Der Weg zum Abschalten ist frei: Die sieben ältesten Atomkraftwerke bleiben ausgeschaltet. Den Kernkraftgegnern reicht das nicht.

Berlin/Hamburg. 13 Stunden haben sie um den Weg zum Atom-Ausstieg verhandelt. Dabei machte die Umweltorganisation Greenpeace öffentlichen Druck mit einer Projektion direkt aufs Kanzleramt. Und am Ende fuhr Umweltminister Norbert Röttgen mit dem Fahrrad vor, als er die Einigung auf das Ende der Atomkraft in Deutschland verkündete: Nach sieben Monaten hat die Koalition ihre im Herbst 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke wieder einkassiert. Die Atom-Katastrophe und Kernschmelze im japanischen Fukushima hat Wirkung gezeigt. Der Koalitionsausschuss von Union und FDP einigte sich darauf, die Kernkraftwerke bis spätestens 2022 stillzulegen, wie Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) in der Nacht zu Montag sagte. Die sieben ältesten derzeit abgeschalteten Atomkraftwerke und das Kernkraftwerk Krümmel sollen nicht wieder ans Netz gehen. Und: Die umstrittene Brennelementesteuer bleibt erhalten.

Röttgen sagte: „Das Ergebnis ist konsistent und konsequent.“ Die Koalition orientiere sich beim Atomausstieg an den Empfehlungen der Ethikkommission der Bundesregierung zur Zukunft der Energieversorgung. Bis 2021 solle das Gros der deutschen Atomkraftwerke stillgelegt werden, erklärte der Minister. Die drei modernsten Atomkraftwerke sollten noch als Sicherheitspuffer genutzt werden können und spätestens 2022 abgeschaltet werden.

Damit ergebe sich eine durchschnittliche Laufzeit von 32 Jahren pro Kraftwerk gemessen an der Stromgewinnung. Das entspricht in etwa dem Ausstiegsbeschluss der früheren rot-grünen Bundesregierung, den die Koalition im vergangenen Jahr gekippt hatte.

Damals hatte Röttgen die Opposition als „energiepolitische Blindgänger“ verspottet. Jetzt sagte er zur Entscheidung des Koalitionsausschusses: „Das macht man sich nicht einfach.“

Eines der sofort stillzulegenden Kernkraftwerke soll bis 2013 als sogenannte Kaltreserve für eventuelle Energieengpässe bereitstehen, um Stromausfälle zu verhindern. Welches Kraftwerk das sein wird, werde die Bundesnetzagentur entscheiden, sagte der FDP-Umweltpolitiker Michael Kauch. Die Koalition will zudem den Bau neuer Kraftwerke und Speicher beschleunigen. Neben einem Gesetz zum beschleunigten Ausbau der Stromnetze solle es ein Planungsbeschleunigungsgesetz für Kraftwerke und Speicher geben, verlautete aus Koalitionskreisen. Damit sollten wichtige Infrastrukturvorhaben beschleunigt werden, ähnlich wie seinerzeit bei der Wiedervereinigung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Spitzen von Union und FDP im Kanzleramt empfangen, um eine gemeinsame Linie für die angekündigte Energiewende zu finden. CSU-Chef Horst Seehofer war für einen Ausstieg binnen zehn Jahren. Die FDP wollte einen zeitlichen Korridor und eine Revisionsklausel, die den Ausstieg hinausschieben könnte.

Mit der Brennelementesteuer will der Bund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr einnehmen. Bei einer dauerhaften Abschaltung der Mitte März stillgelegten sieben Kernkraftwerke und von Krümmel würden sich die Einnahmen um eine Milliarde Euro jährlich verringern. Kauch sagte, der Erhalt der Brennelementesteuer sei ein Erfolg der FDP. CSU-Chef Seehofer wollte die Steuer abschaffen.

Noch während die Verhandlungen liefen, informierte Merkel SPD und Grüne über den Stand. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, die Koalition bewege sich auf einen Atomausstieg nach den Empfehlungen der Ethikkommission zu. Allerdings tue sich das Regierungsbündnis außerordentlich schwer, den Ausstieg endgültig festzulegen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin monierte: „Die Hintertüren sind noch nicht zu.“ Beide Oppositionsparteien kritisierten die Pläne der Koalition für das Vorhalten mehrerer Atomkraftwerke als „kalte Reserve“. Es sei wenig sinnvoll, dafür ausgerechnet Atomkraftwerke in Bereitschaft zu halten, sagte Gabriel.

Die Pläne der Koalition sind nach Ansicht der Grünen-Fraktionschefin Renate Künast „nur ein Zurück zum Status Quo“. „Sie gehen damit nicht nach vorne“, sagte Künast nach dem Treffen im Kanzleramt der Nachrichtenagentur dpa. Zwar hatte auch Rot-Grün den Atomausstieg bis 2022 vorgesehen. „Es ist zwischendurch aber viel passiert – auch in der technischen Entwicklung.“ Eine Beschleunigung nach Fukushima vermisse sie.

„2022 ist für Greenpeace absolut inakzeptabel“, sagt Tobias Münchmeyer, Energieexperte bei Greenpeace. Merkel habe ihr Wort gebrochen und nichts aus Fukushima gelernt. Greenpeace kritisierte, dass kein Anreiz geschaffen werde, früher als 2021 auszusteigen.

FDP-Generalsekretär Christian Lindner sagte dagegen im Deutschlandfunk, die Beschlüsse brächten einen transparenten Fahrplan ohne Hintertüren. (dapd/dpa/abendblatt.de)