Ministerpräsident Müller: Es gibt keinen Spielraum für Entlastungen. Auch Bürgermeister Olaf Scholz ist skeptisch. Die Steuersenkung solle nur der FDP helfen.
Berlin. Die Einnahmen des Staates sprudeln, die Rentenkasse ist gefüllt – und die schwarz-gelbe Bundesregierung denkt plötzlich wieder an schnelle Entlastungen für die Bürger. Mit Steuersenkungen, die noch vor der Sommerpause beschlossen werden sollen, will die Koalition von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vize Philipp Rösler (FDP) Millionen Bürgern trotz hoher Staatsschulden ein Geldgeschenk machen. Doch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat den Steuersenkungsplänen der schwarz-gelben Bundesregierung eine klare Abfuhr erteilt. „Die Haushaltskonsolidierung hat Priorität. Für Steuersenkungen gibt es keinen Spielraum“, sagte Scholz am Mittwoch. Die schwarz-gelben Steuersenkungspläne „sollen einzig und allein der in ihrer Existenz bedrohten FDP helfen, die mit ihren haltlosen und unseriösen Steuersenkungsversprechen enorm an Glaubwürdigkeit verloren hat." Steuersenkungen würden eine unnötige Gefährdung aller Konsolidierungsbemühungen bedeuten, so Scholz.
Auch der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hat die Steuersenkungspläne der Bundesregierung scharf kritisiert. „Ich lehne Steuerentlastungen in Milliardenhöhe – wie von der Bundesregierung angeblich geplant – ab“, sagte Müller dem „Hamburger Abendblatt“ (Donnerstag-Ausgabe). Auch nach den aktuellen Steuermehreinnahmen bestehe keinerlei Spielraum für Steuersenkungen, so der Ministerpräsident.
Mit Blick auf die schwarz-gelbe Koalition in Berlin sagte Müller: „Wer es ernst meint mit der Haushaltssanierung, darf jetzt nicht über Steuersenkungen in Milliardenhöhe reden.“ Die finanzielle Lage des Bundes und der Länder sei nach wie vor schwierig und lasse keinen Spielraum für Steuerentlastungen zu. Dies gelte für alle Bundesländer, nicht nur für Haushaltsnotlagenländer wie das Saarland.
Das Saarland werde einem solchen Vorhaben im Bundesrat nicht zustimmen, weil dadurch die Einhaltung der Schuldenbremse völlig unmöglich werde, kündigte Müller an. Er betonte, die Konsolidierung der Staatsfinanzen müsse auch weiterhin Vorrang vor Steuerentlastungen haben. Wer immer mehr Schulden anhäufe, riskiere, dass künftige Generationen von den Zinslasten erdrückt und die Gestaltungsspielräume für die Politik immer kleiner würden.
„Auf jeden Fall werden wir zu einer Entlastung bei den unteren und mittleren Einkommen kommen“, kündigte dagegen Unionsfraktionschef Volker Kauder mit Blick auf die aktuelle Lage an. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, dessen Partei seit Langem schnelle Steuersenkungen fordert, sagte: „Wir wollen die Menschen entlasten.“ In Zeiten eines kräftigen Aufschwungs, der hohe Steuereinnahmen in die Staatskassen spüle, sei der richtige Zeitpunkt für diese Diskussion. „Da sind wir uns – die Kanzlerin und ich – wir sind uns vollkommen einig“, sagte Rösler zu NDR Info. Über Details der Entlastung müsse aber noch gesprochen werden.
Die „Financial Times Deutschland“ berichtete von einem vertraulichen Gespräch von Merkel und Rösler, in dem die Kanzlerin Steuersenkungen für die Mittelschicht zugesichert habe, und zwar spätestens im Jahr der Bundestagswahl 2013. Von der SPD kamen kritische Signale. Fraktionsvize Joachim Poß kritisierte, Merkel habe sich beim Versuch, die Koalition zu retten, „zum Anhängsel der FDP“ gemacht. Er forderte Finanzminister Wolfgang Schäuble auf, der solche Entlastungspläne bislang immer mit Hinweis auf die hohen Schuldenlasten gebremst hatte, sich zu diesen Steuerversprechungen zu erklären.
Will die Regierung wie angekündigt die sogenannte „kalte Progression“ im Einkommensteuertarif reformieren, unter der vor allem Bezieher der mittleren Einkommensgruppen leiden, benötigt sie die Zustimmung der Länderkammer. Damit wäre die Regierung auch auf Stimmen aus dem rot-grünen Lager angewiesen. Neben Entlastungen bei der Einkommensteuer ist offenbar auch eine Reduzierung oder Abschaffung des Solidaritätszuschlags im Gespräch. Das deuteten Aussagen von Kauder in der ARD an. Ein solcher Schritt wäre ein Weg, eine Entlastung vorzunehmen, ohne dafür die Zustimmung des Bundesrates zu benötigen. Das könnte wichtig werden.
Von Wirtschaftsexperten kamen unterschiedliche Signale. Während das liberale Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) dies befürwortet, kommt vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) Kritik. „Die Politik droht die alten Fehler zu wiederholen, wenn in wirtschaftlich guten Zeiten die Steuern gesenkt werden“, sagte IMK-Direktor Gustav Horn der Nachrichtenagentur Reuters. Genau diese Politik habe zur hohen Staatsverschuldung geführt. Dagegen merkte der IfW-Steuerexperte Alfred Boss mit Blick auf die „kalte Progression“ an: „Diese heimliche Steuererhöhungen spülen dem Staat 2011 und 2012 insgesamt 9,5 Milliarden Euro an Mehreinnahmen in die Kassen.“ Ehe man vor der Bundestagswahl 2013 anderweitig Wahlgeschenke verteile, sollte man dem Bürger das Geld doch lieber direkt zurückgeben.
Die Grünen lehnen die Pläne der Koalition für baldige Steuersenkungen ab. „Die Ankündigung von Steuersenkungen noch in dieser Legislaturperiode ist töricht“, sagte Grünen-Fraktionsvize Fritz Kuhn zu „Handelsblatt Online“: „Merkels Geschenk an die darbende FDP bedeutet den Abschied von jeglicher Seriosität in der Haushaltspolitik.“ Kuhn begründete seine Ablehnung mit noch zu erwartenden finanzpolitischen Herausforderungen: „Die Umsetzung der Schuldenbremse, die gewaltigen Risiken im Zuge der Euro-Krise und nicht zuletzt die Finanzierung der Energiewende lassen keinen Spielraum für Steuersenkungen.“
Um eine Milliarden-Steuersenkung zur Entlastung der Mittelschicht im Bundesrat durchsetzen zu können, will die FDP vor allem die SPD mit ins Boot holen. „Die Opposition und gerade die SPD sollten sich diesem Problem nicht verschließen. Die Sozialdemokraten müssen übertriebene oppositionelle Abwehrreflexe überwinden“, sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner der Nachrichtenagentur dpa. Lindner setzt nun darauf, dass sich insbesondere SPD-geführte Länder dem Gedanken, die Mittelschicht mit einer Dividende am Aufschwung zu beteiligen, nicht widersetzen werden. „Ich lade sie zu einer konstruktiven Diskussion ein, wie eine Entlastung der Mitte möglich wird“, sagte er. (abendblatt.de/dpa/rtr)