Während Benedikt XVI. vor den Abgeordneten Deutschlands Umweltbewegung lobt, demonstrierten in Berlin rund 9000 Menschen gegen den Besuch des katholischen Kirchenoberhauptes.
Berlin. Es waren 20 Minuten, die Geschichte schrieben. Am ersten Tag seiner Deutschlandreise hat Papst Benedikt XVI. im Bundestag der Politik ins Gewissen geredet . Der 84-Jährige erinnerte an die Errungenschaften der Ökobewegung. "Ich würde sagen, dass das Auftreten der ökologischen Bewegung in der deutschen Politik seit den 70er-Jahren zwar wohl nicht Fenster aufgerissen hat, aber ein Schrei nach frischer Luft gewesen ist."
So etwas sei auch heute nötig, betonte der Papst. "Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen." Jungen Menschen sei damals bewusst geworden, dass irgendetwas in unserem Umgang mit der Natur nicht mehr stimme, und sie hätten gehandelt.
+++ Die Bundestagsrede von Benedikt XVI. in Auszügen +++
Benedikt XVI. machte zugleich deutlich, dass seine Sätze nicht als Lob für die Grünen ausgelegt werden sollten. "Es ist wohl klar, dass ich hier nicht Propaganda für eine bestimmte politische Partei mache - nichts liegt mir ferner als dies", sagte er lächelnd.
Noch nie zuvor hatte ein Oberhaupt der katholischen Kirche vor einem deutschen Parlament eine Rede gehalten. Benedikt XVI., der zum dritten Mal nach der Wahl zum Papst sein Heimatland besucht, nutzte die Gelegenheit zu einem eindringlichen Appell für mehr Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung. Natur und Schöpfung dürften nicht ausschließlich nach funktionalen Gesichtspunkten bewertet werden. Es könne nicht sein, dass nur noch eine solche Denkweise gelte, Ethos und Religion aber außen vor blieben. "Dies ist eine dramatische Situation, die alle angeht und über die eine öffentliche Diskussion notwendig ist." Die Rede wurde überwiegend mit großem Zuspruch und langem Applaus aufgenommen. Allerdings hatten Dutzende Abgeordnete Benedikts Besuch im Bundestag boykottiert. 48 der 76 Plätze der Linksfraktion blieben leer. Dagegen waren die Reihen der schwarz-gelben Koalition und die von SPD und Grünen dicht besetzt.
Während der Papst im Bundestag sprach, demonstrierten in Berlin rund 9000 Menschen gegen seinen Besuch. Ein Aktionsbündnis aus rund 70 Verbänden, darunter Schwulen- und Lesbengruppierungen, hatte zu dem Protest aufgerufen. Auf dem Flug von Rom nach Berlin äußerte Benedikt vor Journalisten Verständnis für die Kritik. "Proteste sind normal in einem säkularisierten demokratischen Land." Zum Thema Missbrauch betonte der Papst, die Kirche müsse jeden einzelnen Fall entschieden bekämpfen. Er sagte: "Ich kann verstehen, dass angesichts von Verbrechen wie dem sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Priester Personen, die den Opfern nahestehen, sagen: Dies ist nicht meine Kirche, die Kirche ist eine Kraft der Humanität und Moral, und wenn ihre eigenen Leute das Gegenteil tun, kann ich nicht mehr in dieser Kirche sein."
+++ Debatte: Der Papst im Sog der Eventkultur +++
Beim Empfang des Papstes im Schloss Bellevue sagte Bundespräsident Christian Wulff, Deutschland sei ein Land, "in dem der christliche Glaube sich nicht mehr von selbst versteht". Daher stelle sich auch immer wieder die Frage an die Kirche: "Wie barmherzig geht sie mit den Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um?" Damit spielte der Katholik Wulff auch auf seine eigene Situation als wieder verheirateter Geschiedener an, dem nach der katholischen Lehre die Teilnahme an der Kommunion (Abendmahl) verwehrt ist. Ausdrücklich lobte Wulff das Treffen des Papstes im "Stammland der Reformation" mit Vertretern der evangelischen Kirche, das heute in Erfurt stattfindet.
Zum Abschluss des ersten Tages seines Staatsbesuchs feierte Benedikt XVI. mit 61 000 Gläubigen eine Messe im Berliner Olympiastadion.