Bei der Haushaltsdebatte zeigte sich die Opposition unzufrieden mit der Koalition - auch die EU kritisiert mittlerweile die Haushaltsstrategie.
Berlin/Brüssel. Die Unklarheit über den Sparkurs der schwarz-gelben Koalition hat jetzt auch die EU auf den Plan gerufen. Die EU-Kommission mahnte: „Die Haushaltsstrategie reicht nicht aus, um den Schuldenstand zu senken.“ Sie verlangte größere Anstrengungen beim Abbau der Schulden.
Die schwarz-gelbe Koalition türmt in ihrem ersten Haushalt den höchsten Schuldenberg in der bundesdeutschen Geschichte auf: Die Neuverschuldung steigt auf über 80 Milliarden Euro – das ist doppelt so viel wie der bisherige Defizitrekord von 1996. Merkel zufolge ist der Schuldenkurs alternativlos, weil ansonsten die Sozialbeiträge steigen müssten. Das könne Beschäftigung kosten.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf der Regierung am Mittwoch in der Generaldebatte über den Haushalt 2010 vor, mit ihren internen Querelen die Zukunft des Landes zu verspielen. Die Grünen bemängelten, Kanzlerin Angela Merkel fehlten klare Ziele. Die Linke kritisierte eine Umverteilung von unten nach oben. Merkel sieht ihre Regierung dagegen auf einem guten Weg. Der Schlüssel zur Überwindung der Probleme sei der Arbeitsmarkt.
Steinmeier sagte bei der Generalaussprache im Bundestag: „So schlecht wurde Deutschland seit Jahrzehnten nicht regiert.“ Er hielt der Regierung aus Union und FDP vor, sie habe kein gemeinsames Projekt, sei zerstritten und verspiele so das Vertrauen der Bürger. Steinmeier griff auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) direkt an: „Frau Merkel, Sie sind dafür verantwortlich, dass die Regierung ihre Aufgaben nicht übernimmt.“
In der traditionellen Abrechnung mit der Regierung während der Etatberatungen forderte Steinmeier eine strikte Regulierung der Finanzmärkte, die die weltweite Krise ausgelöst und nun auch Griechenland fast in den Ruin getrieben hätten. „Stoppen Sie die Finanzjongleure, die sich da ein ums andere Mal auf Kosten der Allgemeinheit bereichern“, appellierte er an Merkel. Reine Spekulationsgeschäfte müssten verboten und Hedge-Fonds an die Kette gelegt werden. Die Koalition sei aber zerstritten: „Wer soll denn glauben, dass diese Regierung in der Lage ist, die Macht von Banken und Börsen einzuschränken?„
Die Kanzlerin müsse „ihren Laden in Ordnung bringen“, sagte Steinmeier. Der Kabinettssaal sei kein Abenteuerspielplatz, die Regierung keine Selbsterfahrungsgruppe. Nach kaum sechs Monaten im Amt stehe die Koalition „vor den Trümmern einer zerrütteten Ehe“. Die Banken- und Finanzmarktlobby atme erleichtert auf.
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi warf der Bundeskanzlerin vor, sich zu wenig zu engagieren. Die Bundesregierung befinde sich insgesamt „in einem erbärmlichen Zustand“, sagte Gysi. Er forderte insbesondere schärfere Kontrollen der Finanzmärkte sowie die möglichst rasche Einführung einer Bankenabgabe. Die Regierung schiebe die Finanzmarktregulierung auf die EU und damit auf die lange Bank. Seine Exporterfolge habe Deutschland auch dem größten Dumpinglohnsektor aller Industrieländern zu verdanken. Nun werde von Griechenland ein ähnlicher Kurs verlangt. Er verstehe, dass sich die Menschen dort gegen eine solche Politik wehrten und nicht für die Zockerei der Banken bezahlen wollten. Zudem beharrte er auf den Forderungen seiner Partei nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn sowie zusätzlicher Beschäftigung im Öffentlichen Dienst.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast griff Merkel direkt an: „Das ganze Durcheinander in der Bundesregierung haben Sie zu verantworten.“ Merkel habe es auch versäumt, sich zu der von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) angestoßenen „Sozialhetze-Debatte“ zu äußern, ebenso wenig zu seinen Reisen als Außenminister. Sie bescheinigt der schwarz-gelben Koalition eine „Politik der leeren Hände“. „Auf dieser Regierung liegt ein dunkler Schatten, nämlich der von Ideenlosigkeit und von Klientelpolitik“, sagte Künast. Ebenfalls unbeantwortet blieben die Fragen, wie es mit den versprochenen Steuersenkungen weitergehen solle und wie die Schuldenaufnahme wieder begrenzt werden könne. Zudem forderte sie mehr ökologische Akzente zu setzen, etwa für Elektroautos.
So seien etwa Forschungsgelder für die Raumfahrt überflüssig. „Wir wollen nicht die letzten auf dem Mond sein, sondern die ersten, die mit einem Elektroauto von Berlin nach München fahren können“, sagte Künast. Außerdem forderte sie einen Mindestlohn und mehr Investitionen in Jobs und soziale Gerechtigkeit.
Hinsichtlich des Missbrauchsskandals übte Künast scharfe Kritik am Umgang von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der katholischen Kirche. „Es sind die Kinder, die den besonderen Schutz der Gesellschaft brauchen, und nicht der Papst.“ Künast forderte die Kanzlerin dazu auf, einen Fonds zur Entschädigung der Opfer einzurichten und dafür Sorge zu tragen, dass auch verjährte Fälle öffentlich gemacht werden.
FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger verteidigte den Haushalt mit den Milliardenzuschüssen an die Sozialkassen, nannte ihn einen „Schutzschirm für die Arbeitnehmer“. Die Koalition stelle Entlastungen für Familien und die Beseitigung von Wachstumshemmnissen ins Zentrum.
In Bezug auf die Finanzmarktregulierung kündigte Merkel weitere Schritte gegen Spekulationen an. Das Kabinett werde bald einen Beschluss zur Restrukturierung und Abwicklung von Banken fassen. Der Internationale Währungsfonds werde dann im Juni Vorschläge machen, wie die Banken an den Krisenkosten beteiligt werden könnten. Sie verwies zudem auf einen Vorstoß mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy zu einem Verbot von Wetten mit ungedeckten Kreditversicherungen.
Der schwierigste Bereich sei wohl die Gesundheitspolitik, sagte Merkel. Damit auch künftig jeder Mensch die Versorgung bekomme, die er brauche, müssten Kostensteigerungen von den Lohnkosten entkoppelt werden. Sie räumte ein, ab 2011 kämen „schwierige Sparmaßnahmen“ auf das Land zu, Details nannte sie nicht.
Um die Schuldenbremse im Grundgesetz einzuhalten, muss das Defizit im Bundeshaushalt bis 2016 jährlich um rund zehn Milliarden Euro abgebaut werden.