61.000 Gläubige pilgerten zur Messe von Papst Benedikt XVI. im Berliner Olympiastadion. Das Kirchenoberhaupt ruft zur Kirchentreue auf und segnet Kinder.

Berlin. Der Bundestag ist Papst, Berlin ist Papst, Deutschland ist Papst: Papst Benedikt XVI. hat an seinem ersten Besuchstag in Deutschland zuerst Bundespräsident Christian Wulff getroffen und anschließend eine Rede im Bundestag gehalten. Am Abend feierte das Oberhaupt der katholischen Kirche zusammen mit 61.000 Gläubigen den ersten großen Gottesdienst auf seiner Deutschlandreise im Berliner Olympiastadion. Papst Benedikt XVI. rief in seiner Predigt die Gläubigen auf, sich von den Verfehlungen von Geistlichen nicht entmutigen zu lassen und der Kirche treu zu bleiben. Unmittelbar vor der Eucharistiefeier drehte der Papst im Papamobil eine Runde durch das Stadion, grüßte die Gläubigen und segnete Kinder, die ihm in das Fahrzeug gereicht wurden.

Benedikt warnte vor einem oberflächlichen Kirchenverständnis: "Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen“. Wenn dann auch noch die leidvolle Erfahrung dazukomme, dass es in der Kirche "gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut“ gebe, "dann erschließt sich das große und schöne Mysterium der Kirche nicht mehr“.

Indirekt ging er auch auf die Forderungen nach grundlegenden Reformen in der Kirche ein: "Es verbreiten sich Unzufriedenheit und Missvergnügen, wenn man die eigenen oberflächlichen und fehlerhaften Vorstellungen von 'Kirche', die eigenen 'Kirchenträume' nicht verwirklicht sieht!“ Benedikt bezeichnete die Kirche als eine "Ort des Lichtes, der Hoffnung und Zuversicht, der Ruhe und Geborgenheit“.

Er betonte: "In Christus bleiben heißt, wie wir bereits gesehen haben, auch in der Kirche bleiben.“ Der Papst fügte hinzu: "Wir halten gemeinsam Stand gegen den Sturm und geben einander Schutz.“ Er wünschte allen, "dass ihr immer tiefer die Freude entdeckt, in der Kirche in all ihren Nöten und Dunkelheiten mit Christus verbunden zu sein“.

Lesen Sie hier den ersten Tag von Papst Benedikt in Deutschland: Papst feiert mit 61.000 Gläubigen im Olympiastadion

Die Messfeier im Olympiastadion war der erste Termin der viertägigen Deutschlandreise des Papstes, bei dem er sich einer größeren Öffentlichkeit zeigte. Nach seiner Fahrt im Papamobil wurde Benedikt XVI. vom Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), begrüßt. Der Papst trug sich ins Goldene Buch der Stadt ein.

Im Wortlaut: Die Rede des Papstes im deutschen Bundestag

Unmittelbar vor Beginn der Messfeier setzte Regen ein, die Gottesdienstbesucher im Innenraum zogen den bereitliegenden Regenschutz über. Allerdings besserte sich das Wetter schnell wieder. Der Gottesdienst war wegen des großen Interesses vom Schloss Charlottenburg ins Olympiastadion verlegt worden.

Der 84-Jährige fuhr vor der Messe mit dem Papamobil durch das Stadionrund und segnete mehrere Babys, die ihm ins Auto gereicht wurden. Jubelnde Anhänger schwenkten Fahnen in den Vatikanfarben gelb-weiß, immer wieder brandete Applaus auf. Auch Bundespräsident Christian Wulff, Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) und viele Kabinettsmitglieder kamen zum Gottesdienst, den der Papst teilweise in lateinischer Sprache zelebrierte.

Benedikt rief die Katholiken auf, trotz Negativschlagzeilen zu ihrer Kirche zu stehen. "Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen“, beklagte er. Auf den Missbrauchskandal ging er nicht direkt ein; er forderte die Menschen aber auf, die Kirche nicht zu verlassen, sondern sich gegenseitig zu bestärken.

