Berlin. CSU-Landesgruppenchef Dobrindt sagt, warum Merz noch nicht gewonnen hat - und macht in der Asyldebatte eine Ansage an Österreich
Mit Scheidungen, sagt Alexander Dobrindt, kenne er sich persönlich nicht aus. Aber das, was die Ampel-Koalition da gerade aufführe, sehe doch sehr nach endgültiger Zerrüttung aus, findet der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag.. Ein Gespräch über die Asylkrise, die K-Frage in der Union – und das Trennungsjahr in der Politik.
Herr Dobrindt, wollen Sie nun gemeinsam mit der Ampel die Migration begrenzen – oder wollen Sie das nicht?
Alexander Dobrindt: Die Frage ist doch, ob die Ampelparteien die Migration überhaupt begrenzen wollen oder nicht. Die Ampel hat eine Grünen-Blockade. Sowohl die FDP als auch Teile der SPD wären bereit, notwendige Schritte der umfassenden Zurückweisungen an den Grenzen mit uns zu gehen. Die Grünen sind die Vernunftverhinderer in Deutschland. Wer jetzt keine Zurückweisungen an den Grenzen will, der akzeptiert den grenzenlosen Zustrom nach Deutschland.
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Es ist die Union, die Ultimaten stellt und Gespräche platzen lässt.
Dobrindt: Wir lassen uns nicht in eine Dauerschleife von Endlosdebatten führen. Es braucht jetzt eine drastische Reduzierung der Asylbewerberzahlen. Die Schritte, die die Ampel bereit ist zu gehen, bringen nicht die notwendige Entlastung für die Kommunen, die Schulen und das Gesundheitssystem – und schon gar nicht eine Entlastung bei der Polarisierung unserer Gesellschaft. Wir sind an einem gesellschaftlichen Kipppunkt angelangt. Deswegen muss jetzt entschlossen gehandelt werden.
Die FDP schlägt Gespräche in einer Viererrunde mit Kanzler Scholz, Vizekanzler Habeck, Finanzminister Lindner und Unionsfraktionschef Merz vor ...
Dobrindt: An einer Spitzenrunde aus Ampel und Union wäre immer auch die CSU beteiligt. Ich habe aber Zweifel, dass es zu diesem Treffen kommt, weil die Ampelvertreter kein echtes Interesse daran haben, dieses Thema zwischen Ampel und Oppositionsspitzen zu bearbeiten. Die Ampel ist vollkommen handlungsunfähig, sie existiert als Koalition nur noch auf dem Papier. Eine gemeinsame Beurteilung der Migrationslage und der notwendigen Entscheidungen ist zwischen den Ampelparteien nicht mehr zu erkennen.
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Sie erheben eine extreme Forderung: Alle Asylbewerber, die über ein anderes EU-Land nach Deutschland kommen, sollen an der Grenze zurückgewiesen werden. Wie stellen Sie sich das vor?
Dobrindt: Es ist die Lage, die extrem ist. Deswegen braucht es harte Entscheidungen, die dazu führen, dass die Souveränität über unsere Grenzen wieder erreicht wird. Wir schlagen der Ampel vor, die Zurückweisungen zeitlich befristet umzusetzen. Danach ziehen wir Bilanz.
Hat die Polizei genügend Personal, um sämtliche Asylbewerber an allen deutschen Grenzen zurückzuweisen?
Dobrindt: Meine Gespräche mit der Bundespolizei zeigen, dass es möglich wäre, diese Zurückweisungen durchzuführen. Kurzfristig würde das zu einer Belastung führen. Aber daraus entsteht in der Folge eine massive Entlastung beim Migrationsdruck auf Deutschland.
Was bedeuten Ihre Pläne für Berufspendler, Urlauber und den Güterverkehr? Kommt es an den Grenzen zu kilometerlangen Staus?
Dobrindt: Wir reden nicht über das Schließen der Grenzen, sondern über die Kontrolle der Grenzen. Das wird ohne größere Einschnitte in den Warenverkehr oder den Pendelverkehr möglich sein. Die Bundespolizei hat ein gutes Gespür dafür, Schleuserbanden und deren Methoden aufzudecken.
