Er ließ sich auf einer Londoner Wache festnehmen. WikiLeaks twittert: Die Enthüllungen gehen weiter. Auch Deutschland ist betroffen.
London/Hamburg. Wikileaks-Gründer Julian Assange ist hinter Gittern, seine Enthüllungs-Plattform aber macht weiter. Die Mitstreiter des 39-Jährigen wollen geheime US-Papiere jetzt sogar noch schneller veröffentlichen. Ihr Anführer bleibt bis auf weiteres in Haft: Ein Londoner Richter lehnte am Dienstag eine Freilassung auf Kaution ab. Die USA begrüßten die Festnahme von Assange als „gute Nachricht“.
Assange war in London wegen eines Haftbefehls aus Schweden festgesetzt worden. Ihm werden dort sexuelle Vergehen vorgeworfen: Er soll bei zwei Frauen ungeschützten Sex erzwungen haben. Assange weist die Anschuldigungen zurück und spricht von einer gezielten Kampagne, hinter der die US-Regierung stehe.
Assange soll nun am 14. Dezember erneut vor dem Gericht in London erscheinen. Wann genau über eine Auslieferung nach Schweden entschieden werden könnte, war zunächst nicht bekannt. Er werde sich dagegen wehren, kündigte Assange laut BBC an.
Mehrere Prominente wie etwa die Millionärs-Tochter Jemima Khan hatten angeboten, für Assange zu bürgen. Der Richter wies die Freilassung auf Kaution mit der Begründung ab, es bestehe die Gefahr, dass Assange sich nicht selbst stellen werde.
Wikileaks gab sich kämpferisch. „Die heutige Aktion gegen unseren Chefredakteur Julian Assange wird unsere Arbeit nicht beeinträchtigen“, kündigten die Aktivisten über den Online-Dienst Twitter an. Die nächste Veröffentlichung geheimer Dokumente des US- Außenministeriums werde sogar noch mehr Papiere als üblich enthalten. Die Enthüllungs-Plattform stellt seit gut einer Woche schrittweise Dokumente aus einer Sammlung von mehr als 250 000 vertraulichen Unterlagen des US-Außenministeriums ins Netz. „Ich habe es zwar noch nicht bestätigt, aber es klingt wie eine gute Nachricht“, sagte US-Verteidigungsminister Robert Gates zu mitreisenden Journalisten auf dem Weg nach Kabul laut „New York Times“. Präsident Barack Obama und andere amerikanische Spitzenpolitiker hatten immer wieder erklärt, die Veröffentlichung geheimer Protokolle über die Kriege im Irak und Afghanistan sowie Diplomaten-Depeschen gefährde Menschenleben und schade US-Interessen.
Assange sei am Morgen bei einem vereinbarten Treffen auf einer Londoner Polizeiwache festgenommen worden, teilte Scotland Yard mit. Assange soll die vergangenen Wochen in Südengland gelebt haben, zeigte sich aber nicht in der Öffentlichkeit. Nach Angaben seines Londoner Anwalts Mark Stephens soll Assange in Schweden zu den Vorwürfen zweier Frauen befragt werden. Eine Anklage gegen ihn liege nicht vor. Nach bisherigen Informationen wird Assange vorgeworden, ungeschützten Sex erzwungen zu haben. Dies wird in Schweden härter geahndet als in anderen Ländern. Die britische Polizei hatte bereits Ende November einen Haftbefehl für Assange aus Schweden erhalten. Damals hatten sie ihn aber nicht festgenommen, weil das Dokument formale Fehler enthielt. Sein Anwalt hatte stets betont, sein Mandant habe seine Adresse bei der Polizei hinterlegt und diese wisse genau, wo er sei. Assange sei selbst auf die schwedischen Behörden zugegangen und habe um ein Treffen gebeten. Nach der Veröffentlichung der US-Dokumente stieg der Druck auf Wikileaks mit jedem Tag. Die Plattform verlor ihre Web-Adresse wikileaks.org, musste sich einen neuen IT-Dienstleister suchen, Finanzdienstleister wie PayPal, Mastercard und Visa wickeln keine Zahlungen mehr für sie ab.
