Muss Deutschland sich wegen des Bombenangriffs auf einen Tanklastwagen vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten?
Berlin. Angehörige von zivilen Opfern des verheerenden Bombardements nahe der afghanischen Stadt Kundus wollen vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag ziehen. Die ARD zitierte einen der Angehörigen vorab aus ihrer Sonntagabend-Sendung „Bericht aus Berlin“, wonach eine Entschuldigung der Bundesregierung nicht helfe und nicht angenommen werden könne. „Was sie getan haben, ist auch international nicht akzeptabel. (...) Das muss vor die Menschenrechtskommission von Den Haag (...). Die sollten das nach internationalem Recht regeln“, sagte der Mann im Fernsehinterview.
Die Angehörigen bestätigten, dass viele ihre Väter, Söhne, Brüder und Neffen durch den von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff verloren. Einige seien mit Traktoren zu den Tankwagen gefahren, um sich Benzin für ihre Lampen in den Häusern zu holen oder um es zu verkaufen. Ein Betroffener sagte der ARD: „Was haben wir getan? Warum ist das geschehen? Worin besteht unsere Schuld? Wir wollten doch nur ein Fass Benzin holen, für unseren Traktor und unsere Lampen, damit wir den Winter überleben“.
78 Opfer-Familien lassen sich in Deutschland von dem deutsch-afghanischen Rechtsanwalt Karim Popal vertreten. Er fordert finanzielle Entschädigung für die Angehörigen des von der Bundeswehr angeordneten Luftangriffs auf zwei Tanklaster. Dabei waren Anfang September amtlichen Angaben zufolge bis zu 142 Menschen getötet worden.
Unterdessen berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" , dass es bei dem Luftangriff in Kundus offenbar mehr unterschiedliche Meinungen zwischen deutschen und internationalen Soldaten gegeben hat als bisher bekannt. Unter Berufung auf einen NATO-Bericht berichtet das Magazin, die Besatzung des Kampfflugzeugs habe den deutschen Auftrag mehrfach hinterfragt. Oberst Georg Klein, der den Luftangriff befohlen hatte, habe die Besatzung des F-15-Jagdbombers aufgefordert, sechs Bomben auf die Tanklaster abzuwerfen, die von zahlreichen Menschen umringt waren. Die Besatzung widersprach daraufhin, dass nur zwei Bomben nötig seien.
Darüber hinaus zeigten Auszüge des Funkverkehrs zwischen dem US-Piloten und dem deutschen Fliegerleitoffizier, dass die Besatzung insgesamt fünfmal Tiefflüge als Warnung vorschlug. Doch der Deutsche habe mit den Worten „Negativ. Das Ziel soll angegriffen werden“ abgelehnt. Anschließend seien Informationen über den Luftangriff womöglich auch dem Auswärtigen Amt vorenthalten. Diese Frage müsse vom Untersuchungsausschuss geklärt werden, sagte der damalige Außenminister und heutige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der „Welt am Sonntag“. Steinmeier verwies darauf, dass dem Auswärtigen Amt der Feldjägerbericht zum Hergang des Angriffs erst am 27. November zugestellt worden sei. Der Untersuchungsausschuss müsse aber genauso klären, „was das Kanzleramt wann wusste“. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) wies den „untauglichen Versuch“ zurück, den Fall Kundus „nahe ans Kanzleramt heranzurücken“.
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte den Luftangriff nach seinem Amtsantritt im November zunächst als „militärisch angemessen“ bezeichnet, nach Lektüre des Feldjägerberichts seine Einschätzung aber revidiert. Die Vertuschung des Berichts hatte den Rücktritt von Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) als Arbeitsminister ausgelöst.