EU-Kommissar Günther Oettinger spricht über ein neues Energiebewusstsein, Pläne zum Stromsparen und die Kosten des Netzausbaus.
Hamburg. Zum Besuch in der Abendblatt-Redaktion kam der Energiekommissar zu Fuß. Das passt zu seinem großen Thema: Energiesparen. Günther Oettinger will im März einen Aktionsplan vorstellen und nennt im Interview die wichtigsten Vorhaben, zu denen die Sanierung von Altbauten zählt. Der CDU-Politiker, bis vor einem Jahr Ministerpräsident in Baden-Württemberg, räumt unumwunden ein: Strom wird noch teurer.
Hamburger Abendblatt: Einige CDU-Ministerpräsidenten haben sich in den vergangenen Monaten beruflich verändert. Mit welchem der früheren Kollegen würden Sie am liebsten tauschen, Herr Oettinger?
Günther Oettinger: Mit gar keinem.
Nicht mal mit Christian Wulff?
Oettinger: Jeder geht den Lebensweg, der zu ihm passt. Ich bin in Brüssel angekommen und fühle mich wohl.
Ein Jahr nach Amtsantritt in Brüssel werden Sie als "Gigant der Details" charakterisiert. Nehmen Sie das als Kompliment?
Oettinger: Ja. Wenn man als Kommissar nicht alle Details kennt, wird man leicht zum Frühstücksdirektor. Ich will mit allen Fachleuten auf Augenhöhe reden.
In welcher Sprache?
Oettinger: Meist Englisch.
Haben Sie Kurse belegt?
Oettinger: Mein Englisch verbessere ich laufend, weil 90 Prozent meiner Aktenvermerke und Konferenzunterlagen auf Englisch geschrieben sind.
Die EU hat ihren Bürgern Energiesparlampen verordnet. Haben Sie in Ihrer Brüsseler Wohnung schon alle Glühbirnen ausgetauscht?
Oettinger: Nein. Aber wenn ich neue brauche, nehme ich die umweltfreundlichen.
Die EU-Staaten haben zugesagt, ihren Energieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent zu senken. Ein realistisches Ziel?
Oettinger: Bei der Energieeffizienz sind wir auf keinem guten Weg. Daher rücken wir das Thema in den Mittelpunkt. Wenn die Mitgliedstaaten in zwei, drei Jahren immer noch keine überzeugenden Maßnahmen ergriffen haben, werde ich verbindliche Einsparziele vorschlagen.
Warum erst in zwei, drei Jahren?
Oettinger: Ich könnte mir verbindliche Vorgaben schon jetzt vorstellen. Aber dazu sind die Mitgliedstaaten nicht bereit.
Deutschland ist beim Energiesparen Schlusslicht in Europa. Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Oettinger: Die Sanierung von Altbauten muss in Deutschland zu einem Schwerpunkt werden. Hier sehe ich ungeheures Potenzial.
Das wird teuer.
Oettinger: Wenn ein Eigentümer sein Haus vom Keller bis zum Dach generalsaniert, kostet ihn das 50 000 oder 60 000 Euro. Die Rendite kommt im Lauf der Jahrzehnte - in Form geringerer Energiekosten. Die Eltern müssen investieren, und die Kinder profitieren davon. Das ist der erste Fall einer echten Generationengerechtigkeit.
Glauben Sie im Ernst, das funktioniert?
Oettinger: Wir brauchen öffentliche Anreize aus nationalen Haushalten und aus EU-Mitteln. Ich setze mich dafür ein, dass die europäischen Regionalprogramme - im Jahr sind das rund 35 Milliarden Euro - stärker für die energetische Sanierung unseres Gebäudebestandes verwendet werden.
Bedeutet konkret?
Oettinger: Ich setze mich dafür ein, dass die EU und die Mitgliedstaaten bei privaten Sanierungsvorhaben einen geringen Teil übernehmen. Das kann mit Bargeld oder Steuererleichterungen geschehen. Wir wollen eine Sanierungswelle in ganz Europa auslösen.
Sie legen im März einen Aktionsplan zur Energieeffizienz vor. Wollen Sie nach den Glühbirnen auch Mixer und Waschmaschinen verbieten?
Oettinger: Ich setze auf Marktwirtschaft. Wir sollten alle Massenprodukte mit einem Öko-Hinweis versehen: Heizungen, Kühlschränke, Fernsehgeräte, Autos. Der Verbraucher sollte nicht nur über die Leistungsstärke von Produkten informiert werden, sondern auch über ihre Energiebilanz. Das wird seine Kaufentscheidung beeinflussen.
