Berlin. Ausgerechnet die Stadt, die nun vom Terror heimgesucht wurde, bot den Nährboden für deutsche Islamisten – mit berüchtigten Mitgliedern.
Drei Tote, acht zum Teil Schwerverletzte, eine Stadt unter Schock und Trauer. Das Messerattentat in Solingen hat bundesweit für Entsetzen gesorgt. Der mutmaßliche Täter stammt aus Syrien, ist 26 Jahre alt und soll ein Terrorist des Islamischen Staates (IS) sein. Die Terrormiliz hat sich am Samstag zu dem Anschlag bekannt, die Bundesanwaltschaft ermittelt. In Solingen werden auch deshalb böse Erinnerungen an eine Zeit wach, in der die Stadt ein Zentrum des islamistischen Extremismus war. Von Solingen aus zogen junge Männer in den Dschihad nach Syrien und in den Irak.
1. Mai 2012: Im Stadtzentrum von Solingen demonstrieren Mitglieder einer rechtsextremen Splitterpartei, sie zeigen islamfeindliche Karikaturen. Ihnen gegenüber stehen bärtige junge Männer, manche tragen Flecktarn, andere sind in Schwarz gekleidet. Sie führen die Fahnen des sogenannten „Islamischen Staates im Irak“ mit sich, der als regionaler Ableger der Terrororganisation Al Kaida gilt und für grausame Anschläge im Irak mit zahlreichen Toten verantwortlich ist. Plötzlich durchbrechen die Islamisten die Polizeiabsperrungen, schlagen Polizisten mit Fahnenstangen, werfen Steine. Drei Beamte werden verletzt.
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Die jungen Männer gehören zur salafistischen Gruppierung Millatu Ibrahim. Millatu Ibrahim ist im Herbst zuvor in einer Hinterhofmoschee an der Konrad-Adenauerstraße in Solingen gegründet worden. Anführer der Gruppierung ist der aus Österreich stammende Prediger Mohamed Mahmoud. Rasch sammelt er etwa 50 Anhänger um sich. Unter ihnen sind junge Männer wie der aus Berlin stammende frühere Gangster-Rapper Denis Cuspert, gesellschaftliche Außenseiter wie Robert Baum, Christian Emde, Michael Noack oder Yamin Abou Zand.
Solinger exekutieren vor laufender Kamera zwei syrische Soldaten
Nur wenige Wochen nach den gewaltsamen Ausschreitungen in Solingen verbietet der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) Millatu Ibrahim. Die weitere Radikalisierung der Mitglieder der Gruppierung kann er nicht verhindern. Im Irak und in Syrien löst sich der „Islamische Staat im Irak“ von der Mutterorganisation und agiert selbstständig als Islamischer Staat – noch extremer, blutrünstiger, aggressiver als die Al Kaida. Viele der früheren Mitglieder von Millatu Ibrahim reisen in den Nahen Osten, wo der IS im Sommer 2014 sein Terrorkalifat ausruft.
Die Fanatiker des IS unterjochen weite Teil des Irak und Syriens und ermorden unzählige Menschen. Sie verüben einen Genozid an der religiösen Minderheit der Jesiden, versklaven Tausende jesidische Frauen. Die Solinger bilden im Irak und in Syrien eine eigene Brigade innerhalb des IS. In Videos stellen sie ihren Blutdurst zur Schau. Mahmoud und Zand exekutieren vor laufender Kamera eiskalt zwei syrische Soldaten. Emde spricht in einem Interview davon, 500 Millionen Schiiten auslöschen zu wollen.
Baum stirbt bei einem Selbstmordanschlag, bei dem er 50 Soldaten mit in den Tod reißt. Wie er sterben die meisten der Solinger Dschihadisten in der Ferne. Das Terrorkalifat geht 2019 endgültig unter. Die Idee, für die sie in den Krieg gezogen sind, lebt aber weiter. Im Mai spricht unsere Redaktion Erbil, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan im Irak, mit dem kurdischen Innenminister Rebar Ahmed Khalid. Er warnt eindringlich vor den Gefahren, die noch immer vom IS ausgehen.
„Suchen nach einer passenden Gelegenheit, wieder aktiv zu werden“
„Sie suchen nur nach einer passenden Gelegenheit, wieder aktiv zu werden. Auch Deutschland sollte wachsam sein.“ Zu dieser Zeit halten die deutschen Sicherheitsbehörden den afghanischen Ableger des IS für die größte Sicherheitsherausforderung. Viele Spuren vereitelter Anschläge führen an den Hindukusch. Khalid aber gibt zu bedenken, dass der IS auch im Irak und in Syrien noch immer Tausende Anhänger habe. „Aktuell ist der IS viel stärker als im Jahr 2014.“
Regelmäßig werden im Irak und Syrien Soldaten und Zivilisten Opfer von IS-Attacken. Die Gruppierung sei aber in der Lage und willens, größere Operationen und Anschläge auch im Ausland durchzuführen oder orchestrieren, gibt der Innenminister bei dem Gespräch im Mai überzeugt. Der Messermord von Solingen könnte seiner düsteren Warnung recht gegeben haben.
Am Sonntagmittag stehen vor der Stadtkirche in Solingen zwei Männer. Der Fronhof, der Platz, auf dem der Täter gemordet hat, ist nur wenige Meter entfernt. Sie schauen auf die Blumen, die Menschen in Gedenken an die Toten und Verletzten abgelegt haben. Sie sprechen nur schlecht Deutsch, wollen ihre Namen nicht sagen. Sie stammen aus Zakho im Norden der autonomen Region Kurdistan im Irak. „Was hier passiert ist, geschieht unseren Leuten jeden Tag“, sagt einer. Die beiden Männer sind Jesiden.
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