Der Wirtschaftsflügel der CDU warnt vor höheren Strompreisen. Brüderle: Anreize für ein energiebewusstes Verhalten notwendig.
Berlin. Nach den EU-Beschlüssen für einen gemeinsamen europäischen Strom- und Gasmarkt ist in der deutschen Politik eine Debatte über die Folgen für die Verbraucher entbrannt. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sagte dem Abendblatt, er erwarte "positive Effekte für Preise, Verbraucherschutz und Versorgungssicherheit". Gegenteiliger Meinung sind der Wirtschaftsflügel der CDU und die Hamburger Verbraucherzentrale. Die Grünen kritisierten die EU-Vorhaben als unzureichend.
Der Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs hatte am Freitag beschlossen, die nationale Abschottung der Energiemärkte bis 2014 zu beseitigen. Die Strom- und Gasversorger sollen im freien Wettbewerb miteinander konkurrieren können und zugleich die Energieinfrastruktur verbessern. Bis 2020 rechnet die EU-Kommission mit rund 200 Milliarden Euro an Kosten für den Netzausbau. Den Großteil werden die Konzerne tragen. EU-Energiekommissar Günther Oettinger will jährlich bis zu einer Milliarde Euro an EU-Budgetmitteln beisteuern.
Wirtschaftsminister Brüderle lobte den Beschluss, "dass die Energienetze europaweit grenzüberschreitend ausgebaut werden müssen und die Finanzierung der Netze auch künftig grundsätzlich Sache der Unternehmen ist". Diese Entscheidung stärke den Wettbewerb, zeigte er sich überzeugt. Brüderle begrüßte zudem, dass der Europäische Rat das bestehende, nicht verbindliche Energieeffizienzziel der EU bekräftigt habe. Er betonte: "Zur Steigerung der Energieeffizienz brauchen wir keinen staatlichen Zwang, sondern ein System von Anreizen für ein energiebewusstes Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher und der Unternehmen." Anders als Brüderle geht CDU-Fraktionsvize Michael Fuchs nach den EU-Beschlüssen von einem deutlichen Preisanstieg von Energie in Deutschland aus: "Ich halte es für illusorisch, dass die Preise in einem gemeinsamen Energiemarkt sinken können. Im Gegenteil: Die Strompreise werden steigen", sagte Fuchs dem Abendblatt.
Er verdeutlichte: "Wenn die Unternehmen Milliarden in die Energienetze investieren müssen, werden sie diese Kosten natürlich auf die Verbraucher umlegen. Das steht völlig außer Frage." Gerade Deutschland habe massiven Nachholbedarf bei dem Ausbau der Netze. Es fehlten 3500 Kilometer an Transportleitungen, so der CDU-Politiker. Seine Prognose: "Wir gehen davon aus, dass ein Vier-Personen-Haushalt mit rund 4000 Kilowattstunden Strom allein für den Netzausbau mindestens 20 Euro pro Jahr mehr zahlen wird."
Fuchs kritisierte, dass die Deutschen bereits jetzt die höchsten Energiepreise zahlten. "Ich sehe die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in großer Gefahr", so der Fraktionsvize. Es dürfe nicht passieren, "dass Netzausbau und erneuerbare Energien die Kostenstrukturen in Deutschland so kaputt machen, dass die Unternehmen hier nicht mehr produzieren wollen", warnte er. Auch der Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg, Günter Hörmann, rechnet damit, dass die EU-Vorgaben zum Netzausbau die Bürger teuer zu stehen kommt. "Die Zeche für den Netzausbau zahlt am Ende der Verbraucher", sagte er dem Abendblatt.
Die Bundesnetzagentur prüfe zwar die Höhe der Netzentgelte als Teil des Strompreises. Doch die Energiekonzerne dürften ihre Kosten auf die Netzentgelte und damit die Stromkunden umlegen. "Da kann man sich als Verbraucher noch so echauffieren. Am Ende bleibt nur der Wechsel des Anbieters", so Hörmann.
Grünen-Chef Cem Özdemir warnte davor, den Kosten des Netzausbaus vorschnell eine zu große Bedeutung beizumessen: "Das hört sich gigantisch an, ist aber ein Scheinriese, dessen wahre Größe noch nicht absehbar ist", sagte Özdemir dem Abendblatt. Er betonte: "Natürlich brauchen wir moderne Netze, und jede Energie, die wir selbst produzieren oder am besten noch einsparen, bewahrt uns vor andernfalls steigenden Kosten für Stromimporte", machte er deutlich. Selbst ehrgeizige Ausbauszenarien würden den Strompreis nur um den Bruchteil eines Cents pro Kilowattstunde erhöhen, so der Grünen-Chef.
Scharfe Kritik übte Özdemir an dem nur unverbindlichen EU-Beschluss, den Energieverbrauch durch effizientere Nutzung bis 2020 um 20 Prozent zu verringern. "Der Gipfel hat es versäumt, dieses durchaus realistische Ziel rechtsverbindlich festzuschreiben", sagte er und gab Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) daran eine Mitschuld: "Immer wenn es beim Klimaschutz konkret wird, kapitulieren Merkel und Sarkozy vor den Energie-Dinosauriern."