52 geheime Fotos und Videos des toten Terrorfürsten sollen unter Verschluss bleiben. Eine Organisation klagt und will die grausigen Bilder sehen.
Washington/Berlin. Eine amerikanische Spezialeinheit der Navy Seals tötete ihn und warf seine Leiche von einem Flugzeugträger in den Indischen Ozean. Und doch scheint Terrorfürst Osama Bin Laden, erschossener Chef des Netzwerkes al-Qaida, lebendiger denn je. Vor allem in der politischen Debatte in den USA. Dabei wehrt sich US-Präsident Barack Obama gegen die Veröffentlichung von Aufnahmen des toten Bin Laden . Die konservative US-Organisation Judicial Watch hatte Klage gegen die US-Regierung eingereicht, da die Geheimhaltung der 52 Foto- und Videoaufnahmen gegen das Informationsfreiheitsgesetz verstoße. Das US-Justizministerium forderte das Gericht auf, die Klage abzuweisen.
Die Bilder sollten der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden, da ansonsten Gewaltakte gegen im Ausland lebende amerikanische Staatsbürger und Rückschlüsse auf die US-Geheimdienstarbeit zu befürchten seien. Bin Laden war Anfang Mai in Pakistan von einem US-Sonderkommando getötet worden.
Derweil tobt eine gewalttätige Auseinandersetzung und ein diplomatischer Streit zwischen den USA und Pakistan. Tödliche Anschläge in Kabul, die Terroristen gehören zum Haqqani-Netzwerk, dahinter steckt der pakistanische Geheimdienst – und die USA werden das nicht länger dulden. Das ist die Kurzversion der Geschehnisse der vergangenen zwei Wochen. Mit bisher nicht gekannter Deutlichkeit machte der US-Generalstabschef Mike Mullen klar, dass die USA die Bedrohung der afghanischen Hauptstadt Kabul und der US-Truppen durch den islamistischen Terrorclan der Haqqanis nicht länger hinnehmen.
Um den Druck auf die pakistanischen Unterstützer der islamistischen Terrorgruppe zu erhöhen, hat Admiral Mullen offen davon gesprochen, dass „das Haqqani-Netzwerk tatsächlich als ein Zweig des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Service Intelligence (ISI) tätig ist“. Das wurde vom pakistanischen Innenminister sofort dementiert. So einfach sei es aber nicht, sagt Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik: „Das Haqqani-Netzwerk ist kein reines Instrument des ISI, aber es wird geduldet, in gewisser Weise unterstützt. Es ist ein Instrument der Außenpolitik der pakistanischen Führung, also der Armee, nicht der Regierung, aber es führt auch ein Eigenleben.“
Wer steckt hinter also dieser Terrortruppe, die seit Jahren mit spektakulären Anschlägen auf sich aufmerksam macht? Die Wurzeln liegen in den 70erJahren, als sich Jalaluddin Haqqani vom paschtunischen Zadran-Stamm gegen Ministerpräsident Mohammed Daoud Khan erhob. Daoud hatte den afghanischen König gestürzt und zog den Zorn islamistischer Gruppen auf sich. Jalaluddin wurde wenige Jahre später ein mächtiger und gefürchteter Kommandeur im Kampf gegen die sowjetischen Besatzer. Sein Hauptquartier hatte er in Miram Shah im pakistanischen Nordwaziristan. Er und seine Mudschaheddin kämpften erfolgreich in der Region südlich von Kabul. Jalaluddin wurde schließlich so stark und einflussreich, dass er einen Großteil der US-Unterstützung erhielt, wobei Geld und Waffen vom pakistanischen ISI an die Gotteskrieger verteilt wurden.
Jalaluddin Haqqani wurde somit in den 80er-Jahren sowohl der Mann der amerikanischen CIA wie des pakistanischen ISI. In dieser Zeit und teils unter Haqqanis Schutz baute Osama Bin Laden seine Trainigscamps für die arabischen Mudschaheddin und schließlich im Jahr 1988 al-Qaida auf. Nach dem Rückzug der Sowjets konsolidierte Haqqani seine Machtstellung im Gebiet seines Stammes. Den Taliban, die mit Unterstützung des ISI Mitte der 90er-Jahre an die Macht kamen, schloss sich Jalaluddin eher widerwillig an. Er schwor zwar dem Talibanführer Mullah Omar den Treueeid und bekam einen Ministerposten, doch er gehörte nicht zum inneren Zirkel der Macht.
Nach dem 11. September 2001 schlossen sich die Reihen der Islamisten im Kampf gegen den gemeinsamen Feind USA wieder. Doch alters- und gesundheitsbedingt musste Jalaluddin die Führung des Haqqani-Netzwerks seinem Sohn Sirajuddin (Siraj) übergeben. Die Haqqanis wichen wieder nach Pakistan aus, nach Miram Shah, das sie mit Religionsschulen und Trainingscamps erneut zu ihrem Hauptquartier ausbauten. Von dort kooperierten sie fortan eng mit al-Qaida und anderen islamistischen Terrorgruppen.
Sie sichern sich die Unterstützung des Jadran-Stammes auf afghanischer Seite, schmuggeln Waffen und Kämpfer über die Grenze und verüben Anschläge, auch in der Hauptstadt. Deswegen heißt es in einer US-Depesche die der Nachrichtenagentur dapd vorliegt, dass der Botschafter in Pakistan gegenüber allen offiziellen Stellen mit den „stärksten möglichen Formulierungen“ fordern soll, dass gegen das Haqqani-Netzwerk vorgegangen wird. Das finanziere sich durch „illegale Aktivitäten, darunter Entführung, Erpressung, Bankraub, Drogen, Schmuggel und Betrug“. Doch die pakistanische Regierung geht weder militärisch gegen die Haqqanis vor, noch dreht sie ihnen, wie von US-Seite oft gefordert, den Geldhahn zu.
Bereits im Jahr 2008 schlugen Haqqani-Terroristen in Kabul zu: CIA und afghanischer Geheimdienst NDS beschuldigten den ISI als Drahtzieher. Für 2010 kündigte der NDS-Chef Amrullah Saleh an, dass Taliban und Haqqani-Netzwerk ihre Angriffe zunehmend auf die Kabul konzentrieren würden, um die Regierung zu destabilisieren.
Im August 2011 attackieren Haqqani-Leute erneut ein Hotel in Kabul. Am 10. September sprengen sie einen Holzlaster in einem US-Camp südlich der Hauptstadt in die Luft: fünf Tote und 77 Verletzte. Angeblich hatte der Isaf-Kommandeur John Allen zuvor den pakistanischen Generalstabsschef Ashfaq Kayani gebeten, diesen Laster aufzuhalten. Kayani soll zugesagt haben „einen Anruf zu tätigen“, berichteten Medien. Doch der Anschlag wurde verübt. Vier Tage später schlägt ein Selbstmordkommando im Kabuler Botschaftsviertel zu – 16 Tote.
„Das Haqqani-Netzwerk ist stark, verfügt über gut ausgebildete und gut ausgerüstete Kämpfer. Und jetzt geht es ihnen darum, den Erfolg zu beanspruchen“, erläutert Experte Steinberg. „Die Amerikaner haben den Abzug der Truppen eingeleitet und da möchte Haqqani signalisieren, dass sie diejenigen sind, die die Amerikaner ,vertrieben’ haben.“ (dapd/abendblatt.de)