Berlin. Der CDU-Chef fordert eine radikale Asylwende. Dem Kanzler unterbreitet Friedrich Merz deswegen ein Angebot mit weitreichenden Folgen.
Friedrich Merz pocht auf eine Kehrtwende in der Asylpolitik – und bietet Kanzler Olaf Scholz dafür den Koalitionsbruch an. „Dem Bundeskanzler entgleitet mittlerweile das eigene Land“, begründete der CDU-Chef und Oppositionsführer seinen Vorstoß. „Er verliert das Vertrauen.“ Merz schlägt Scholz vor, eine „nationale Notlage“ in der Migrationspolitik auszurufen und schon in der ersten Sitzungswoche nach der parlamentarischen Sommerpause im Bundestag über eine Änderung mehrerer Migrationsgesetze zu beraten. „So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.“
Sein Angebot richte sich an „die Teile der Regierung, die guten Willens sind“, fügte der CDU-Chef hinzu. Merz rief die SPD auf, dafür im Bundestag mit der Union zu stimmen, ohne Rücksicht auf Grüne und FDP zu nehmen. „Wenn wir uns zusammenraufen – Union und SPD – dann brauchen wir weder die FDP noch die Grünen, um entsprechende gesetzliche Änderungen zu vollziehen“, sagte Merz. Der CDU-Vorsitzende weiß, dass dies das Ende der Koalition zufolge hätte.
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Will Merz die Ampel sprengen? Dies sei nicht die Bitte zur Aufnahme in eine Koalition
Soll Scholz also die Ampel ausknipsen, dreizehn Monate vor dem regulären Termin der nächsten Bundestagswahl? „Ein Bundeskanzler, der stark genug ist, eine Regierung zu führen, muss deswegen nicht gleich eine Regierung auflösen“, antwortet Merz auf eine Journalistenfrage. Danach könne man ja wieder getrennte Wege gehen. Dies sei „ausdrücklich nicht die Bitte um Aufnahme in eine Koalition“, auch mit den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen habe sein Vorstoß nichts zu tun, beteuert der CDU-Vorsitzende. Sein Vorstoß sei eine Reaktion auf die generelle Lage in der Migrationspolitik und konkret auf den tödlichen Messeranschlag von Solingen mit drei Toten am Freitagabend. Durch die Tat sei spätestens klar, dass es einen Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik brauche, sagte Merz am Dienstag.
Mit der Botschaft „Es reicht!“ war der CDU-Chef nach der mutmaßlich von einem syrischen Flüchtling begangenen Tat aufgetreten und hatte eine Wende in der Migrationspolitik gefordert. Noch am Wochenende kündigte Merz an, mit dem Kanzler über die Folgen des Anschlags reden zu wollen – schließlich sei er in der kommenden Woche ohnehin mit Scholz verabredet. Eigentlich sollte es bei dem bereits vor sechs Wochen vereinbarten Gespräch um die Stationierung von US-Raketen in Deutschland gehen.
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Merz Angebot an Scholz: Gemeinsam Migrationsgesetze ändern – auch ohne FDP und Grüne
Durch Merz‘ Äußerungen wurde der schon seit längerer Zeit ausgemachte Termin im Kanzleramt zum „Flüchtlingsgipfel“ zwischen Kanzler und Oppositionsführer. Das ist ganz nach Merz‘ Geschmack. Das zeigt sich auch nach der gut einstündigen Unterredung im Kanzleramt am Dienstagmorgen. Während Scholz schweigt, sucht Friedrich Merz die große Bühne. Er kommt in die Bundespressekonferenz und berichtet dort über sein Gespräch.
Scholz habe ihm eine ganze Weile zugehört, erzählt Merz. Dabei habe dem Kanzler angeboten, dass Union und Ampel-Koalition je einen Unterhändler benennen, um gemeinsam auszuloten, welche bestehenden Gesetze geändert werden müssten. Von seiner Seite werde er den Innenpolitiker Thorsten Frei mit der Aufgabe beauftragen, wenn der Kanzler das Angebot annehme. Als Beispiele nennt Merz Änderungen des Aufenthaltsrechts und des Asylbewerberleistungsgesetzes, aber auch Vorschriften etwa im Polizeirecht. Merz machte zudem klar, dass er Asylsuchende bereits an den deutschen Grenzen zurückweisen will.
SPD-Innenpolitiker: „Aufforderung zum Koalitionsbruch“ in den Landtagswahlen begründet
In der Haushaltswoche, der ersten Sitzungswoche des Bundestags nach der Sommerpause ab dem 9. September, könne ein halber Tag im Sitzungskalender freigeräumt werden, um zumindest in einer ersten Lesung gemeinsame Beschlüsse zu treffen, schlägt der Oppositionsführer vor. Merz fordert den Kanzler auf, von seiner Autorität Gebrauch zu machen und die Abstimmung freizugeben, also zur Not die Stimmenmehrheit von Union und SPD zu nutzen, auch wenn FDP und Grüne sich nicht anschließen.
Das wäre wohl das Ende der fragilen Koalition. Entsprechend ist die Reaktion aus der Ampel. Der SPD-Innenpolitiker Dirk Wiese kritisierte das Angebot des Oppositionsführers: „Dieses Land zeichnet sich in schwierigen Zeiten dadurch aus, dass die Regierung und die Opposition Parteigrenzen überwinden können“, sagte Wiese dieser Redaktion. „Das muss aber mit voller Ernsthaftigkeit vorgetragen werden. Die Aufforderung zum Koalitionsbruch ist doch eher den Wahlen am Sonntag geschuldet.“ Dies bedauere er sehr, sagte Wiese. „Es wird der aktuellen Aufgabe nicht gerecht.“
FDP-Fraktionschef Dürr: Merz geht noch nicht weit genug
Wie weit Merz mit seinem Vorstoß kommt, ist unsicher. Schon am Wochenende hatte Merz dem Kanzler eine Zusammenarbeit angeboten. Merz sprach sich etwa dafür aus, einen generellen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan zu verhängen. Damit stieß der Chef der Christdemokraten jedoch auf Ablehnung in der Regierungskoalition. Der Vorschlag verstoße gegen das Grundgesetz, hieß es aus der Koalition.
Der FDP indes gehen die Merz-Forderungen noch nicht weit genug. „Viele Vorschläge von Herrn Merz im Bereich der Migration decken sich mit den Vorstellungen und Forderungen der FDP. Wir wollen aber noch weitergehen und ausreisepflichtigen Dublin-Flüchtlingen die Sozialleistungen entziehen“, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr dieser Redaktion.
Nach der sogenannten Dublin-Verordnung ist das Land, in dem Geflüchtete erstmals in der EU registriert wurden, für ihr Asylverfahren zuständig. Wenn Geflüchtete auf eigene Faust in ein anderes EU-Land weiterreisen, können sie von dort in das Land zurückgeschickt werden, in dem sie zum ersten Mal registriert wurden.
Um die Migrationskrise zu lösen, brauche es alle demokratischen Parteien, betonte Dürr. Der Fall Solingen mache das besonders deutlich, weil die CDU-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen es nicht geschafft habe, den Attentäter abzuschieben, kritisierte er. „Umso wichtiger ist es, dass Bund und Länder Hand in Hand arbeiten, um das Problem in den Griff zu bekommen.“ Die FDP, so Dürr, stehe dafür bereit.