Die Brennelementesteuer für Energiekonzerne könnte kippen. Das Ende der Atomkraft soll ohne Tricks bei Restlaufzeiten erreicht werden.
Berlin. Die Pläne der Bundesregierung für den Atomausstieg mit einem endgültigen Abschaltjahr werden konkreter – dabei könnte die umstrittene Brennelementesteuer wieder gestrichen werden. So soll sich Kanzlerin Angela Merkel mit Umweltminister Norbert Röttgen und ihrem Kanzleramtschef Ronald Pofalla (alle CDU) über einen beschleunigten Ausstieg in etwa zehn Jahren grundsätzlich einig sein. Das alte System zur Übertragung von Restlaufzeiten von alten auf neuere Meiler solle beendet werden, berichtete das „Handelsblatt“. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa aus Koalitionskreisen könnte der Bund auf die erst zu Jahresbeginn eingeführte Atomsteuer und so auf jährlich 2,3 Milliarden Euro verzichten. Damit hätte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) neue Probleme bei der Haushaltssanierung.
Merkel bekräftigte bei der Eröffnung eines Windparks vor der Ostsee-Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, dass der Atomausstieg deutlich beschleunigt werde. Es müssten aber realistische Ziele gesetzt werden. „Wir wollen eine Energiewende mit Augenmaß und eine, die klappt.“ Ein Regierungssprecher betonte, die Kanzlerin habe sich noch nicht auf ein konkretes Datum und einen Mechanismus für den Abschied von der Atomkraft festgelegt. „Es ist bislang keine Entscheidung getroffen worden.“ So könnten ein bestimmter Termin oder aber – wie bisher – Reststrommengen festgelegt werden. Auch eine Kombination beider Varianten sei möglich.
Das könnte nach Einschätzung von Fachleuten in der Praxis bedeuten, dass es zwar weiterhin Strommengen für die AKW-Betreiber gibt, diese jedoch zu einem festen Enddatum verbraucht sein müssen. Weitgehende Einigkeit besteht in Regierung und Koalition, dass die nach der Fukushima-Katastrophe abgeschalteten sieben älteren Meiler nicht mehr ans Netz zurück sollen. Die CSU steuert auf einen Atomausstieg bis 2020 zu. „Wir dürfen nicht vom eingeschlagenen Weg abgehen, das wäre eine Täuschung der Bevölkerung“, ermahnte Parteichef Horst Seehofer die Kritiker in seiner Partei, die vor einer Schwächung der Wirtschaft und steigenden Strompreisen warnen. Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) sagte zur Zahl 2020: „Es ist ein Lackmustest für die Glaubwürdigkeit, wie ernst wir es mit der Energiewende meinen.“ Man müsse eine Jahreszahl nennen, sonst liefen die Meiler noch 20 Jahre.
Am vergangenen Donnerstag beriet Merkel mit Pofalla und Röttgen erneut über den Turboausstieg. „Die Kanzlerin will vom System der Restlaufzeiten beim Atomausstieg abrücken, um den Einstieg in die erneuerbaren Energien zu beschleunigen“, schrieb das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Regierungskreise. Mit dem Reststrommengen-Modell hatten die Atomkonzerne bisher erhebliche Spielräume.
Wenn sie einen Meiler mit reduzierter Leistung fahren oder Pausen für Wartungsarbeiten einlegen, verschiebt sich das Aus für den jeweiligen Meiler nach hinten. Merkel, Röttgen und Pofalla seien übereingekommen, diesen Spielraum zu beschneiden und stattdessen auf feste Termine zu setzen, hieß es. Nach der rot-grünen Ausstiegsvereinbarung wäre der letzte Meiler wahrscheinlich 2022 oder 2023 vom Netz gegangen.
Nach den Worten von SPD-Chef Sigmar Gabriel wäre eine Rückkehr zum rot-grünen Ausstiegsbeschluss das richtige Signal. Die SPD habe nichts gegen die Festlegung von Jahreszahlen. Allerdings müsse bei dem weiteren Vorgehen auch die Endlagerfrage vorangebracht werden, forderte Gabriel. Der Greenpeace-Atomexperte Tobias Riedl erklärte, gesetzlich festgelegte Abschalttermine für Atomkraftwerke wären ein richtiger Schritt. „Sie können wirtschaftliche Planungssicherheit gewährleisten, die gesellschaftliche Akzeptanz der angekündigten Energiewende erhöhen und weitere Tricksereien der Atomkonzerne bei geplanter Abschaltung verhindern.“ (dpa)