EU-Energiekommissar Günther Oettinger warnt vor einem zu schnellen Atomausstieg. Atommüll solle rückholbar gelagert werden.
Hamburg. EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat davor gewarnt, sich zu schnell von der Atomenergie zu verabschieden. „Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland in der ersten Hälfte des nächsten Jahrzehnts vollständig aus der Kernkraft aussteigen wird. Aber wir müssen die Energiewende sorgfältig planen“, sagte er im Abendblatt-Interview. „Windkraft kann Atomkraft so schnell nicht ersetzen. Ein überhasteter Umstieg kann zu Versorgungsschwierigkeiten bis hin zu großen Stromausfällen führen.“
Oettinger mahnte: „Die Energiewende darf unsere Industrie nicht gefährden.“ Der Strompreis in Deutschland sei der zweithöchste in der Europäischen Union nach Dänemark. „Wenn wir den industriellen Kern erhalten wollen, muss Strom bezahlbar bleiben.“
Er gehe davon aus, dass Strom „in den nächsten Jahren erheblich teurer wird“, fügte der Energiekommissar hinzu. „Das trifft nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Privathaushalte. Es kommt darauf an, Energiearmut zu vermeiden.“ Der Staat werde „verstärkt auf den Strompreis achten müssen, wenn er die Höhe von Sozialleistungen bemisst“.
Oettinger äußerte Zweifel, ob die Europäische Union jemals ohne Kernkraft auskommen werde. „Atomstrom wird es in Europa noch viele Jahrzehnte geben“, sagte er. „14 Mitgliedstaaten nutzen die Kernkraft, 13 tun es nicht. Während Deutschland aussteigen will, baut Polen sein erstes Atomkraftwerk.“ Die Kohle werde im Energiemix erhalten bleiben, fügte der Kommissar hinzu. „Kohlekraftwerke haben Zukunft, wenn es gelingt, den Ausstoß von Kohlendioxid noch weiter zu senken.“
Oettinger gegen Endlagersuche in Baden-Württemberg
Oettinger riet zudem davon ab, die Suche nach einem Atom-Endlager auf den Südwesten Deutschlands auszudehnen. „Nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die mir bekannt sind, sind die Gesteinformationen in Baden-Württemberg für ein Endlager nicht geeignet“, sagte der frühere Ministerpräsident des Landes. „Wichtig ist, dass die Erkundung des Salzstocks in Gorleben jetzt vorankommt.“ Oettinger warnte: „Deutschland muss aufpassen, dass es in der Endlagerfrage nicht Schlusslicht in Europa wird.“
Zugleich regte der Energiekommissar an, hoch radioaktiven Abfall rückholbar zu lagern. „Der Begriff des Endlagers ist irreführend. Es geht gewissermaßen um eine Tiefgarage“, sagte er. „Wir lagern die Fässer einige hundert Meter unter der Erde. Wenn unsere Nachfahren klüger sind und eine bessere Lagerstätte finden, können sie die Fässer wieder herausholen.“
Der neue baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte eine Endlagersuche auch in Baden-Württemberg angeboten. Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Renate Künast bekräftigte diese Haltung. „Wir Grüne haben immer gefordert, die willkürliche Festlegung auf Gorleben aufzugeben“, sagte sie dem Hamburger Abendblatt (Sonnabend). Wir brauchen eine ergebnisoffene und vergleichende Endlagersuche. Wir müssen die bestgeeignete Variante finden.“
Oettinger beschrieb den Start der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg als „sehr motiviert“. Er gehe davon aus, dass diese Regierung fünf Jahre halte. Der CDU-Politiker fügte hinzu: „Ich rate meiner Partei, jetzt nicht in Depression zu verfallen.“