Eine zentrale Geldquelle der Aktivisten in Deutschland ist dagegen nicht in in Gefahr. Die für die Wau-Holland-Stiftung zuständige Aufsichtsbehörde dementierte, dass die als wichtigster Geldgeber der Enthüllungs-Website geltende Organisation vor dem Aus steht. Die Stiftung habe zwei Mahnungen erhalten, weil sie den Geschäftsbericht nicht fristgerecht eingereicht habe, erklärte das Regierungspräsidium Kassel am Dienstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa. Das habe jedoch keine politischen, sondern stiftungsrechtliche Hintergründe. Eine Aberkennung des Steuerprivilegs drohe der Organisation nur bei schweren Verstößen gegen das Stiftungsrecht, sagte Behördensprecher Michael Conrad. Eine Stiftung muss nach Auskunft des Regierungspräsidiums spätestens neun Monate nach Abschluss des Geschäftsjahres ihren Bericht vorlegen. Geschieht das nicht, verschickt die Behörde Mahnungen – die erste nach sechs Wochen, die zweite nach vier Wochen. Reagiert die Stiftung dann immer noch nicht, setzt die Behörde einen Wirtschaftsprüfer ein, der den Bericht auf Kosten der Stiftung erstellt. Ist dieser in Ordnung, drohen jedoch keine weiteren Konsequenzen. Wikileaks finanziert sich über Spenden. Benötigt werden nach früheren Angaben der Macher mindestens 200 000 Dollar (knapp 150 000 Euro), besser noch 600 000 Dollar. Dank mehrerer spektakulärer Veröffentlichungen schwoll das Spendenvolumen im vergangenen Jahr stark an. „Seit Oktober 2009 sind rund 800 000 Euro Spenden eingegangen“, sagte Winfried Motzkus, Vorsitzender der Wau-Holland- Stiftung.
Die Veröffentlichung geheimer Dokumente der US-Diplomatie sorgt seit gut einer Woche weltweit für Aufregung. So berichtete die britische Zeitung „Guardian“ am Dienstag von einem Verteidigungsplan der Nato für das Baltikum. Er richte sich gegen eine Bedrohung aus Russland. Die Entscheidung fiel demnach in diesem Jahr auf Drängen der USA und Deutschlands. Zudem habe die US-Regierung Polen angeboten, mit Blick auf Russland Spezialkräfte der Marine im Raum Danzig zu stationieren sowie Kampfjets vom Typ F-16 und Transportflugzeuge vom Typ C-130 in das Nato-Mitgliedsland zu bringen.
Russland reagierte auf den Bericht „fassungslos“, wie die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das Außenministerium in Moskau berichtete. Es dürfe kein militärisches Gegeneinander geben. Erst im November nahm Russland am Nato-Gipfel in Lissabon teil. Bei dem Treffen der früheren Feinde wurde eine engere Zusammenarbeit vereinbart. Russland will zudem prüfen, sich an einem europäischen Raketenabwehrsystem zu beteiligen.
Hintergrund des Verteidigungsplanes ist dem „Guardian“ zufolge der Krieg Russlands gegen die frühere Sowjetrepublik Georgien im Jahr 2008 und russische Manöver in Weißrussland. Auch gebe es Sorgen wegen der der neuen Strategie, nach der Russland eine Erweiterung der Nato als Bedrohung sieht. Im Falle einer Aggression gegen das Baltikum oder Polen sind der Zeitung zufolge Kampfeinsätze von neun Nato-Divisionen aus den USA, Großbritannien, Deutschland und Polen vorgesehen. Der Einsatz von Marinekräften solle über deutsche und polnische Häfen abgewickelt werden. Damit wäre erneut auch Deutschland im Visier der Enthüllungen und der heftigen sicherheitspolitischen Debatte.
Mit einem nach eigenen Worten „vielleicht etwas überpointierten Vergleich“ hat Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) einen Bogen von den WikiLeaks-Enthüllungen zum ehemaligen Staatssicherheitsdienst (Stasi) der DDR gespannt. Beim IT-Gipfel in Dresden sagte Brüderle: „Manches was ich bei WikiLeaks da entnehme, erinnert mich an die Sammelwut, die früher Institutionen im Osten hatten – die Stasi dabei“. Auf einer späteren Pressekonferenz räumte er ein, dass der Vergleich hinke.