Berlin. Der neue Finanzminister Jörg Kukies spricht über Christian Lindner, den Haushalt, die Reform der Altersvorsorge – und seine privaten Finanzen.
Jörg Kukies empfängt in dem Büro, in dem bis vor wenigen Wochen noch Christian Lindner saß. Wo einst das Porsche-Modellauto des FDP-Chefs stand, befindet sich nun ein gerahmtes und signiertes Trikot des FSV Mainz 05. Nach der Entlassung Lindners und dem Rückzug der FDP aus der Regierung machte Kanzler Olaf Scholz (SPD) seinen bisherigen Staatssekretär im Kanzleramt und langjährigen Vertrauten Kukies zum neuen Finanzminister. Der ehemalige Deutschlandchef der Investmentbank Goldman Sachs steht vor der Herausforderung, die Geschäfte ohne beschlossenen Haushalt für das kommende Jahr zu führen.
Herr Kukies, Sie waren Juso-Chef und Manager bei Goldman Sachs. Kommt als Finanzminister eher der SPD-Politiker oder der Banker durch?
Jörg Kukies: Natürlich hilft mir die Erfahrung, die ich in der Privatwirtschaft und Finanzbranche gesammelt habe. Aber als Minister ist man überwiegend Politiker. Und als solcher sind mir Fragen der sozialen Gerechtigkeit enorm wichtig. Wir haben die Aufgabe, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
Sie sind seit Jahren in der Spitzenpolitik aktiv – allerdings immer in der zweiten Reihe. Haben Sie sich den Schritt ins Rampenlicht so vorgestellt?
Kukies: Es konnte niemand erwarten, dass es so kommt. Die Ampelkoalition hatte an vielen Stellen Konflikte, das konnte jeder sehen. Aber wir haben immer versucht, Einigungen zu finden, uns immer wieder zusammengerauft. Dass ich Finanzminister werde, damit habe ich wirklich nicht gerechnet.
Wie lief die Übergabe des Ministeriums ab?
Kukies: Ich habe mit Christian Lindner telefoniert und über Fragen, die noch anstanden, gesprochen. Anschließend habe ich das Gespräch mit der Staatssekretärin und den Staatssekretären sowie den Beschäftigten im Finanzministerium gesucht.
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Haben Sie direkten Kontakt zu Ihrem Vorgänger?
Kukies: Ich kann bei dringenden Sachen Herrn Lindner jederzeit anrufen. Als Staatssekretär unter Olaf Scholz im Finanzministerium habe ich auch mal mit Herrn Schäuble gesprochen, damals ging es um Details der Verhandlungen zu den Griechenland-Schulden. Es ist absolut üblich, dass man Kontakt mit seinen Amtsvorgängern hält.
Zwischen SPD und FDP brodelt es aktuell …
Kukies: Man muss trennen zwischen der Professionalität eines geordneten Amtsübergangs und der politischen Auseinandersetzung. Ein Ministerium wie das Finanzministerium hat gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Das darf nicht infrage gestellt werden, weil es einen politischen Konflikt gibt.
War Christian Lindner ein guter Finanzminister?
Kukies: Es ist nicht an mir, das zu bewerten. Natürlich gab es politische Meinungsverschiedenheiten. Aber das Finanzministerium ist in einem sehr guten Zustand. Und Stand heute kommen wir auch ohne Nachtragshaushalt für das laufende Jahr ohne Haushaltssperren aus.
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Was ist die größte finanzpolitische Herausforderung für Deutschland?
Kukies: Der Bundeshaushalt, der mit seinem Volumen enorme Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft hat. Wir wollen mit dem Ausgleich der kalten Progression und der Erhöhung des Kindergeldes noch erhebliche Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger durchsetzen und gleichzeitig gezielt die Wirtschaft ankurbeln. Eine Konjunkturbremse und restriktive Finanzpolitik können wir uns in der aktuellen Lage nicht leisten. Das Grundgesetz gibt uns die Möglichkeit, dass wir auch in einer vorläufigen Haushaltsführung handlungsfähig bleiben.
Es gibt 2025 keinen Haushalt und keine Mehrheit, einen solchen noch zu beschließen. Ist Finanzminister nicht der undankbarste Job in dieser Zeit?
Kukies: Sicherlich wäre es besser, wenn wir einen Haushalt für das kommende Jahr hätten. Aber mit der vorläufigen Haushaltsführung haben wir zum Glück ein etabliertes und erprobtes Verfahren, das im Grundgesetz klar geregelt ist. Die Entscheidung, welche Maßnahmen im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung umgesetzt werden können, treffen die einzelnen Ministerien. Das macht nicht der Finanzminister allein.
