Kanzlerin Merkel streitet mit Ministerpräsidenten um den Atomausstieg. Am 17. Juni sollen gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden.
Berlin. Die Bundesregierung will fünf Milliarden Euro an Krediten für Investitionen in Windkraftanlagen auf hoher See zur Verfügung stellen. Das sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) nach einem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Regierungschefs der Bundesländer. Die Kredite sollen über die staatseigene KfW Bankengruppe ausgegeben werden. Investitionen in Windkraft seien Risiko-Investitionen. Dafür seien nur schwer Kredite bei normalen Banken zu bekommen, sagte Röttgen. Zudem müssten Bund und Länder ihr Planungs- und Genehmigungsrecht bei Windkraftanlagen an Land und auf hoher See vereinheitlichen. Dies betreffe etwa Abstand wie Höhe der Windräder, sagte der Umweltminister.
Bei ihrem Treffen in Berlin haben Merkel und die Ministerpräsidenten einen Zeitplan für die Energiewende vereinbart. Am 17. Juni sollen Bundestag und Bundesrat die nötigen Gesetzesänderungen beschließen, um die Abkehr von der Atomenergie auf eine rechtlich sichere Grundlage zu stellen, kündigte Merkel an. Zwar seien viele Details noch offen. Alle Teilnehmer wollten aber „schnellstmöglich aus der Kernenergie aussteigen und in die Versorgung mit erneuerbaren Energien ein- und umsteigen“.
Merkel nannte den Zeitplan für die Einleitung der Energiewende nach dem Treffen eine „sehr anspruchsvolle Aufgabe“. Am 3. Juni wolle sie sich erneut mit den Ministerpräsidenten treffen. Dabei würden dann auch die Gutachten der Reaktorsicherheitskommission und der Ethik-Kommission zur Atomenergie berücksichtigt, die für Mai erwartet werden. Anfang Juni solle sich das Kabinett mit den nötigen gesetzlichen Änderungen beschäftigen, die Bundestag und Bundesrat dann am 17. Juni abschließen sollen.
Bei dem Treffen mit den Ministerpräsidenten sei zudem vereinbart worden, „zeitnah“ die Sicherheitsstandards der verschiedenen Endlager zu prüfen, sagte Merkel. Sie räumte ein, dass es in der Runde am Freitag „lebendige Diskussionen“ gegeben habe. Insgesamt sei aber „die Gesamtrichtung geteilt worden“ – nämlich die Abkehr von der Atomenergie und den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien.
Die SPD-regierten Länder haben ihre konstruktive Mitarbeit bei der Energiewende hin zu mehr erneuerbarer Energie angeboten. Voraussetzung sei aber ein Konsens auf einen raschen Ausstieg aus der Atomkraft, sagte der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD). „Das darf zeitlich nicht zu sehr gestreckt werden.“ Er pochte darauf, die mit dem Atom-Moratorium abgeschalteten sieben ältesten Meiler und den ohnehin vorübergehend stillgelegten Meiler Krümmel nicht wieder ans Netz gehen zu lassen. Keinesfalls dürfe die Regierung hinter den von Rot-Grün vereinbarten Atomausstieg bis etwa 2022 zurückfallen. Eher müsse es um ein früheres Datum gehen. Inakzeptabel seien Forderungen nach einer Laufzeit bis 2035.
Viele offene Fragen gebe es noch bei den Themen Netzausbau, Speichertechnologie und dem Ausbau von Windkraftanlagen vor der Küste, sagte Sellering. Von sogenannten Offshore-Anlagen könnten große Strommengen hergestellt werden, die den Bedarf der deutschen Industrie sicherstellen könnten.
Hunderte Atomkraftgegner haben derweil vor dem Kanzleramt für den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie-Nutzung demonstriert. Nach Polizeiangaben beteiligten sich an der Aktion bis zu 450 Menschen. Mit einem symbolischen Abschalthebel ließen sie die 17 deutschen Atomkraftwerke als Dominosteine umfallen. Die Aktion wurde vom Kampagnennetzwerk Campact veranstaltet und vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) unterstützt.
Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz erklärte: „Etliche Koalitionspolitiker wollen schon wieder zum alten Pro-Atom-Kurs zurückkehren. Doch wir Bürger lassen jetzt nicht mehr locker. Nach Fukushima darf es für diese Regierung nur noch einen Kurs geben und der heißt: abschalten und zwar jetzt und endgültig.“
Lesen Sie hier einen Überblick, wer wann aus der Atomkraft aussteigen will:
2015: Die Umweltschutzorganisation Greenpeace meint, bis 2015 sei ein Atomausstieg und bis 2040 ein Kohleausstieg möglich. Für den Übergang setzt Greenpeace auf Gaskraftwerke, die schnell hochgefahren werden können, um die schwankende Produktion aus Solar- und Windenergie auszugleichen. Die 19 Gaskraftwerke, die bis 2017 in Deutschland gebaut, geplant oder erwogen würden, reichten dafür aus.
2017: Die Grünen halten einen Ausstieg innerhalb der nächsten Legislaturperiode für möglich, die 2017 endet. Die derzeit vorübergehend abgeschalteten acht AKW sollen sofort und ohne eine bisher mögliche Übertragung von Reststrommengen auf neuere Anlagen vom Netz gehen, die anderen Meiler sollen schrittweise folgen. Der Ausstieg bis 2017 soll in einer Novelle des Atomgesetzes geregelt, die Laufzeitverlängerung von Union und FDP zurückgenommen werden.
2020: Es ist möglich, dass Union und FDP einen Ausstieg noch vor dem rot-grünen Beschluss anstreben. Auch die SPD nennt 2020 als mögliches Datum. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft legte sich gegen den Widerstand der AKW-Betreiber auf 2020 bis 2023 fest, sofern die notwendige Infrastruktur, etwa neue Stromautobahnen, für eine deutlich höhere Ökoenergieproduktion steht. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hält einen Ausstieg für möglich, wenn der Ökostromanteil 40 Prozent beträgt. Das dürfte bis 2020 der Fall sein.
2022: Der frühere rot-grüne Atomausstieg sah als Enddatum 2020 bis 2022 vor, das hing davon ab, wie schnell die Atommeiler ihre im Atomgesetz 2002 zugestandenen Reststrommengen verbrauchten. Durch Drosselung und Stillstand hätte sich das Datum wohl mindestens bis 2022 nach hinten verschoben, Schätzungen gingen sogar von 2025 aus.
2036 bis 2050: Mit der Aufkündigung des Atomausstiegs durch Union und FDP wurde den sieben vor 1980 ans Netz gegangenen Meilern acht Jahre mehr zugestanden und den anderen zehn AKW 14 Jahre mehr. Als letzter Meiler würde damit Neckarwestheim II 2036 vom Netz gehen. Da aber bei einem früheren Abschalten älterer AKW deren Restlaufzeiten auf neuere Anlagen übertragen werden können, und durch immer mehr Ökoenergien oft nur ein gedrosselter Betrieb möglich ist, könnte der letzte Meiler bis 2050 laufen. Das würde Betriebszeiten von mehr als 60 Jahren für einzelne Meiler bedeuten. Zum Vergleich: Der Unglücksmeiler in Fukushima war 40 Jahre in Betrieb. (abendblatt.de/dpa/dapd)