Vom 4. bis 7. Juni waren 375 Millionen EU-Bürger dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. abendblatt.de hat Ihre Fragen gesammelt und beantwortet.
Hamburg/Brüssel. Sie war auf unzähligen Gipfeln, bei Kamingesprächen mit Staatschefs und mit der Bundeskanzlerin. Marlies Fischer, Europa-Expertin des Hamburger Abendblatts, beantwortete ihre Fragen zum viertägigen Wahlmarathon in Europa, zu den Kandidaten, zur Bedeutung der EU und zu allem, was Sie zur Europäischen Union interessiert. Hier sind ausgewählte Fragen und die Antworten dazu.
Frage von Hartmut Mühlhausen:
Frage: Welche Vergütung und welche sonstigen Vergünstigungen (Freifahrten,Freiflüge, Steuerfreiheit) erhalten die EU-Abgeordneten? Behalten sie die Vergütung vollständig für sich, oder müssen sie ihrer Partei etwas abgeben oder spenden?
Antwort: Mit der Wahl am Sonntag tritt das neue Statut der Europa-Abgeordneten in Kraft. Ab dann sollen Europa-Abgeordneten ein Gehalt von der EU beziehen, das 38,5 Prozent der Grundbezüge eines Richters am Europäischen Gerichtshof entspricht und direkt von der EU bezahlt wird, statt wie bisher von den jeweiligen Mitgliedstaaten. Nach EU-Steuern entspricht dies circa 6000 Euro monatlich, einige Mitgliedsstaaten werden die Einkommen zusätzlich besteuern. Zu den Diäten hinzu kommen eine steuerfreie Kostenpauschale von 4202 Euro pro Monat für Bürokosten, 4148 Euro pro Jahr für Reisen sowie 298 Euro Tagegeld pro Sitzungstag für Unterkunft und Verpflegung in Brüssel und Straßburg. Letztere sind abhängig von der Präsenz der Abgeordneten im Parlament.
Außerdem können die Parlamentarier Mitarbeiter als persönliche Referenten, wissenschaftliche Mitarbeiter oder Assistenten beschäftigen – das Parlament kommt dafür entsprechend der tatsächlichen Kosten bis zu einer Höhe von derzeit 16 914 Euro monatlich auf. Die Europa-Abgeordneten sind außerdem gehalten, die gleiche Sonderabgabe an die Partei zu leisten wie die Bundestagsabgeordneten. Bei der CDU sind das rund 350 im Monat.
Fragen von Eva Eiben:
Frage: Warum wird das sich einigende Europa unverändert abwechselnd in Brüssel und Strassburg regiert?
Antwort: In Straßburg sitzt das Europäische Parlament, in Brüssel sitzen die EU-Kommission und der Rat der Europäischen Union. Die Fraktions- und Ausschusssitzungen des EP finden in der Regel in Brüssel statt.
Frage: In welcher der beiden Städte wird am erfolgreichsten gearbeitet?
Antwort: Da gibt es wohl keinen Unterschied.
Frage: Warum und wie lange noch wird der Sitz des Parlaments trotz immenser Mehrkosten in beiden Orten beibehalten? Wer hat über die Beibehaltung der zwei Orte zu entscheiden und ist überhaupt mit einer evtl. Zusammenlegung in naher Zukunft zu rechnen?
Antwort: Der Sitz der EU-Institutionen ist in den EU-Verträgen festgelegt. Änderungen können nur einstimmig von den Staats- und Regierungschefs beschlossen werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass Frankreich oder Belgien dem Abzug einer Institution aus ihrem Land zustimmen.
Frage: Wann wird Deutschland über den Vertrag von Lissabon endgültig entscheiden?
Antwort: Bundestag und Bundesrat haben bereits zugestimmt, der Bundespräsident hat aber noch nicht unterschrieben, weil vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) noch eine Klage des CSU-Politikers Peter Gauweiler anhängig ist. Das BVG will im Sommer entscheiden.