Wann haben wir endlich einen ordentlichen Haushalt 2025?
Kukies: Das hängt von der Konstellation ab, die die Wählerinnen und Wähler am 23. Februar wählen werden. Bei der letzten Bundestagswahl war die Bundesregierung nach gut zwei Monaten im Amt. Kommt das wieder so, hätten wir eine neue Regierung im Mai. Wenn dann ein Haushalt noch vor der parlamentarischen Sommerpause im Juli verabschiedet werden soll, muss sich die neue Regierung beeilen. Wir werden alles dafür tun, damit die neue Finanzministerin oder der neue Finanzminister eine sehr gut vorbereitete Grundlage bekommt.
Wollen Sie nicht Finanzminister bleiben?
Kukies: Die Wählerinnen und Wähler entscheiden am 23. Februar über eine neue Regierung. Und welche Regierungspartei welches Ministerium bekommt, ist Teil der Koalitionsverhandlungen.
Sie gehören zum engsten Kreis von Kanzler Scholz. Würden Sie unter einem Kanzler Merz ein Ministeramt bekleiden?
Kukies: Welche Regierung nach dem 23. Februar ins Amt kommt, entscheiden die Wählerinnen und Wähler.
„Ich gehöre sicherlich sowohl vom Vermögen als auch vom Einkommen zu den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland, die ein relativ hohes Einkommen haben. Das ist aber hart erarbeitet. Während meines Studiums habe ich mein Geld als Taxifahrer verdient, anschließend über Assistenztätigkeiten, ehe ich ins Berufsleben eingestiegen bin.“
Sind Sie wie die SPD-Führung dafür, Steuern für Besserverdienende zu erhöhen?
Kukies: Natürlich muss man darüber nachdenken, was getan werden muss, um unser Gemeinwesen zu finanzieren. Dass die Leistungsfähigsten hier in besonderem Maße beitragen, ist legitim. Man muss aber auf Folgeeffekte achten. Beispiel Einkommensteuer: Die trifft auch Unternehmen. Ich bin mir aber sicher, dass die SPD das im Blick hat. In dieser Legislaturperiode wollen wir angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage aber gerade die Steuern senken – sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für die Unternehmen.
Ab wann ist für Sie ein Mensch reich?
Kukies: Beim Reichtum gibt es für mich keine fest definierte Einkommens- oder Vermögensgröße.
Sind Sie reich?
Kukies: Ich gehöre sicherlich sowohl vom Vermögen als auch vom Einkommen zu den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland, die ein relativ hohes Einkommen haben. Das ist aber hart erarbeitet. Während meines Studiums habe ich mein Geld als Taxifahrer verdient, anschließend über Assistenztätigkeiten, ehe ich ins Berufsleben eingestiegen bin.
Vier Milliarden Euro stehen nächstes Jahr für Hilfen der Ukraine zur Verfügung. Was passiert, wenn Donald Trump die US-Hilfe einstellt?
Kukies: Ich will nicht spekulieren, was der gewählte Präsident machen wird. Allgemein lässt sich sagen: Wenn es neue Ereignisse gibt, die es erfordern, dass der Bundestag und insbesondere der Haushaltsausschuss zusätzliche Finanzmittel bewilligt, dann gibt es dafür auch in der vorläufigen Haushaltsführung Mechanismen, die im Grundgesetz klar geregelt sind.
Dann wird es also trotz Minderheitsregierung Kompromisse geben?
Kukies: Wir wissen weder, was die neue US-Regierung macht, noch, wie sich der furchtbare Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine entwickelt. Viele der brutalen Angriffe Russlands gegen die Energieinfrastruktur, die zivile Infrastruktur und die Gesundheitsinfrastruktur lösen nicht nur unfassbares menschliches Leid aus, sondern haben auch große finanzielle Belastungen zur Folge. Wir haben es gerade geschafft, die G7-Unterstützung für die Ukraine in Höhe von 50 Milliarden Dollar auf den Weg zu bringen. Und auch Deutschland bleibt trotz vorläufiger Haushaltsführung handlungsfähig.
Der Bundeskanzler hat einmal gesagt, er hat sein Geld auf dem Sparbuch oder Girokonto liegen. Finden Sie das als Bundesfinanzminister klug?
Kukies: Jeder trifft seine Entscheidungen, wie Geld angelegt wird, individuell. Je nach Lebensalter und persönlicher Risikoneigung hat jeder unterschiedliche Präferenzen, tickt und investiert anders. Das ist auch gut so.