Was schwebt Ihnen außerdem vor?
Oettinger: Wir fordern die Mitgliedstaaten auf, in nationalen Aktionsplänen darzulegen, wie sie ihren Energieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent senken wollen. Nehmen wir die Stromerzeugung: Die Kraftwerke müssen modernisiert werden, um die Energieverschwendung zu verringern. Auch in der Stahlindustrie gibt es enorme Einsparpotenziale. Und bei den Gebäuden sollte die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen - und einen möglichst großen Teil ihres Bestandes sanieren.
Welche Belastungen kommen auf die Bürger zu?
Oettinger: Strom wird sicherlich teurer. Aber größere Effizienz senkt den Verbrauch.
Welchen Teil ihres Jahresbudgets müssen die Bürger für Energieeffizienz reservieren? Fünf Prozent? Zwanzig?
Oettinger: Die Verbraucher haben ein Bewusstsein für ihr persönliches Budget, wenn es um Urlaub, Gesundheit, Nahrung geht. Jetzt müssen sie auch ein Energiebewusstsein entwickeln. Sie müssen entscheiden, was ihnen Energieeffizienz wert ist: bei der Wahl der Wohnung, des Autos, der Waschmaschine. Die Bürger müssen sich klarmachen, dass es um Investitionen geht, die sich später rentieren. Eine Waschmaschine, die wenig Energie verbraucht, wird teurer sein. Aber man kann mit ihr sparen - besonders nachts, wenn Strom billiger ist.
Die armen Nachbarn!
Oettinger: (lacht) So laut sind die neuen Waschmaschinen doch gar nicht.
Die EU hat auf ihrem jüngsten Gipfel das teuerste Projekt ihrer Geschichte beschlossen. Für 210 Milliarden Euro soll das Energienetz ausgebaut werden. Welche Leitungen kommen in Norddeutschland hinzu?
Oettinger: Vor den Küsten von Nord- und Ostsee entstehen riesige Windparks. Von dort müssen Hochspannungsleitungen in die großen Metropolen führen: Hamburg, Köln, Dortmund. Solche Energieautobahnen können entlang von Bahntrassen und Flüssen verlaufen.
Die EU will finanzielle Anreize setzen. Welche Projekte werden mit Geld aus Brüssel gefördert?
Oettinger: Solche, die im europäischen Interesse, aber nicht rentabel sind. Zum Beispiel die Anbindung des Baltikums, das bisher fast ausschließlich am russischen Netz hängt. Die Nordsee dagegen ist ein gutes Geschäftsmodell. Das Netz, das Großbritannien, Norwegen, die Beneluxstaaten und Norddeutschland mit Strom versorgt, muss sich selbst tragen.
Und zwar wie?
Oettinger: Investitionen müssen privat finanziert werden. Dazu ist es geboten, die nationalen Regulierungsgesetze zu ändern. Die Regulierungsbehörden müssen den Energieversorgern ermöglichen, mit einem Teil des Strompreises Rücklagen für Investitionen zu bilden ...
... was den Strom noch einmal teurer macht.
Oettinger: Es geht um ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde. Damit lassen sich die neuen Leitungen und weitere Speicherkapazitäten finanzieren. Wenn wir das Energienetz nicht ausbauen, ist die Gefahr eines Stromausfalls sehr real.
Danach sieht es bisher überhaupt nicht aus.
Oettinger: In Deutschland ist die Versorgung mit Kohle- und Kernkraft stabil. Bei den Ökoenergien, die massiv ausgebaut werden, kommen Risiken hinzu: Weht der Wind? Scheint die Sonne? Wenn der liebe Gott über die Versorgungssicherheit entscheidet, haben wir ein Problem. Daher brauchen wir perfekte Netze, die Schwankungen ausgleichen können.
Die Energiekonzerne machen enorme Gewinne. Warum müssen die Verbraucher einspringen, wenn es ans Investieren geht?
Oettinger: So gut geht es denen gar nicht. E.on und RWE waren in den letzten Jahren die großen Verlierer im DAX. Im Übrigen sind die großen deutschen Energieversorger im internationalen Vergleich nur mittelgroß. Die wirklich großen heißen Exxon, Chevron, Gazprom.
Unser Mitgefühl hält sich in Grenzen.
