Berlin. Die beiden Unionsvorsitzenden stellen ihre Wahlprogramme vor und feiern ihre neue Geschlossenheit. Doch eine wichtige Frage bleibt offen.
Markus Söder trägt anarchistisches Schwarz. Schwarzer Rollkragenpulli, schwarzer Anzug, verwegener Bart. Doch die Rolle, die der CSU-Mann an diesem Morgen spielt, ist alles andere als rebellisch: Markus Söder und Friedrich Merz demonstrieren so viel Harmonie und Brüderlichkeit, dass es weh tut. Die Liebesbotschaft, das wissen beide, war mal wieder nötig. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.
Dienstagmittag, Berlin-Mitte: Kanzlerkandidat Merz und CSU-Chef Söder stellen das gemeinsame Wahlprogramm der Union vor – im Kern geht es um einen scharfen Kurswechsel bei der Migration sowie in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Und sie stellen das Männerduo an der Spitze vor, zwischen das kein Blatt mehr passt. Die Botschaft kommt an – aber auch die Kehrseite der Botschaft wird klar: Wer derart offensiv betonen muss, wie super es gerade läuft, hat Sorge, dass es bald wieder anders laufen könnte, weil es so oft schon anders lief.
Söder und Merz: Kommen die Störmanöver aus München wieder mit höherer Frequenz?
Bereits am Montag hatte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt reine Liebeslyrik in die Kameras gesprochen: Zwischen CDU und CSU gebe es keinen Unterschied, keine Widersprüche, nichts als vollkommene Einigkeit und exzellente Zusammenarbeit. Warum er das so betont? Weil es in den vergangenen Wochen starke Hinweise darauf gab, dass die Störmanöver aus München wieder mit höherer Frequenz kommen.
Beim Wahlprogramm, so heißt es, habe die CSU ziemlich robust ihre Sicht der Welt in den Text hineinverhandelt. Auch bei der Frage, wer Minister werden soll, falls Merz Kanzler wird, hat die CSU bereits erste Handtücher auf die Liegen gelegt. Und dann ist da noch die jüngste Aktion: Söders medienwirksamer Kniefall in Warschau, kurz nachdem auch Merz in der polnischen Hauptstadt war – typisch Söder eben.
Doch was will der Bayer eigentlich? Die Antwort ist klar: Macht und Einfluss und starke Bilder, nach wie vor. Am 17. September, Friedrich Merz ist gerade offiziell zum Sieger in der K-Frage ausgerufen, ergreift Söder das Wort: „Ich bin damit fein und unterstütze es ausdrücklich.“ Minister unter Merz? Das kann er sich nicht vorstellen, er wird also in München bleiben. Aber, auch das sollen an diesem Tag alle mitkriegen: Er wird sich weiter einmischen. Und zwar dort, wo in einer Regierung das Machtzentrum sei, im Koalitionsausschuss.
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Nach Söders Verständnis beginnt dieses Einmischen nicht erst mit der neuen Regierung, sondern schon mit der Frage, wer mit wem regiert. Oder besser: Wer im Koalitionsausschuss sitzt. Die FDP? Gerne. Die SPD? Okay. Die Grünen? Niemals.
Es ist die Gretchenfrage der Union: Wie hältst du’s mit Robert Habeck? Oder anders: Ist eine schwarz-grüne Koalition ein No-Go (Söder) oder eine Option, die man besser nicht zu früh zu vehement ausschließen sollte (Merz). Seit Monaten werden Merz und Söder bei jeder Gelegenheit danach gefragt, millimeterweise wird jede Bewegung vermessen.
Eine Koalition mit den Grünen? Das sind sich die beiden einig – fast.
An diesem Dienstagmorgen rückt Merz wieder einmal ein paar Meter von den Grünen weg: Zu weit links und bei der Wirtschaftspolitik vollkommen falsch abgebogen findet er die Habeck-Partei. Die Grünen entfernten sich „von jeder Kooperationsmöglichkeit, die sie bisher vielleicht mal in der einen oder anderen Frage gehabt haben“. Gleichzeitig bleibt Merz dabei: Ausschließen wird er Schwarz-Grün nicht, weil „die demokratischen Parteien der politischen Mitte miteinander kooperationsfähig bleiben müssen“. Die Frage, mit wem man in eine Koalition gehe, sei am Ende eine Frage der Schnittmengen in der Sache. „Das sieht Markus Söder genauso wie ich“, behauptet Merz.
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Der hatte sich in den vergangenen Wochen dazu entschieden anders geäußert, ist jetzt aber erstmal einverstanden: Er finde das „sehr, sehr gut“, stimmt Söder zu. Und Merz wiederholt noch mal: „Markus Söder und ich sind uns einig, wir erwecken nicht nur den Eindruck, dass wir uns einig sind, wir sind uns einig.“ Basta?
Was passiert, wenn Schwarz-Grün die einzige Koalitionsoption ist?
In der CDU finden viele die gesamte Debatte grundfalsch: Es gebe weder einen Grund, siegessicher zu sein, noch einen Grund, überhaupt vorzeitige Koalitionsdebatten zu führen. Das gilt in beide Richtungen: Auch diejenigen in der CDU, die ein Bündnis mit den Grünen besser fänden als eine neue Große Koalition mit der SPD, wissen, dass die Stimmung in den konservativen Stammmilieus der Union, besonders auf dem Land, gerade maximal grünenfeindlich ist. Söder seinerseits glaubt, dass eine Option auf Schwarz-Grün der Union bei einer Wahl „deutlich unter 30 Prozent“ bringen würde. Man könne, ätzt er, der FDP und auch der AfD keinen größeren Gefallen tun.
Doch was passiert, wenn Schwarz-Grün nach der Bundestagswahl die einzige Option sein sollte? Was würde Söder dann machen? Eine Minderheitsregierung empfehlen? Wohl kaum. Also eine 180-Grad-Wende? In der CDU retten sich viele derzeit in Sarkasmus. Vielleicht, sagt einer, würde Söder sich dann an die Zeit erinnern, als er mal öffentlichkeitswirksam Bäume umarmt hat, in seiner Phase als oberster bayrischer Klimaschützer. Motto: „Mein Baum hat mir gesagt, dass ich nun doch lieber mit den Grünen regieren soll.“ Oder er wandelt den programmatischen Merz-Satz („Mit diesen Grünen kann man nicht regieren“) um und sagt: „In den letzten Wochen haben sich die Grünen komplett verändert.“
Oder er macht’s wie Christian Lindner und beruft sich auf seine „staatspolitische Verantwortung“, die ihm keine andere Wahl lasse. Dass er es hinkriegt, da hat niemand Zweifel. Einen Satz finden, mit dem sich die eigene Position um 180 Grad drehen lässt? Wer, wenn nicht er, heißt es dazu in der Parteispitze.