Frage: Wird im Abendblatt und allen übrigen Printmedien als Muster noch ein Wahlzettel vor der Wahl abgedruckt mit Erläuterungen?
Antwort: Der Stimmzettel ist 94 Zentimeter lang und damit zu umfangreich für einen Abdruck. Sie finden den Stimmzettel unter http://www.hamburg.de/europawahlen/stimmzettel/
Frage : Kann ein normaler Bürger (Leserin des Abendblattes) der EU das Parlament in Brüssel bzw. Strassburg besuchen? Wenn ja, wie und wann?
Antwort: Wenden Sie sich nach der Europa-Wahl bitte an Ihren/Ihre zuständige/n Abgeordnete/n. Außerdem veranstaltet die überparteiliche Europa-Union, Telefon 040-344142, regelmäßig Studienfahrten. Und auch die parteinahen politischen Stiftungen organisieren solche Studienfahrten.
Frage von Wolf Achim Wiegandt:
Frage : Wer hat die Reihenfolge der Parteien auf dem Stimmzettel nach welchen Kriterien entschieden?
Antwort: Nach Paragraph 15, Absatz 3 des Europawahl-Gesetzes richtet sich die Reihenfolge der Wahlvorschläge auf den Stimmzetteln in den einzelnen Bundesländern nach der Zahl der Stimmen, welche die Parteien und sonstigen politischen Vereinigungen bei der vergangenen Wahl zum Europäischen Parlament mit ihrem Wahlvorschlag in dem betreffenden Land erreicht haben (Nummer 1 bis 17). Die übrigen Wahlvorschläge schließen sich in alphabetischer Reihenfolge der Namen der Wahlvorschlagsberechtigten an (Nummer 18 bis 31). Deshalb stehen zum Beispiel die Freien Wähler auf Platz 27 oder die Piratenpartei auf Platz 29.
Fragen von Knut Leissner:
Frage: Warum muss Deutschland den höchsten Beitrag bezahlen und hat dabei nur genauso viel Stimmrechte, wie kleinere Beitragszahler?
Antwort: Die Beitragszahlungen an die EU richten sich nach der Wirtschaftskraft eines Landes. Wie alle anderen zahlt Deutschland 1,24 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) an den EU-Haushalt. 2008 waren das 7,4 Milliarden Euro. Kassiert hat Deutschland 1,1 Milliarden Euro. Deutschland hat im Rat der Europäischen Union 29 Stimmen, genau wie Frankreich, Großbritannien und Italien. Diese Quote richtet sich nach Einwohnerzahl und Ländergröße.
Frage: Warum bekommt Großbritannien Beitragsrabatt und andere Staaten nicht?
Antwort: Das hat die damalige Premierministerin Margaret Thatcher 1984 ausgehandelt, als es um den EU-Haushalt ging. Von dem profitierte Frankreich überproportional, weil das Land hohe Agrarsubventionen erhielt. Der Rabatt kann von den Staats- und Regierungschefs der EU nur einstimmig abgeschafft werden. Jeder britische Regierungschef hat bisher aber energisch versichert: "Der britische Rabatt ist nicht verhandelbar."
Frage : Wenn 80 % der Gesetze in Brüssel entschieden werden, wofür haben wir dann noch exorbitant kostenaufwendige Bundes- und Landesparlamente?
Antwort : Es gibt keinen europäischen Gesamt-Staat, sondern 27 souveräne Mitgliedsstaaten mit eigenständigen Regierungen und Parlamenten.
Frage: Warum durfte die deutsche Bevölkerung nicht zum Lissabon-Vertrag abstimmen?
Antwort: Das Grundgesetz sieht derartige plebiszitäre Elemente nicht vor.
Frage von Barthold Olbers:
Frage: Welche Parteien und Gruppen kandidieren in Hamburg zur Europawahl? Steht die Antwort irgendwo im Internet?
