Mit Entschlossenheit und ungewöhnlichem Pathos wirbt die Kanzlerin bei der Generaldebatte im Bundestag für ihren Kurs zur Euro-Rettung.
Berlin. Bevor sie selbst an der Reihe ist, wird Angela Merkel ganz ruhig. Fast regungslos sitzt sie da, als SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier am Rednerpult des Bundestages von "Koalitionschaos" spricht, von "Orientierungslosigkeit" oder einer "katastrophalen Halbzeitbilanz" und damit natürlich sie meint, Merkel, die jetzt seit zwei Jahren Chefin einer schwarz-gelben Koalition ist. Am Sockel ihres Denkmals werde längst gebaut, ruft Steinmeier. Während die Rot-Grünen begeistert klatschen und sich Außenminister Guido Westerwelle (FDP) feixend in seinem Sessel auf der Regierungsbank zurücklehnt, verändert sich die ernste Kanzlerinnenmiene jedoch kaum. Das eine oder andere Mal muss Merkel aber doch kurz auflachen, wenn ihr die Schmähkritik zu abstrus vorkommt - sonst bleibt sie gelassen. Sie kennt das. Wann immer in der jährlichen Generaldebatte in der Haushaltswoche der Etat des Kanzleramtes verhandelt wird, steht die ganz große Show im Mittelpunkt, der Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition.
Doch für Merkel ist das heute anders. Für sie geht es nicht darum, den politischen Gegner zu attackieren, sondern darum, ihre eigenen Leute zur Räson zu bringen. Merkel muss die Skeptiker bei Union und FDP von ihrem Kurs in der Euro-Krise überzeugen. Zu viele sind ihren Plänen zur Rettung der gemeinsamen Währung in den vergangenen Tagen nicht gefolgt. Würde jetzt und nicht erst am 29. September über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF abgestimmt werden, käme die Kanzlerin nicht auf eine eigene Mehrheit. Die Opposition stellt deshalb längst Merkels Regierungsfähigkeit infrage - doch auch abseits dessen gilt die sogenannte Kanzlermehrheit als eine wichtige Messlatte für Rückhalt und Gestaltungskompetenz. In ihrer in vielen Fragen zerrissenen schwarz-gelben Koalition ist es wichtig, dass Merkel Union und FDP bei der Euro-Frage hinter sich vereinen kann. Es geht nicht nur um Hunderte Milliarden, sondern auch um ihre Macht. Hinter den Kulissen arbeiten die Fraktionschefs von Union und FDP nach Kräften daran, die Reihen zu schließen.
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Merkels Rede in der Generaldebatte wurde vorher zur Schicksalsrede stilisiert. Der Druck ist groß, die Erwartungen hoch. In ihrem Gesicht zu lesen ist dennoch unmöglich. Merkels zur Schau gestellte ernste Entschlossenheit und Selbstsicherheit mag auch am Urteil des Bundesverfassungsgerichts liegen, das den Euro-Rettungsschirm und sein Zustandekommen kurz zuvor für rechtmäßig erklärt hat. Nur etwas mehr Mitsprache für das Parlament fordert Karlsruhe - aber dem muss Merkel ohnehin entsprechen, weil viele kritische Abgeordnete genau dies verlangen.
"Deutschlands Zukunft ist untrennbar mit der Zukunft Europas verbunden", ruft die Kanzlerin in Richtung Union und FDP, als sie am Rednerpult steht. Der Euro sei "viel, viel mehr als eine Währung". Er sei "der Garant eines einigen Europas". Merkel dreht auf, ballt die Fäuste. Und dann der Höhepunkt: "Scheitert der Euro, scheitert Europa." Die Kanzlerin spart nicht mit Pathos. Wer sie in den letzten Wochen erlebt und gehört hat, weiß, dass ihre emotionale Verbundenheit mit der Rettung der Währung hoch ist. Das zeigt sie auch jetzt. Alle, die mit dem neuen Euro-Rettungsschirm nicht einverstanden seien, müssten eines wissen, betont Merkel: "Wir haben keine Diskussion am theoretischen Reißbrett, wie wir uns eine politische Union vorstellen." Jeder Schritt müsse sehr kontrolliert erfolgen, um keine Turbulenzen an den Finanzmärkten auszulösen. "Die Weltwirtschaft ist wie ein fein gesponnenes Netz, wer einen Faden kappt, riskiert alles." Es sei die historische Aufgabe dieser Generation, nicht das Erbe der Gründungsväter der EU zu verspielen. "Dies ist die zentrale Aufgabe dieser Legislaturperiode." Im Saal wird klar: Die Kanzlerin hat ihr Thema gefunden.
Die Rede wirkt. Der Applaus ist lang und am Ende rhythmisch, als die Kanzlerin nach 34 Minuten an ihren Platz zurückkehrt. Jetzt lächelt sie auch. "Die Kanzlerin hat eine ausgezeichnete Rede gehalten und die Wortführung bei der Euro-Rettung zurückgewonnen", sagt der Hamburger FDP-Abgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen dem Abendblatt nach der Debatte. Er hatte sich vergangene Woche noch skeptisch zu den Plänen der Kanzlerin geäußert. "Es ist deutlich geworden, dass sie genau weiß, was sie tut", meint Müller-Sönksen nun. Er will jetzt für den Rettungsfonds stimmen - nicht unbedingt wegen Merkels Rede, sondern wegen des Beschlusses der FDP-Bundestagsfraktion, dass es dabei "in jedem Fall einen starken Parlamentsvorbehalt geben soll". Das müsse im Gesetzgebungsprozess jetzt auch so umgesetzt werden.
+++Euro-Rettung: Endlich wird offen geredet+++
Am vergangenen Wochenende hatte sich auch die Hamburger FDP dafür ausgesprochen, dem neuen Rettungsfonds zuzustimmen. Dabei geht es um eine Aufstockung des deutschen Garantieanteils für verschuldete Länder von derzeit 123 auf 211 Milliarden Euro. Heute wird der Bundestag in erster Lesung darüber beraten.
Auch wenn die Euro-Rettung die Mitte der Haushaltswoche bestimmt - ein bisschen klassische Generaldebatte ist dennoch dabei. Merkel lässt es sich nicht nehmen, Steinmeiers Rede als "konfus" zu schelten, Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin nannte eine "Kanzlerinnendämmerung" unübersehbar. "Ich glaube, es wird Zeit für einen neuen Morgen", fügte er hinzu. Merkel muss jetzt hoffen, dass diese Verwünschungen nicht am 29. September zur Realität werden. Den ersten Schritt dafür hat sie heute getan.