Taliban-Kämpfer greifen unweit der afghanischen Stadt Kundus eine deutsche Patrouille an. Acht weitere Soldaten werden verletzt.
Kabul. Drei Bundeswehrsoldaten sind bei einem mehrstündigen Gefecht mit gut 200 Taliban-Kämpfern im Norden Afghanistans aus dem Hinterhalt erschossen worden. Sie bereiteten den Bau einer Brücke und eine Minenräumung vor, als aus den umliegenden Häusern das Feuer eröffnet wurde, wie das Verteidigungsministerium am Freitag erklärte. Nach afghanischen Angaben explodierte zudem eine Mine unter einem Bundeswehrfahrzeug. Acht weitere Soldaten wurden verletzt, vier von ihnen schwer. Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg äußerten sich bestürzt.
Das Gefecht dauerte mehrere Stunden, wie das Ministerium weiter mitteilte. Der Zustand der acht Verletzten wurde am Abend als kritisch eingeschätzt. Wie der Verwaltungschef des Bezirks Chahar Dara, Abdul Bahid Omar Chil, mitteilte, wurde auch mindestens ein Taliban-Kämpfer getötet und ein weiterer verletzt. Er schätzte die Zahl der beteiligten Taliban auf 200. Die Bundeswehr und die afghanischen Polizisten hätten keine schweren Waffen einsetzen können, weil sich die Taliban-Schützen in Häusern von Zivilpersonen verschanzt hätten, sagte Omar Chil.
Die Kämpfe begannen nach Auskunft des Polizeichefs von Kundus, General Abdul Rasak Jakubi, als eine Mine unter einem gepanzerten Fahrzeug der Bundeswehr explodierte. Die Kämpfe fanden in Chahar Dara, rund zwölf Kilometer von Kundus, statt.
„Verabscheuungswürdig und hinterhältig“
Nach Angaben seines Ministeriums hielt sich auch Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) zum Zeitpunkt des Angriffs in Afghanistan auf. Er befand sich demnach in Masar-i-Scharif und sei über Telefon nicht zu erreichen, hieß es.
Merkel sprach von einem „verabscheuungswürdigen und hinterhältigen Angriff“. „Mein Mitgefühl gilt in diesen schweren Stunden vor allem den Angehörigen der ums Leben gekommenen und verwundeten Soldaten. Ich trauere mit ihnen um die Opfer.“ Die CDU-Politikerin wünschte den verwundeten Soldaten rasche Genesung.
Guttenberg erklärte, er sei „in Gedanken und Gebeten bei den Soldaten und ihren Familien“. Angesichts solcher Gefechte werde deutlich, „wie gefährlich der gleichwohl notwendige Einsatz in Afghanistan ist“. Ein Sprecher teilte mit, der Minister werde seinen Urlaub unterbrechen und früher nach Deutschland zurückkehren. Auch Außenminister Guido Westerwelle verurteilte den Angriff, der sich auch gegen das ganze afghanische Volk richte. Der SPD-Fraktionsvorsitzende und frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von einem „feigen und hinterhältigen Anschlag“.
Noch vor den jüngsten Gefechten bei Kundus nannte Ex- Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) die jahrelange Bewertung des Afghanistan-Einsatzes als Friedens- und Stabilisierungsmission eine „Lebenslüge“ der Politik. In einer ZDF-Dokumentation, die in der kommenden Woche ausgestrahlt wird, spricht Rühe hier von einem „zentralen Versagen der großen Koalition“. Sie habe der Öffentlichkeit nicht die Wahrheit über die tatsächlichen Gefahren des Einsatzes gesagt.
Der schwarz-gelben Koalition drohe eine „zweite Lebenslüge“, indem sie innerhalb der NATO solidarischen Kampf bekunde und in Deutschland vorgebe, die Bundeswehr kümmere sich nur um die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. „Das Abenteuer Afghanistan muss beendet werden“, forderte Rühe. Der Verteidigungsminister der großen Koalition, Peter Struck (SPD), räumt in dem Bericht ein, „dass das wirklich ein militärischer Kampfeinsatz ist, haben wir am Anfang nicht gesagt“.
Der letzte Zwischenfall dieser Art ereignete sich Ende Juni 2009. Drei Soldaten kamen damals in einem Gefecht ums Leben, bei dem die Angreifer ebenfalls Handwaffen und Panzerfäuste einsetzten. Die Soldaten kamen ums Leben, als ihr Transportpanzer vom Typ „Fuchs“ umkippte und ins Wasser rutschte. Insgesamt starben bei derartigen Einsätzen 22 deutsche Soldaten in Afghanistan.
Der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider, kritisierte unterdessen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. „Wir laufen Gefahr, dass der Einsatz völlig seine Legitimation verliert“, sagte er dem „Hamburger Abendblatt“ (Sonnabend-Ausgabe). „Der Konflikt in Afghanistan ist aus dem Ruder gelaufen.“ Die Gesellschaft dürfe sich nicht selbst täuschen und die Bundeswehr als besseres Technisches Hilfswerk sehen, sagte Schneider in dem Interview, das vor dem Angriff geführt wurde. Auch bei den 50. Ostermärschen war der Afghanistan-Einsatz das wichtigste Thema. Allein in Dortmund gingen 2.800 Friedensaktivisten auf die Straße.