Oettinger: Das ist keine Frage des Mitgefühls, sondern der Vernunft. Wir sollten uns freuen, dass es in Deutschland wenigstens mittelgroße Energieversorger gibt. Ihre Wettbewerbsfähigkeit darf nicht gefährdet werden.
Die Bürger wehren sich jetzt schon gegen neue Stromleitungen. Wenn die EU auch noch die Genehmigungsverfahren beschleunigt, provoziert sie Szenen wie beim Bahnprojekt Stuttgart 21 ...
Oettinger: Wir provozieren gar nichts. Wir wollen die Europäer vor der Gefahr eines Blackouts schützen. Dazu ist es notwendig, dass es nicht mehr zwanzig Jahre dauert, bis neue Stromleitungen genehmigt werden, sondern höchstens fünf bis sieben Jahre. Wir müssen die Energieinfrastruktur auf die Überholspur setzen. Kommunen und Nichtregierungsorganisationen sollen und müssen aber in das ganze Verfahren eingebunden sein - wahrscheinlich schon früher, als es bisher oft der Fall ist.
Am besten, Sie rufen gleich Heiner Geißler an ...
Oettinger: Das wird nicht nötig sein, wenn wir unsere Entscheidungen gut begründen und beide Seiten Kompromisse eingehen. Vielleicht müssen wir in Einzelfällen die teureren Erdkabel akzeptieren.
Herr Oettinger, Sie kennen Hamburg auch über Ihre Lebensgefährtin Friederike Beyer. Was ist noch drin für die CDU bei der Bürgerschaftswahl?
Oettinger: Hamburg bedeutet Landtags- und Kommunalwahl in einem. Die Wählerbindung ist geringer als in einem großen Flächenland. Deswegen halte ich Veränderungen zu den Umfragen für vorstellbar. Die CDU hat Hamburg in den letzten zehn Jahren gut getan ...
... es war ja eher eine CDO - wegen Ole von Beust.
Oettinger: Die CDU ist auch für die nächsten Jahre eine gute Wahl. Christoph Ahlhaus ist ein kompetenter Kollege.
Größte Aufmerksamkeit gilt der Landtagswahl in Baden-Württemberg. Was trauen Sie Ihrem Nachfolger Stefan Mappus zu?
Oettinger: Die CDU in Baden-Württemberg ist sehr geschlossen und hoch motiviert.
Das ist ja schon mal was.
Oettinger: Es gibt in Baden-Württemberg auch keine Wechselstimmung. Stefan Mappus wird ein Ergebnis von etwas mehr als 40 Prozent erreichen. Und wenn die FDP auf sieben Prozent kommt, hat Schwarz-Gelb eine Mehrheit der Sitze.
Die FDP schwächelt ...
Oettinger: Die FDP ist in den Jahren vor der Bundestagswahl zu einer Ein-Themen-Partei geworden: Steuersenkungen. Ich kann den Liberalen nur raten, sich über zwei, drei weitere Themen zu profilieren.
Ist Schwarz-Grün im Südwesten möglich?
Oettinger: Zwischen demokratischen Parteien sollte keine Regierungsbildung ausgeschlossen werden - auch nicht zwischen CDU und Grünen. Das gilt für die Länder wie für den Bund. CDU und Grüne sollten klug genug sein, ein entsprechendes Wählervotum zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Aber für die Landtagswahl im März schließe ich in Baden-Württemberg Schwarz-Grün aus.
Die Kanzlerin hält Schwarz-Grün für ein Hirngespinst ...
Oettinger: Das hat Angela Merkel mit Blick auf das Wahljahr 2011 gesagt, in dem Bündnisse von Union und Grünen nicht sehr wahrscheinlich sind. Ich denke allerdings: Die CDU sollte Schwarz-Grün als Koalitionsoption nicht für das ganze Jahrzehnt verwerfen.
Hat sich Mappus mal bei Ihnen beklagt, dass Sie ihm den schwelenden Großkonflikt um Stuttgart 21 vermacht haben?
Oettinger: Nein. Er war ja Verkehrsstaatsekretär, als das Projekt beschlossen wurde. Verkehrsminister und Fraktionsvorsitzender waren in die Projektplanung und die Beschlussfassung voll einbezogen. Im Übrigen hilft Stuttgart 21 der CDU. Das Vorhaben mag in Stuttgart selbst strittig sein. Auf dem Land sieht das ganz anders aus.