Antwort: Der Stimmzettel zur Europawahl ist diesmal 94 cm lang und übertrifft damit den bisherigen „Rekord“ zur Europawahl 2004 (72 cm). Zugleich hat es auch bei keiner der bisherigen sechs Europa-Wahlen so viele Wahlvorschläge auf dem Stimmzettel gegeben. Mit 31 Parteien und Gruppierungen ist die bisherige Höchstzahl bei der Europawahl 1994 mit 24 Listen deutlich übersprungen. Folgende Parteien stehen auf der Liste:
1. CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands, 2. SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands, 3. GRÜNE BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 4. FDP Freie Demokratische Partei, 5. DIE LINKE, 6. Die Tierschutzpartei Mensch Umwelt Tierschutz, 7. REP DIE REPUBLIKANER, 8. FAMILIE Familien-Partei Deutschlands, 9. DIE FRAUEN Feministische Partei DIE FRAUEN, 10. Volksabstimmung Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland, für Demokratie, 11. DKP Deutsche Kommunistische Partei, 12. PBC Partei Bibeltreuer Christen, 13. ödp Ökologisch-Demokratische Partei, 14. AUFBRUCH Aufbruch für Bürgerrechte, Freiheit und Gesundheit, 15. BüSo Bürgerrechtsbewegung Solidarität, 16. PSG Partei für Soziale Gleichheit, Sektion der Vierten Internationale, 17. CM CHRISTLICHE MITTE - Für ein Deutschland nach GOTTES Geboten, 18. 50Plus 50Plus Das Generationen-Bündnis, 19. BP Bayernpartei, 20. AUF AUF - Partei für Arbeit, Umwelt und Familie, 21. DVU DEUTSCHE VOLKSUNION, 22. FW FREIE WÄHLER, 23. DIE GRAUEN, 24. DIE VIOLETTEN, 25. EDE Europa - Demokratie - Esperanto, 26. FBI Freie Bürger-Initiative, 27. Newropeans, 28. PIRATEN Piratenpartei Deutschland, 29. RRP Rentnerinnen und Rentner Partei, 30. RENTNER Rentner-Partei-Deutschland, 31. FÜR VOLKSENTSCHEIDE (Wählergemeinschaft).
Im Internet finden Sie die Liste unter:
http://www.hamburg.de/europawahlen/stimmzettel/
Frage von Rolf Brünsicke:
Frage: Welche Macht hat das Parlament und worüber entscheidet es ausschließlich und auch letztendlich?
Antwort: Das Europäische Parlament ist die Vertretung der Bürger der Europäischen Union. Die Kompetenzen und Befugnisse des Europäischen Parlaments gliedern sich in die drei traditionellen Kompetenzbereiche eines nationalen Parlaments: Gesetzgebung, Haushalt und Kontrollbefugnisse.
Das Europäische Parlament ist an allen Prozessen der Gesetzgebung innerhalb der Union beteiligt. Zwar kann es selbst keine Gesetze initiieren – dieses Recht hat allein die Kommission – es kann aber die Kommission auffordern, Vorschläge zu erarbeiten.
Bürger der Europäischen Union haben die Möglichkeit, mittels Petitionen an das Parlament die Kommission auf einen Gesetzgebungsbedarf hinzuweisen. Das Europäische Parlament kann das Arbeitsprogramm der Kommission bezüglich der geplanten Gesetze prüfen und Ergänzungen oder Änderungen fordern.
Das Europaparlament wird ferner bei jedem Rechtsetzungsakt konsultiert. In der überwiegenden Anzahl der Rechtssetzungsakte der Europäischen Union kommt das so genannte Mitentscheidungsverfahren zur Anwendung, in dem das EP eine wesentliche Rolle spielt. Sollte es im Verlauf des Verfahrens zu Konflikten zwischen dem Rat der Europäischen Union und dem EP kommen und auch der Vermittlungsausschuss kein Einvernehmen herstellen können, so kann das EP jede Gesetzesinitiative, die durch dieses Verfahren eingebracht wurde, scheitern lassen.
