dollar (rund zehn Billionen Euro) zu erhöhen – sonst droht der größten Volkswirtschaft die Zahlungsunfähigkeit mit unabsehbaren Folgen. Geithner betonte jedoch, es sei „undenkbar“, dass die USA ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkämen. Nach einem ähnlichen Krisentreffen am Sonnabend wollte Präsident Barack Obama nach Mitteilung des Weißen Hauses am Sonntag seine Beratungen mit führenden Kongressvertretern fortsetzen, darunter auch Boehner, der Präsident des Repräsentantenhauses ist.
Der Republikaner hatte am Sonnabend gegenüber Parteifreunden erklärt: „Wir arbeiten weiter, und ich bin zuversichtlich, dass es eine Lösung geben wird.“ Laut „New York Times“ geht es dabei um einen Plan, der drei bis vier Billionen Dollar an Einsparungen über zehn Jahre bringen soll. Boehners Äußerungen wurden auch als Versuch gewertet, negative Folgen für die Aktienmärkte abzuwenden, die am Montag wieder öffnen. Große Ratingagenturen wollen die bisherige Top-Kreditwürdigkeit der USA herunterstufen, wenn der Kreditrahmen nicht erhöht wird.
Führende Demokraten zeigten sich jedoch pessimistisch. Die fehlende Kompromissbereitschaft der Republikaner bringe die USA in Gefahr, ihre Glaub- und Kreditwürdigkeit zu verlieren, sagte der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid. „Wir haben keine Zeit für politische Spiele. Jetzt ist die Zeit für Kooperation.“ Er werde keiner Vereinbarung zustimmen, die nicht über das Jahr 2012 hinausgehe. „Alles darunter wird nicht geeignet sein, die Sicherheit zu bieten, auf die die Märkte – und die Welt – warten“, sagte Reid
Laut „Washington Post“ sieht Boehners Zwei-Stufen-Plan zunächst eine kurzfristige Anhebung des Schuldenlimits vor, die an Ausgabenkürzungen in mindestens gleicher Höhe gekoppelt sei. Später solle es dann weitere, noch nicht näher definierte Einsparungen geben.
Boehner hatte am Freitag direkte Gespräche mit Obama über eine Lösung des Konflikts hauptsächlich wegen Differenzen über Steuererhöhungen abgebrochen. Der sichtlich enttäuschte und erzürnte Präsident bestellte daraufhin die Spitzenvertreter der Republikaner und Demokraten im Kongress am Samstag zu dem Krisentreffen ein.
Obama bekräftigte am Wochenende seinen Widerstand gegen eine Kurzzeit-Lösung – das heißt, eine Anhebung des Schuldenlimits in mehreren Schritten. Das könnte zu einer Herabstufung der US-Bonität führen und der ohnehin stark schwächelnden Wirtschaft schwer schaden. Stattdessen will er eine „große“ Lösung, die über 2012 hinausreicht. Ende 2012 stehen in den USA Präsidentschaftswahlen an. Als Bedingung für eine Anhebung des Schuldenlimits fordern die Republikaner drastische Sparmaßnahmen vor allem im Sozialbereich. Die Demokraten sind trotz schwerer Bedenken zu Abstrichen bereit, aber verlangen zugleich höhere Steuerbeiträge der Reichen zum Abbau des Schuldenbergs. Besonders Anhänger der populistischen „Tea-Party-Bewegung“ bei den Republikanern lehnen jegliche Steuererhöhungen kategorisch ab. Eine Lösung ist vor allem durch das parlamentarische Patt schwierig: Die Republikaner haben im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit, die Demokraten im Senat.
So könnte es weitergehen: Die Szenarien
Die Verhandlungen stehen vor einem neuen Tiefpunkt, wie kann die Schuldengrenze doch noch vor Ablauf der Frist am 2. August erhöht werden? Abendblatt.de zeigt vier mögliche Szenarien auf:
Szenario 1: Die Notlösung
Durch geschicktes Manövrieren zwischen Präsidialamt und Kongress soll das Verschuldungslimit soweit angehoben werden können, dass den USA bis November 2012 nicht das Geld ausgeht. Dann müssen sich Obama und die meisten Abgeordneten zur Wahl stellen. Die beiden Lager trennt vor allem die Steuerfrage, in der vor der Wahl keiner zurückweichen will. Mit dem von einem republikanischen Senator ins Spiel gebrachten Katastrophenplan müssen die Republikaner in der Haushaltsdebatte erst gar nicht abstimmen und damit auch nicht über die von Obama geforderten und von ihnen vehement abgelehnten Steuererhöhungen entscheiden. Dieser Plan gilt als der wahrscheinlichste Ausweg aus dem Dilemma.
Szenario 2: Der "Nur-Sparplan"
Chancen auf eine Verabschiedung im Repräsentantenhaus könnte ein Plan haben, der sich zum Abbau der Staatsschulden nur auf Einsparungen beschränkt. Damit würden die Republikaner in dieser Kongresskammer ihre Position in der umstrittenen Steuerfrage durchsetzen. Obama will den Haushalt aber eigentlich sowohl durch einen Sanierungskurs als auch durch das Schließen von Steuerschlupflöchern in Ordnung bringen. Ob das Ausklammern von Steuermehreinnahmen in dem von Obamas Demokraten kontrollieren Senat gebilligt wird, gilt deshalb als sehr fraglich.
Szenario 3: Wiederaufnahme der Gespräche
Es ist durchaus denkbar, dass Obama und Boehner an den Verhandlungstisch zurückkehren. Nach dem Zusammenbruch der Gespräche haben beide Seiten die Gelegenheit genutzt, werbewirksam dem Konfliktpartner die Schuld zu geben. Doch nachdem einmal reiner Tisch gemacht wurde, könnten die Gespräche weitergehen. Boehner hat bereits eine Einladung Obamas für Samstag akzeptiert. Nach dem Eklat von Freitag sickerte zudem durch, dass Boehner nach wochenlanger Blockade seine strikte Haltung in der Steuerfrage doch aufweichen könnte – und sich das für den Staat lukrative Schließen von Steuerschlupflöcher zumindest schon einmal näher angesehen hat. Möglicherweise war eine Einigung näher als vermutet.
Szenario 4: Der Verfassungsschazug
Der ehemalige Präsident Bill Clinton hat seinem Parteifreund Obama den Rückgriff auf die Verfassung nahegelegt. Obama könne sich auf den 14. Verfassungszusatz berufen, den Kongress umgehen und die Aufnahme weiterer Schulden anordnen. Die Klausel besagt, dass die öffentlichen Schulden der USA nicht infrage gestellt werden dürfen. Clinton sagte, um eine Staatspleite zu verhindern, würde er so die Schuldengrenze faktisch anheben - auch wenn dies die Gerichte in Zugzwang bringen könnte, ihn zu stoppen. Obamas Juristen haben diese Möglichkeit unter die Lupe genommen, sind dem Präsidenten zufolge aber nicht davon überzeugt. Obama selbst hat diesen Kunstgriff aber nicht ausgeschlossen.
(dapd/dpa/abendblatt.de)