Was Sie vorhaben, ist auch rechtlich zweifelhaft. Die sogenannten Dublin-Regeln erlauben nur die Zurückweisung von Asylbewerbern, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind …
Dobrindt: Das europäische Recht, die Dublin-Verordnung, findet keine funktionsfähige Anwendung mehr bei fast allen europäischen Nachbarn. Wenn aber das Rechtssystem der EU so versagt, findet deutsches Primärrecht wieder unmittelbar Anwendung. Darin ist klar geregelt, dass Zurückweisungen an den Grenzen stattzufinden haben. Das wiederum führt dazu, dass Asylverfahren dorthin verlagert werden, wo sie hingehören: an die Außengrenzen der Europäischen Union.
Wie wollen Sie Flüchtlinge zurückweisen, wenn Nachbarstaaten die Aufnahme verweigern? Österreich und Polen haben schon Nein gesagt…
Dobrindt: Solche Äußerungen zeigen ja, dass das Dublin-System nicht funktioniert. Wenn Flüchtlinge über Österreich zur deutschen Grenze kommen, muss ihnen die Einreise verweigert werden. Österreich hat die Möglichkeit, seinerseits dafür zu sorgen, dass Asylbewerber nicht einfach nach Österreich kommen, sie müssen in den Ländern an der EU-Außengrenze registriert werden. Es geht darum, einen Dominoeffekt in Richtung der europäischen Außengrenzen zu erzeugen.
Ein deutscher Alleingang gefährdet den Zusammenhalt in der EU – und die Umsetzung der europäischen Asylreform, die Verfahren an den Außengrenzen und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge vorsieht…
Dobrindt: Ich habe die Sorge, dass die gesellschaftliche und politische Stabilität in Deutschland auf dem Spiel steht. Es braucht jetzt dringend einen Politikwechsel. Kommt der inhaltliche Politikaustausch nicht, folgt bei Wahlen der Parteienaustausch. Das bedeutet: Wenn die demokratische Mitte nicht in der Lage ist, eine Lösung für das Migrationsproblem zu liefern, dann werden Parteien gewählt werden, denen man zutraut, dass sie jegliches europäisches oder sonstiges Recht ignorieren, um Flüchtlinge aus Deutschland fernzuhalten.
Sie lassen sich von der AfD treiben.
Dobrindt: Das Gegenteil ist richtig. Wir tun alles dafür, dass die AfD nicht immer stärker wird, nur weil sich die deutsche Ampel-Politik als handlungsunfähig erweist. Der größte Brandbeschleuniger für das Aufwachsen der AfD ist die Unfähigkeit und der Unwillen der Ampelparteien, in der Migrationskrise zu handeln.
In der Migrationspolitik ist die Ampel seit dem Terroranschlag von Solingen recht geschlossen aufgetreten. Hoffen Sie immer noch auf vorgezogene Neuwahlen?
Dobrindt: Der größte Dienst, den Olaf Scholz Deutschland erweisen könnte, wären schnelle Neuwahlen. Mein aktueller Eindruck ist allerdings, dass die Ampel das Trennungsjahr vor der endgültigen Scheidung leider sehr ernst nimmt.
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In jedem Fall muss die Union die K-Frage klären. Ist CDU-Chef Merz die Kanzlerkandidatur noch zu nehmen?
Dobrindt: Wir haben in CDU und CSU zwei herausragende Parteichefs. Es ist der natürliche Anspruch beider Parteien, dass ihre Vorsitzenden immer als Kanzlerkandidaten infrage kommen.
Sie glauben, das Rennen ist offen?
Dobrindt: Die Kanzlerkandidatur ist offen, solange sie nicht beschlossen ist.
Wann fällt die Entscheidung?
Dobrindt: September und Oktober sind zwei gute Monate als Entscheidungskorridor. CDU und CSU haben den unbedingten Willen, die nächste Bundestagswahl zu gewinnen. Wir wollen in großer Geschlossenheit den Kampf ums Kanzleramt führen. Das Motto für CDU und CSU muss heißen: maximaler Zusammenhalt!
In allen Umfragen liegt CSU-Chef Söder vor Merz. Welche Bedeutung hat das?
Dobrindt: Umfragewerte sind immer relevant. Es sind aber auch nicht die einzigen Kriterien.