Auch bei den anderen üblichen Verfahren zur Gestaltung von Vorschriften und Gesetzen ist das Europäische Parlament in unterschiedlichem Umfang mit beteiligt. Kein Gesetz kann innerhalb der Union ohne eine Stellungnahme der gewählten Abgeordneten verabschiedet werden. Ihre Kompetenzen sind aber insbesondere in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit eingeschränkt.
Zusammen mit dem Rat teilt sich das Europäische Parlament die Entscheidungsbefugnis über den Haushalt der Europäischen Union und bildet zusammen mit dem Rat die beiden Arme der Haushaltsbehörde. Dabei steht dem Europaparlament die letztendliche Entscheidung über die so genannten nicht-obligatorischen Ausgaben zu. Dieses sind Ausgaben, die sich nicht aus vertraglichen Verpflichtungen der EU ergeben.
Im Gegensatz zu den obligatorischen Aufwendungen aus den Verträgen der EU besteht bei den nicht-obligatorischen Ausgaben ein Gestaltungsraum für das EP. Einen großen Anteil an den obligatorischen Ausgaben haben die Aufwendungen für die Subventionen im Agrarbereich. In Zukunft sollen sich diese umfangreichen Aufwendungen am Gesamthaushalt der Europäischen Union verringern. Dann würde sich auch die Gestaltungsmacht des Europäischen Parlaments vergrößern.
Der Vertrag von Lissabon sieht eine Abschaffung der Unterscheidung zwischen den Ausgabentypen und damit eine Vergrößerung des Gestaltungsraumes des EP vor. Nach dem gültigen Verfahren aber hat das EP bereits einen großen Einfluss auf die Ausgabenseite.
Der Haushaltsvorentwurf der Kommission wird nach der ersten Lesung im Europäischen Rat dem Parlament als Haushaltsentwurf vorgelegt. Nach seiner Zustimmung oder Änderung wird der Entwurf erneut dem Rat vorgelegt, er muss abschließend aber in zweiter Lesung vom EP verabschiedet werden. Nach Ende des Haushaltsjahres obliegt es dem EP, der Kommission die Entlastung zu erteilen.
Eng mit seiner Rolle im Zustandekommen des Haushalts ist auch die dritte Funktion des Parlaments verknüpft: die Kontrolle. Das Europäische Parlament ist allein für die Entlastung der Kommission zuständig. Es kann der Kommission eine Annahme des Haushalts verweigern oder ihr die Entlastung versagen. Bei groben Verstößen kann das EP auch ein Misstrauensvotum gegen die Kommission aussprechen.
Aus seiner Mitte können jederzeit Fragen an alle EU-Organe formuliert werden. Hier haben der Rat, die Kommission und auch die Mitgliedsländer eine Informationspflicht, d. h. sie müssen Auskunft geben. Diese Berichte werden dann offiziell vom Parlament geprüft.
Diese Kontrollmöglichkeit können auch die Bürger der EU nutzen, wenn sie sich mit Petitionen an das Parlament wenden. Stellt der Petitionsausschuss einen Verstoß fest, kann das Europäische Parlament Klage gegen Organe oder Mitgliedstaaten der EU vor dem Europäischen Gerichtshof erheben.
Dabei agiert das Parlament selbst nicht als gerichtliche Instanz. Es ist also nicht in der Lage, Urteile auszusprechen oder auch Gerichtsbeschlüsse durch Gerichte der Mitgliedsstaaten aufheben. Die Petitionen bieten aber eine Möglichkeit der Bürger, auf Missstände aufmerksam zu machen. Die meisten eingehenden Petitionen betreffen Themen des Umweltschutzes, der sozialen Sicherheit, die Freizügigkeit innerhalb der EU oder Bereiche der Steuerharmonisierung.