Berlin. Innerhalb der schwarz-gelben Koalition hat es offenbar Erwägungen gegeben, noch im April eine gemeinsame Steuerreform zu präsentieren. Einen Bericht der "Süddeutschen Zeitung", wonach das Entlastungsvolumen von ursprünglich geplanten knapp 20 Milliarden auf fünf bis zehn Milliarden Euro reduziert werden soll, wies Regierungssprecher Ulrich Wilhelm jedoch als "nicht zutreffend" zurück. Er sagte auch: "Das Thema Steuern wird bei dem Gespräch der Parteivorsitzenden am Sonntag nicht auf der Tagesordnung stehen."
Auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle dementierte: "Da ist nichts dran." In der FDP wurde bekräftigt, die Koalition werde erst nach der Mai-Steuerschätzung und damit nach der Wahl im bevölkerungsreichsten Land am 9. Mai entscheiden. Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Volker Wissing, sagte: "Es gibt keine neuen Absprachen."
In Berlin wurde umgehend spekuliert, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst das Projekt "Steuerreform light" in letzter Minute gestoppt habe. Als denkbar gilt auch, dass der Plan allein durch die zu frühe Veröffentlichung zunichte gemacht wurde. Dem Bericht zufolge planten die Parteichefs von CDU, CSU und FDP einen Strategiewechsel mit dem Ziel, ihre Entlastungspläne schon vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen zu präsentieren. Demnach sollte im Zentrum der Reform die Bekämpfung der kalten Progression stehen, die automatisch Gehalterhöhungen auffrisst. Zudem sollten die unteren Einkommensklassen entlastet werden. Auch die schlechten Umfragewerte sollten ein Grund für das Umdenken gewesen sein.
In der Union herrscht sei Monaten großer Zweifel, ob sich die im Koalitionsvertrag mit der FDP vereinbarten weiteren Steuerentlastungen überhaupt finanzieren lassen. Die Partner hatten für die Legislaturperiode Steuererleichterungen von 24 Milliarden Euro verabredet. Davon sind 4,6 Milliarden Euro zum 1. Januar bereits für Familien umgesetzt worden. Der nächste Reformschritt soll "möglichst" zum 1. Januar 2011 folgen.
Eine Gegenfinanzierung der Reformpläne schiebt die Koalition bisher vor sich her. Vor der Wahl in NRW am 9. Mai steigt wegen der miserablen Umfragen für die Koalition jedoch die Nervosität. Die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf hat in Umfragen keine Mehrheit mehr. Sollte sich der Trend bei der Wahl am 9. Mai bestätigen, verlören Union und FDP nicht nur die Regierungsmehrheit im bevölkerungsreichsten Bundesland, sondern auch ihr knappes Stimmenübergewicht im Bundesrat.
Vor diesem Hintergrund forderte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) die Bundesregierung auf, noch vor der Wahl Eckpunkte für eine neue Steuerreform vorzulegen. Er räumte ein, es gebe für das Projekt nach menschlichem Ermessen "nicht viel Geld".
SPD-Vize Olaf Scholz appellierte an die Regierung, von den ursprünglichen Steuerplänen Abschied zu nehmen. "Die Steuerreformen, die sich die Koalition vorgenommen hat, waren immer unrealistisch", sagte er dem Abendblatt. "Wenn man nun offenbar nachdenkt, wie man von den absurden Beschlüssen runterkommt, ist das für das Land ein gutes Zeichen." Scholz sagte, die nächste Steuerschätzung werde zeigen, dass weitere Steuerentlastungen unfinanzierbar seien. "Und 80 Milliarden Euro Neuverschuldung darf man nicht einfach so ignorieren." Scholz sagte weiter: "Wer schon vor der Steuerschätzung Beschlüsse zu einer Steuerreform fassen will, will sich offenbar von Fakten nicht stören lassen." Die Schulden, die jetzt "für unseriöse Steuersenkungen gemacht werden", müssten später von der nächsten Generation bezahlt werden. "Das ist unfair."