Terrorziel im Wattenmeer? Wohl kaum, meinen Experten über die Sylt-Connection von WikiLeaks. Ein Interview mit Assange sorgt für Aufsehen.
London/Hamburg. Auch die Nordseeinsel Sylt soll auf einer geheimen Liste genannt sein, die WikiLeaks jetzt veröffentlich hat. Dabei geht es nicht um Urlaub für deutsche Politiker, die Informanten oder Beleidigte gewesen sein sollen. Vielmehr steht Sylt auf einer Liste der amerikanischen Sicherheitsbehörden, weil das atlantische Tiefseekabel dort endet. Und damit ist Sylt ein potenzielles Terrorziel. Doch Angriffe scheinen nicht wirklich unmittelbar bevorzustehen.
Die Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlichte ein Dokument mit Objekten in aller Welt, die für die nationale Sicherheit der USA wichtig seien. Von einer Aufzählung potenzieller „Terrorziele“ sprach allerdings die britische Zeitung „The Times“. In der Diplomaten-Depesche werden neben Hunderten Pipelines und wichtigen Datenkabeln auf der ganzen Welt auch Firmen genannt, deren Produkte wichtig für die nationale Sicherheit der USA seien. Darunter sind auch mehr als ein Dutzend deutsche Unternehmen. Laut Dokument ist beispielsweise das BASF-Stammwerk in Ludwigshafen als „weltgrößter zusammenhängender Chemie-Komplex“ von Bedeutung für die nationale Sicherheit der USA.
Ferner genannt werden Firmen wie Siemens als wichtiger Hersteller von Transformatoren und Turbinen zur Stromgewinnung aus Wasserkraft, die Lübecker Drägerwerk AG (Gasmesstechnik), Junghans Feinwerktechnik im baden-württembergischen Schramberg („entscheidend bei der Herstellung von Minenwerfern“) sowie diverse pharmazeutische Unternehmen in Deutschland. Auf der Liste stehen auch das ostfriesische Norden und die Nordseeinsel Sylt als Anlandepunkte für die transatlantischen Unterseekabel TAT-14 und AC-1 zur Datenübertragung zwischen Europa und den USA.
Die britische Regierung kritisierte die jüngste Veröffentlichung als Gefährdung der genannten Länder. „Wir verurteilen die Herausgabe dieser geheimen Dokumente uneingeschränkt“, sagte ein Sprecher. „Die Enthüllungen und ihre Veröffentlichung schaden der nationalen Sicherheit in den USA, Großbritannien und anderswo. Es ist unerlässlich für Regierungen, dass sie auf der Basis geheimer Informationen arbeiten können.“ Zu den britischen Objekten auf der Liste gehören unter anderem wichtige Kabelverbindungen, Satelliten-Anlagen und Fabriken.
Nach Ansicht des britischen Senders BBC wird durch das Dokument erstmals deutlich, wie weitgehend die US-Regierung die Bedeutung ausländischer Objekte und Einrichtungen für die eigene Sicherheit interpretiert. Die US-Vertretungen in aller Welt seien im Februar vergangenen Jahres von Washington aufgefordert worden, Objekte aufzulisten, deren Verlust Einschränkungen für das Gesundheitswesen, die Wirtschaft und die nationale Sicherheit der USA zur Folge hätten.
Nach kritischen Äußerungen von US-Diplomaten über die Staatsspitze in Moskau plant WikiLeaks die Veröffentlichung weiterer Dokumente über Russlands Machtsystem. „Wir werden bis Jahresende noch Tausende Dokumente veröffentlichen, in denen es auch um die russische Regierung geht“, sagte WikiLeaks-Chef Julian Assange in einem am Montag vom russischen Fernsehsender NTW ausgestrahlten Interview. In den Unterlagen, die Assange nicht näher beschrieb, werde auch der Einfluss der milliardenschweren Oligarchen sowie der mächtigsten Konzerne in Russland beschrieben, sagte er.
Medien in Moskau reagierten zurückhaltend. Bereits Anfang November habe Assange atemberaubende Enthüllungen über Russland angekündigt, kommentierte etwa der Radiosender Echo Moskwy. Herausgekommen seien bisher nur diplomatische Klatschgeschichten über die Staatsspitze. WikiLeaks hatte in der vergangenen Woche vertrauliche US-Depeschen veröffentlicht, in denen unter anderem Kremlchef Dmitri Medwedew als „blass und unentschlossen“ dargestellt wird. Außerdem verglichen ihn US-Diplomaten darin mit der Comicfigur Robin, die an der Seite von Superheld Batman alias Regierungschef Wladimir Putin nur die Nebenrolle spiele. Medwedew nannte die Einschätzungen „zynisch“ und warnte von negativen Folgen für die internationalen Beziehungen.