Kanzlerin Angela Merkel gibt den Forderungen der Länder nach: Schon 2015 geht das nächste Akw vom Netz, der Rest folgt schrittweise.
Berlin. Die Bundeskanzlerin setzte gestern auf Tempo. Nur gute drei Stunden war die Forderung der Bundesländer alt, man solle die noch laufenden Atomkraftwerke in den kommenden elf Jahren nach einem festen Stufenplan vom Netz nehmen, als Angela Merkel (CDU) einschwenkte. Anders als bislang geplant soll nun für jeden der verbleibenden Meiler ein fixes Enddatum festgelegt werden, lautete der Kompromiss nach einem Gipfeltreffen der 16 Ministerpräsidenten mit der Regierungschefin im Kanzleramt.
Zuvor hatte die schwarz-gelbe Koalition erwogen, den größten Teil der Kraftwerke gesammelt im Jahr 2021 abzuschalten. Das jedoch lehnten die Länder - auch die unionsgeführten - geschlossen ab, wie sie nach einer gemeinsamen Konferenz am Morgen verkündeten. Jetzt also soll beim Abschalten ihr Kurs eines beschleunigten Ausstiegs gelten: In den Jahren 2015, 2017 und 2019 soll jeweils eine Anlage vom Netz gehen. Je drei Kraftwerke werden 2021 und 2022 abgeschaltet.
Welcher Meiler wie lange laufen wird, soll am Montag verkündet werden - hier will das Bundeskabinett die Novelle des Atomgesetzes verabschieden. Klar ist bislang nur, dass die modernsten drei Kraftwerke - Isar 2, Neckarwestheim 2, Emsland - auch am längsten laufen werden. Wie bereits zu Wochenbeginn verkündet, bleibt es zudem dabei, dass die bislang stillgelegten sieben ältesten Meiler und der Pannenreaktor Krümmel nie wieder hochgefahren werden.
"Wir wollen nicht gegen die versammelte Meinung der Länder agieren", begründete Merkel den Kompromiss. Ihr Entgegenkommen entspricht dabei jedoch nicht nur Forderungen der Länder, sondern auch jenen der Opposition. Vor allem die Grünen hatten mokiert, dass ein gestauchter und abrupter Ausstieg in zehn Jahren neue Debatten über eine Laufzeitverlängerung hervorrufen könnte - vor allem wenn es dabei zu Stromengpässen kommen sollte. Ein breiter Konsens, den die Bundeskanzlerin anstrebt, ist somit wahrscheinlicher geworden. Auch Umweltverbände dürften ein Stück weit besänftigt sein.
Zudem einigten sich Bund und Länder nach Merkels Worten auf ein Gesetz zur Endlagersuche. Neben der "ergebnisoffenen Erkundung" des niedersächsischen Salzstocks Gorleben soll damit auch die "Untersuchung neuer Formationen" anberaumt werden.
In anderen Punkten allerdings besteht weiterer Klärungsbedarf. Denn an ihrem Plan, einen der schon stillgelegten Meiler für die kommenden beiden Winter als Notreserve zu behalten, hält die Kanzlerin fest - zumindest dann, wenn kein Ersatz durch Gas- oder Kohlekraftwerke geschaffen werden kann. "Niemand möchte in Deutschland einen Blackout", sagte Merkel - und die Länderchefs akzeptierten. Wenn auch nur zähneknirschend.
Differenzen gibt es nach Darstellung beider Seiten noch beim Planungsrecht für den Ausbau von Netz- und Kraftwerkskapazitäten. Dieses reklamiert der Bund für sich, die Länder wollen es aber behalten. Jetzt soll sich eine Arbeitsgruppe mit den Problemen befassen. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zeigte sich nach seinem Besuch bei der Kanzlerin dennoch zufrieden: "Nach der Diskussion im Kanzleramt zeichnet sich für mich ein Konsens über das Ende der Atomkraft in Deutschland ab", sagte er dem Hamburger Abendblatt. "Acht Kraftwerke werden sofort abgeschaltet, darunter Brunsbüttel und Krümmel. 2022 ist endgültig Schluss." Es sei zudem vernünftig, dass jetzt ergebnisoffen nach einem geeigneten Endlager gesucht werde. Scholz mahnte: "Der Ausstieg aus der Atomkraftnutzung ist eine ernste Sache. Da verbietet sich jedes parteipolitische Taktieren." Er sei froh, so Scholz, dass es nach einem einvernehmlichen Vorgehen aussehe.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer (CDU), forderte die Opposition zur konstruktiven Zusammenarbeit auf. "Wer A sagt und noch schneller aus der Kernenergie aussteigen und den Umstieg auf die Erneuerbaren weiter beschleunigen möchte, muss auch B sagen", so Pfeiffer. Aussteigen alleine reiche nicht, es gehe auch darum, einzusteigen und den Ausbau der Netze und Speicher zu beschleunigen. "Die energieintensive Industrie ist auf wettbewerbsfähige Preise angewiesen. Es geht also um ein Gesamtpaket", sagte Pfeiffer dem Abendblatt. "Ich hoffe, dass die SPD ihrer Gesamtverantwortung gerecht wird. Ob die Grünen wirklich Interesse an einem Konsens haben oder der Regierung nur Steine in den Weg legen wollen, wird sich zeigen."
Die schwarz-gelbe Koalition trat gestern Abend zu einem Koalitionsausschuss zusammen, um weitere Details der insgesamt acht Gesetze zur Energiewende zu klären, zu denen etwa die Förderung der erneuerbaren Energien zählt. Auch das Gesetz zur Kraft-Wärme-Koppelung soll überarbeitet werden. Der Zeitplan ist weiterhin eng getaktet: Am Donnerstag wird der Bundestag zum ersten Mal über die Novelle der Atomgesetze beraten und am 30. Juni abstimmen.