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Sie mussten Ihre Aktien verkaufen, als Sie Staatssekretär wurden. Ist das noch zeitgemäß?
Kukies: Ja, absolut. Ich war als Staatssekretär unter anderem zuständig für den Fintech-Rat. Es ist völlig zeitgemäß und richtig, dass man in dieser Funktion keine Beteiligungen an Fintech-Unternehmen halten darf. Deshalb habe ich nach Prüfung sofort alles verkauft. Völlig zulässig war es dagegen, in breite Indexfonds zu gehen. Auch das ist streng geprüft.
Sozialverbände machen sich große Sorgen, dass Freiwilligendienste im Januar nicht mehr bezahlt werden können. Können Sie entwarnen?
Kukies: Alle gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen und Verpflichtungen werden in der vorläufigen Haushaltsführung erfüllt.
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Sollten Eigentümer jetzt noch schnell die Förderung für den Heizungstausch mitnehmen?
Kukies: Grundsätzlich können Förderprogramme auch unter der vorläufigen Haushaltsführung weitergeführt werden. In welchem Umfang Mittel für die einzelnen Förderprogramme verfügbar sind, ist von den zuständigen Fachressorts zu prüfen und zu entscheiden. Das Grundgesetz gibt hier klare Regeln vor.
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„Wir wollen überschuldete Kommunen entlasten. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass sie sich nach der Hilfe so verhalten, dass keine neuen Probleme hinzukommen. Es braucht also eine Selbstverpflichtung. “
Viele Kommunen klagen über hohe Altschulden. Sollte der Bund einspringen?
Kukies: Bund und Länder könnten die Lasten dieser Altkredite möglicherweise kostengünstiger als betroffene Kommunen finanzieren. Politisch als auch wirtschaftlich wäre es sinnvoll, die entsprechenden Kommunen zu entlasten. Volkswirtschaftlich sind die Kommunen durch ihre Investitionen enorm bedeutend. Und im Alltag spüren die Menschen die Daseinsvorsorge in Form von besseren Kindergärten, Schulen oder dem öffentlichen Nahverkehr.
Was wollen Sie also konkret machen?
Kukies: Wir wollen überschuldete Kommunen entlasten. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass sie sich nach der Hilfe so verhalten, dass keine neuen Probleme hinzukommen. Es braucht also eine Selbstverpflichtung. Und wir müssen die Übernahme der Altschulden so organisieren, dass die Länder, deren Kommunen bereits Entschuldungsprogramme durchgeführt haben, nicht benachteiligt werden. Um die Kommunen gezielt entlasten zu können, bedarf es einer Änderung des Grundgesetzes. Diese wird auf Bitten des Bundeskanzlers derzeit von meinem Haus erarbeitet.
In der Schublade liegt auch das Gesetz zur Reform der privaten Altersvorsorge. Werden Sie das sogenannte Lindner-Depot noch einbringen?
Kukies: Jeder sieht, dass die Riester-Rente in der Öffentlichkeit nicht mehr angenommen wird. In Ländern wie Schweden, den Niederlanden oder Dänemark profitiert die Rentenentwicklung der Bürgerinnen und Bürger von der Entwicklung der Kapitalmärkte durch eine langfristige, breit gestreute Kapitalanlage. Insofern habe ich mich mit großer Leidenschaft schon im Kanzleramt dafür eingesetzt, dass die Reform der privaten Altersvorsorge kommt. Zumal es auch die Kapitalmärkte und die Finanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen in Deutschland und Europa stärken würde. Die Realität sieht aber so aus, dass die Wahrscheinlichkeit, das Gesetz mit allen Fristen noch durch den Bundestag und Bundesrat zu bringen, sehr gering ist.
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Christian Lindner hat angekündigt, er würde mitstimmen.
Kukies: Wir haben noch keinen Regierungsentwurf, verhandeln noch über letzte Details. Und die Zahl der Sitzungswochen im Bundestag ist begrenzt. Daher ist eine Umsetzung unwahrscheinlich. Aber wir werden bis zum Schluss daran arbeiten, eine gute Grundlage für die Reform zu bieten.
Im Parlament liegt das Steuerfortentwicklungsgesetz, das unter anderem den Abbau der kalten Progression und eine Erhöhung beim Kindergeld vorsieht. Kommt das noch?
Kukies: Ich hoffe darauf – beide Maßnahmen wären eine viele Milliarden Euro umfassende, direkte Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger. Und das Gesetz enthält zusätzlich eine Entlastung für die Unternehmen, zum Beispiel durch deutliche Verbesserungen der Abschreibungsbedingungen für Investitionen.
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