Zuvor hielt Papst Benedikt XVI. im Bundestag eine Rede und forderte die Politiker am Donnerstag auf, konsequent für das Wohl der Menschen einzutreten: "Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen.“ Unterdessen demonstrierten Tausende demonstrierten in der Innenstadt gegen den Staatsgast aus Rom.

Beim ersten Auftritt eines Papstes im Bundestag ging Benedikt nicht direkt auf die ethischen Debatten über Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik ein. In einer stellenweise professoral wirkenden Rede betonte er aber: "Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen.“ Politiker und Wissenschaftler seien daher besonders gefordert, ihre Entscheidungen auch moralisch zu bedenken.

Die meisten Abgeordneten hießen das Kirchenoberhaupt stehend mit viel Applaus willkommen. Einige Dutzend der 620 Parlamentarier - deutlich weniger als angekündigt – blieben fern, weil sie den Auftritt des Papstes für unvereinbar mit der religiösen Neutralität des Staates halten.

Missbrauchsopfer der katholischen Kirche reagierten enttäuscht. Der Papst habe im Bundestag über Macht und Recht gesprochen, sei aber auf seine Rolle als Mächtiger nicht eingegangen, kritisierte Matthias Katsch, Sprecher der Organisation "Eckiger Tisch“, in dem sich Missbrauchsopfer aus Jesuitenschulen zusammengeschlossen haben.

Wulff hatte bei der Begrüßung vor dem Schloss Bellevue am Vormittag konkrete Verbesserungen im Miteinander von Katholiken und Protestanten angemahnt. Die Ökumene ist ein Schwerpunkt der Deutschlandreise Benedikts. "Das Trennende zwischen den christlichen Kirchen bedarf der Begründung, nicht das Gemeinsame. Und deswegen haben wir hier noch sehr viel zu tun.“ Ähnlich äußerte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU).

Wulffs persönlicher Wunsch an Benedikt XVI.

Fremd im Heimatland

Papst Benedikt XVI. besucht Deutschland

Wulff ging auch auf die Probleme wiederverheirateter Geschiedener ein, denen die katholische Kirche die Kommunion verweigert. Indirekt erwähnte er die vielfachen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen. Wulff ist selbst Katholik, geschieden und in zweiter Ehe verheiratet. Die Kirche sei herausgefordert von Fragen wie: "Wie barmherzig geht sie mit den Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um? Wie mit den Brüchen in ihrer eigenen Geschichte und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern?“

Bei einem Treffen mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland wurde die große Nähe von Christentum und Judentum hervorgehoben. "Das Heil kommt nun einmal von den Juden“, zitierte Benedikt die Bibel. Der biblische Jesus war Jude.

Nur auf dem Flug nach Deutschland sprach Benedikt den Missbrauchsskandal direkt an. Die Kirche müsse lernen, solche Skandale auszuhalten und jeden Missbrauch zu bekämpfen. Er könne verstehen, dass Menschen, die den Opfern sexuellen Missbrauchs durch Priester nahestünden, nicht mehr in dieser Kirche sein wollten. Ob er im Verlauf der viertägigen Reise Opfer treffen wird, ist unklar.

Die Erwartungen an den Besuch des Pontifex sind groß. Denn die katholische Kirche, mit 24,6 Millionen Mitgliedern größte Religionsgemeinschaft in Deutschland, steckt in einer tiefen Krise. Der Missbrauchsskandal, verkrustete Strukturen, Priestermangel und ein althergebrachtes Frauenbild: Mehr als 180.000 Katholiken traten im Vorjahr aus der Kirche aus.

