Berlin.. Was die Regierung jetzt mit dem neuen Asylkurs plant: Die Folgen für Migranten, aber auch für Pendler, Urlauber und Wirtschaft.
Polizeikontrollen an allen deutschen Landgrenzen, mehr Zurückweisungen von irregulären Migranten: Die Bundesregierung will ihren Kurs in der Asylpolitik verschärfen – und wirbt vergeblich um Kooperation mit der Union, nachdem CDU-Chef Friedrich Merz zuvor massiv Druck gemacht hatte. Nun legte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Pläne beim zweiten Asylgipfel von Koalition, Union und Ländern vor. Was ist geplant, was kommt auf die Bürger zu – und macht Europa da mit?
Grenzkontrollen: Was genau plant die Regierung jetzt?
Ab kommenden Montag, 16. September, wird die Bundespolizei auch an der West- und Nordgrenze Deutschlands Grenzkontrollen durchführen – teils an festen Stationen, teils mobil oder als Schleierfahndung im Hinterland. Ziel ist es vor allem, Schleusungskriminalität zu bekämpfen und die irreguläre Migration zu begrenzen. Die Ost- und Südgrenze wird schon jetzt kontrolliert, nun kommen Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Belgien und Dänemark dazu, zunächst für sechs Monate. Faeser sagt zudem „effektive Zurückweisungen“ zu - von allen Personen, von allen Personen, die kein Asyl beantragen, keine gültigen Papiere vorlegen oder sonst nicht zur Einreise berechtigt sind.
Allerdings sieht der Faeser-Plan vor, dass Asylbewerber in den meisten Fällen weiterhin nicht direkt an der Grenze abgewiesen werden. Sie sollen auch bei Binnengrenzkontrollen „grundsätzlich an die zuständige Erstaufnahmeeinrichtung weitergeleitet werden“ – diese Einrichtungen befinden sich auf deutschem Boden. Geprüft werden sollen nicht nur „asylrechtliche Belange“, sondern auch die „Überstellungen in andere EU-Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Dublin-Verordnung“. Wenn ein anderer EU-Staat zuständig ist, sollen die Asylbewerber in Zusammenarbeit mit diesem Land schnell dorthin abgeschoben werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) soll die entsprechenden Verfahren schneller betreiben. Die Bundespolizei soll prüfen, ob es freie Haftplätze gibt und gegebenenfalls beim zuständigen Gericht Haft beantragen, damit Betroffene nicht untertauchen.
Asylpaket: Was sollen die neuen Maßnahmen bringen?
Erstens wurden seit Oktober 2023, als die Grenzkontrollen im Osten Deutschlands ausgeweitet wurden, bereits mehr als 30.000 Migranten zurückgewiesen – das betraf aber oft Personen, die zum Beispiel kein Asyl beantragten oder gegen die wegen Straftaten eine Einreisesperre vorlag. Zweitens: Die schnelle Rückführung von Asylbewerbern, die bereits in anderen EU-Staaten Asyl beantragt haben, dürfte mit dem neuen Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden, ohne die Nachbarn mit Alleingängen zu verprellen: Voriges Jahr hatten die deutschen Behörden 74.622 Asylbewerber wieder an andere EU-Staaten abschieben wollen, aber nur in 5053 Fällen klappte das.
Drittens erhofft sich die Regierung eine abschreckende Wirkung auf irreguläre Migranten, die gar keine Chance auf Asyl haben. Viel hängt aber davon ab, wie dicht die Kontrollen sind. Da nicht überall feste Kontrollstationen geplant sind, gehen die Polizeigewerkschaften davon aus, dass sich die Aufgabe personell bewältigen lässt. Aber die gesamte Landgrenze lässt sich nicht überwachen, über die grüne Grenze können Asylbewerber trotzdem einreisen.
Sind die Forderungen der Union an die Ampel jetzt erfüllt?
Nein, nur zum Teil. CDU-Chef Friedrich Merz hatte erst am Montag die Forderung nach einem umfassenden Einreisestopp für irreguläre Migranten bekräftigt – die Zurückweisung aller Asylbewerber, die auf dem Landweg nach Deutschland kommen wollen. „Umfassend heißt umfassend. Dass im Grunde genommen alle diejenigen, die keinen Aufenthaltstitel haben, den Zugang in die Bundesrepublik nicht mehr bekommen“, sagte Merz. „Vor allem diejenigen nicht, die Asylanträge stellen.“ Entsprechend enttäuscht zeigte er sich nach dem Asylgipfel über die Regierungsvorschläge, weiteren Beratungen erteilte er eine Absage: „Die Ampel kapituliert vor der Herausforderung der irregulären Migration“.
Gegen den Unionsvorschlag einer radikalen Asylwende gibt es aber in der Koalition nicht nur rechtliche Bedenken, sondern auch die Sorge vor einem politischen Zerwürfnis auf EU-Ebene und ganz praktische Probleme: Österreich hat zum Beispiel bereits angekündigt, von Deutschland an der Grenze zurückgewiesene Asylbewerber nicht wieder einreisen zu lassen. Auch aus Polen, der Schweiz und Tschechien gibt es Signale, dass Migranten nur nach einem förmlichen Verfahren zurückgenommen würden.
Was kommt durch umfassende Grenzkontrollen auf Autofahrer zu?
Pendler, Lkw-Fahrer, Urlauber brauchen Geduld: Die Erfahrung mit den schon laufenden Kontrollen zeigt, dass es vor allem vor Autobahn-Grenzübergängen nach Deutschland zu Staus kommen kann – auch dann, wenn nur stichprobenartig Autos herausgewunken und überprüft werden. Die Wirtschaft reagiert deshalb bereits besorgt, fürchtet weitere Verzögerungen und höhere Kosten im Lkw-Verkehr.
Der Groß- und Außenhandelsverband BGA: „Das stört die Logistik und bringt damit Lieferketten durcheinander.“ Faeser sagte, die Bundespolizei werde sich bemühen, die Auswirkungen auf den Alltag von Pendlern, auf den Handel und den Reiseverkehr möglichst gering zu halten. Sie rief Reisende und Pendler dazu auf, Personalausweis und Reisepass bei grenzüberschreitenden Fahrten mitzunehmen.
Was reagieren die Nachbarn und die EU auf den deutschen Vorstoß?
Binnengrenzkontrollen im Schengen-Raum sind nichts Neues – sie sind erlaubt, wenn eine ernsthafte Bedrohung der inneren Sicherheit oder eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung festgestellt wird. Nach den Schengen-Bestimmungen sollen sie aber „die absolute Ausnahme“ und zeitlich streng begrenzt sein, wie ein Sprecher der EU-Kommission gegenüber unserer Redaktion betont. Realität ist aber, dass bereits seit 2015 zahlreiche EU-Staaten stichprobenartige Grenzkontrollen in unterschiedlicher Intensität eingeführt haben – etwa Dänemark, Österreich, Polen, Slowakei, Frankreich.
Auch Deutschland kontrolliert seit 2015 an der Grenze zu Österreich. Eine umfassende Zurückweisung von Asylbewerbern an den Binnengrenzen ist bislang die Ausnahme, an den den EU-Außengrenzen sieht es hingegen anders aus: So hat Finnland die Zurückweisung von aus Russland eingereisten Asylbewerbern beschlossen. Auch von den EU-Außengrenzen Ungarns, Polens und Griechenlands werden immer wieder Fälle von „pushbacks“ gemeldet, bei denen Asylbewerbern gegen geltendes Recht der Zugang ins Land verwehrt wird. Die EU-Kommission geht bisher nachsichtig damit um.
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