Ziel ist es, die Bürger um rund 20 Milliarden Euro zu entlasten. Und das schon im Jahr 2011. Die endgültige Entscheidung fällt aber erst im Mai.
Berlin. Bundeskanzlerin Angels Merkel (CDU) hat ein Machtwort gesprochen und den Streit in ihrer schwarz-gelben Koalition über eine abgespeckte Steuerreform damit vorerst beendet. Sie halte am Ziel von Steuerentlastungen von rund 20 Milliarden Euro möglichst bereits im Jahr 2011 fest, sagte Merkel der „Rheinischen Post“ (Sonnabend-Ausgabe). „Das Volumen und den Zeitplan werden wir im Lichte der wirtschaftlichen Entwicklung entscheiden“, ergänzte sie.
Am Sonntag kommen die Partei- und Fraktionschefs der Koalition im Kanzleramt zusammen. Unabhängig von den Steuervorhaben arbeitet Schwarz-Gelb an einem Aktionsplan als Zeichen der Handlungsfähigkeit noch vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Endgültig wird die Steuerfrage vermutlich erst nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai geklärt. „Die konkreten Entscheidungen werden wir mit Blick auf die wirtschaftlichen Daten und die Steuerschätzung treffen“, sagte Merkel. Diese Daten werden erst Anfang Mai erwartet. „Das Volumen und den Zeitplan werden wir im Lichte der wirtschaftlichen Entwicklung entscheiden“, sagte die Kanzlerin weiter. Als Schwerpunkte einer Steuerreform nannte Merkel die „Entlastung im Bereich des sogenannten Mittelstandsbauchs, also bei unteren und mittleren Einkommen“.
An dem Treffen am Sonntagabend im Kanzleramt nehmen neben Merkel die Parteivorsitzenden Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU) sowie die Fraktionsführer Volker Kauder (CDU), Hans-Peter Friedrich (CSU) und Birgit Homburger (FDP) teil. In Anbetracht von Rekordverschuldung und Geldnöten für neue Projekte kommt noch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ins Kanzleramt. Allerdings zeigten sich Koalitionsabgeordnete angesichts der vielen Streitpunkte am Freitag wenig zuversichtlich, dass ein Befreiungsschlag gelingen wird.
Ziel ist nach Informationen aus Union und FDP, Projekte auf den Weg zu bringen, die den Bund möglichst wenig kosten, aber bei den Bürgern gut ankommen – etwa die Beteiligung der Banken an den Lasten der von ihnen mitverursachten Finanzkrise (Bankenabgabe), um den Steuerzahler zu schonen. Auch Bildungsprojekte mit breiter Wirkung sind im Gespräch. Offiziell wird es bei dem Gespräch vor allem um die deutsche Position zur Finanzkrise in Griechenland auf dem EU-Gipfel nächste Woche gehen sowie um die Regulierung der Finanzmärkte.
Kanzlerin Merkel hatte sich den Ärger europäischer Partnerländer zugezogen, weil sie Euro- Sünder bei dauerhafter Verletzung der Schuldenregeln langfristig notfalls aus dem Währungsverbund ausschließen lassen will. Schäuble stellte im Interview mit dem Deutschlandfunk klar, vor der Nordrhein- Westfalen-Wahl am 9. Mai werde es keine Entscheidung über Steuersenkungen geben. Darüber werde erst zwischen Mitte Mai und Ende Juni entschieden.
Die Regierung will für eine verlässliche Datengrundlage die Steuerschätzung vom 4. bis 6. Mai abwarten. Vom Ausgang der Wahl in Nordrhein-Westfalen hängt es ab, ob Schwarz-Gelb eine Mehrheit im Bundesrat behält. Umfragen zufolge wird die Landesregierung aus CDU und FDP keine Mehrheit mehr bekommen. Laut ZDF-„Politbarometer“ vom Freitag liegt die CDU in NRW derzeit bei 37 Prozent und die FDP bei acht Prozent. Die SPD kommt auf 33 Prozent und die Linke auf sechs Prozent, die Grünen liegen bei zwölf Prozent. Die Wahlforscher betonen aber, dass die Zahlen sich bis zum 9. Mai noch ändern können.
Bundestag genehmigt Rekordverschuldung
Am Freitag hatte der Bundestag den Haushalt 2010 mit einer Neuverschuldung von 80,2 Milliarden Euro verabschiedet. Das ist der bisherige Höchststand in der Nachkriegsgeschichte. Finanzminister Schäuble verteidigte die massive Verschuldung jedoch als notwendig, um die Folgen der Rezession zu mildern und der Finanzkrise entgegenzusteuern. Der CDU-Politiker versprach zum Schluss der viertägigen Etatberatungen zugleich, von 2011 an werde die Regierung strikt sparen. Seine Vorgabe: Jedes Jahr bis 2016 muss nun wegen der neuen Schuldenbremse das Defizit um zehn Milliarden Euro sinken. Details zu möglichen Einschnitten nannte Schäuble aber nicht. Der Etatentwurf für 2011 wird ab Mitte Mai bis Anfang Juli erarbeitet.
Schäuble wies Forderungen der Opposition zurück, schon in diesem Jahr massiv klimaschädliche Subventionen und Steuervergünstigungen zu streichen. Das wäre Gift für die Konjunktur in der gegenwärtigen Krise. Auch der FDP-Finanzexperte Jürgen Koppelin verlangte, der kommende Etat 2011 müsse „ein Haushalt der Bescheidenheit“ werden. An die Ministerien appellierte er, keine Ausgabenerhöhungen zu fordern und keine überzogenen Wunschkataloge aufzustellen.
Die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch rechnete vor, dass die tatsächliche Neuverschuldung des Bundes dieses Jahr auf mehr als 124 Milliarden Euro klettert, wenn man die Schattenhaushalte zur Bankenstabilisierung und Konjunkturbelebung mit einrechnet. „Mehr Haushaltsnotstand geht wirklich nicht“, sagte sie. Trotzdem habe Bundeskanzlerin Angela Merkel den Bürgern Steuersenkungen versprochen, aber „ohne einen Cent in der Tasche“, kritisierte sie.
Den bisherigen Rekord bei der Neuverschuldung hatte 1996 der damalige CSU-Finanzminister Theo Waigel mit gut 40 Milliarden Euro aufgestellt. Über die Jahrzehnte hat allein der Bund einen Schuldenberg von mehr als 1.000 Milliarden Euro aufgehäuft. Zusammen mit Ländern und Gemeinden sind es knapp 1.700 Milliarden.
Größter Ausgabenposten des Bundes ist im laufenden Jahr mit 143,2 Milliarden Euro der Etat für Arbeit und Soziales, darauf entfallen knapp 45 Prozent des Gesamthaushalts. Dickster Brocken ist darin der Steuerzuschuss zur gesetzlichen Rentenkasse von rund 80 Milliarden Euro. Danach folgen als zweitgrößter Ausgabeposten schon die Zinszahlungen mit 38,9 Milliarden Euro. Über den drittgrößten Etat verfügt das Militär: Das Verteidigungsministerium darf 31,1 Milliarden Euro ausgeben.