Wulff, seine Ehefrau Bettina sowie Merkel hatten den Papst am Morgen auf dem Flughafen Berlin-Tegel begrüßt. "Willkommen zu Hause, Heiliger Vater“, sagte Wulff. Das Wachbataillon der Bundeswehr ehrte den deutschen Papst bei seiner Ankunft auf dem Rollfeld mit 21 Salutschüssen.

DIE STIMMEN DER HAMBURGER ABGEORDNETEN ZUM PAPST

Die Berliner Innenstadt glich einer Hochsicherheitszone. Im Regierungsviertel wurden Gullydeckel verschweißt, Absperrgitter errichtet und weiträumige Parkverbote verhängt. Die Polizei forderte Anwohner an den Strecken auf, Fenster zu schließen und Balkone zu meiden.

Auch an den anderen Reisezielen des Papstes gilt die höchste Sicherheitsstufe – wie bei einem Besuch von US-Präsident Barack Obama. Die Polizei bietet insgesamt mindestens 16 000 Beamte auf.

Priester-Kostüme, aufgeblasene Kondome, laute Musik und immer wieder ein hochgehaltenes Schild "NO“: Während Papst Benedikt vor dem Deutschen Bundestag sprach, versammelten sich auf dem Potsdamer Platz in Berlin nach Polizeiangaben 9.000 seiner Kritiker. Aufgerufen vom Bündnis "Der Papst kommt“ protestierten sie in der Mitte Berlins gegen die aus ihrer Überzeugung frauenfeindliche, gesundheitsschädliche und sexualfeindliche Politik des Vatikans. Vor allem ging es ihnen um das Kondomverbot, die Nichtzulassung von Frauen zum Priesteramt und auch um die Trennung von Kirche und Staat.

Angeführt wurde der ein Kilometer lange Protestzug der insgesamt etwa 65 Organisationen, darunter Homosexuellen- und Frauenvereinigungen sowie Gewerkschaften und Parteien, von einem riesigen Truck. Er trug das Demo-Motto "Keine Macht den Dogmen!“ zur Schau. Voran fuhr ein "Papamobil“. Dominierende Bilder der Demonstration waren Schilder mit der Aufschrift "No“ oder "Nein“ sowie Transparente, auf denen zu lesen war "Homophobia kills“. Vorbei am Denkmal für die in der NS-Zeit ermordeten Schwulen und Lesben, dem Holocaust-Mahnmal und über den Boulevard "Unter den Linden“ steuerte der Zug aus insgesamt zwölf Wagen und Demonstranten die katholische Hedwigskathedrale für eine Abschlusskundgebung an.

Bereits zu Beginn tönte heftige Kritik über den Platz. Die Kirchenkritikerin Uta Ranke-Heinemann erinnerte an die Geschichte der Homosexuellenverfolgung und kritisierte, dass die katholische Kirche bis heute zu keiner anderen Einschätzung zum Thema gleichgeschlechtliche Liebe gekommen sei. Die 83-jährige Theologin, die einst ihren Lehrstuhl wegen kirchenkritischer Äußerungen verloren hatte, machte die Sexualmoral der katholischen Kirche und den für Priester geltenden Zölibat auch verantwortlich für die Missbrauchsfälle in kirchlichen Institutionen. Dies seien "Verbrechen von zwangsentsexualisierten Priestern an Kindern“. Der Papst sei der "größte Vertuscher“ dieser Verbrechen.

Bodo Mende vom Lesben- und Schwulenverband machte den Papst mitverantwortlich für die weltweite Diskriminierung Homosexueller. Die Grünen-Politikerin und Frauenrechtlerin Irmingard Schewe-Gerigk bezeichnete das Verhütungsverbot der katholischen Kirche als "Menschenrechtsverletzung“. Der Vatikan verwehre Frauen durch dieses Verbot die Selbstbestimmung, die ihnen durch das Grundgesetz garantiert sei. Sie forderte die katholische Kirche auf, "endlich in der Realität des 21. Jahrhunderts“ anzukommen.

Von Petr Jerabek mit dpa/dapd/epd/kna