Hittfeld/Handeloh. Emotionale Kreistagssitzung in Seevetal: Bürger protestieren gegen neue Windkraft-Pläne. Lokalpolitiker zieht drastische Konsequenz.
Hoch schlugen die Emotionen bei der letzten Kreistags-Sitzung des Jahres in der Burg Seevetal. Das Thema, das die Gemüter erhitzt, sind laufende Planungen der Kreisverwaltung zur Ausweisung neuer potenzieller Flächen für Windenergieanlagen. Der Landkreis Harburg sieht sich in der Pflicht, gesetzliche Vorgaben von Bundes- und Landesebene umzusetzen. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, vor allem aus der stark betroffenen Samtgemeinde Salzhausen, machten ihrem Unmut Luft.
Zoff um Windkraftanlage im Wald: Bürgermeister aus der Heide erklärt Partei-Austritt
Für einen Knalleffekt sorgte Uwe Blanck (Bündnis 90/Die Grünen), der in der öffentlichen Sitzung seinen Austritt aus der Partei „Die Grünen“ und der Fraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ erklärte. Sein Mandat will der 63-Jährige indes behalten, will sich als Partei- und Fraktionsloser bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2026 themenbezogen und pragmatisch für die Belange der Bürgerinnen und Bürger einsetzen.
Das Amt des ehrenamtlichen Bürgermeisters der Gemeinde Handeloh (2600 Einwohner), das Blanck seit Herbst 2021 ausübt, gedenke er ebenfalls nicht niederzulegen. „Von meiner Seite aus bleibe ich Bürgermeister“, sagte er dem Hamburger Abendblatt. „Ich werde meine Tätigkeit mit vollem Engagement fortsetzen und weiterhin für eine nachhaltige, soziale und bürgernahe Entwicklung arbeiten“, so Blanck. Sein politischer Fokus liege auf überparteilicher Zusammenarbeit.
Austritt: Verwunderung bei Bündnis 90/Die Grünen im Landkreis Harburg
Überrascht reagierten Kreisvorstand und Kreistagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Eine vorherige Rücksprache oder Information habe es nicht gegeben. Die Fraktion respektiere und bedauere die Entscheidung von Uwe Blanck, heißt es in einer Mitteilung. „Seine Ankündigung, nunmehr als fraktionsloses Mitglied Teil des Kreistags zu bleiben, haben wir mit Verwunderung zur Kenntnis genommen“, so der Kreisvorstand.
„Wenn er sich mit den Inhalten der Partei nicht mehr identifizieren kann, wäre es nicht zuletzt aus Respekt gegenüber den Wählerinnen und Wählern konsequent, das über die Parteiliste erworbene Mandat niederzulegen.“ Eben diese Mandate für Kreistag und Gemeinderat hatte Blanck jeweils über Listenplätze der Partei erreicht.
Seine Mandate im Kreistag und Gemeinderat will Uwe Blanck weiter ausüben
Da beide Wahlkämpfe stark personalisiert geführt worden seien, macht der Politiker aus Handeloh durchaus eine persönliche Legitimation für sich geltend, so die Argumentation. Vor allem bei der Wahl zum Gemeinderat 2021 sei es den Grünen dank seines Engagements und seiner Person gelungen, ein – Zitat – „exorbitant gutes Ergebnis“ von 30 Prozent zu erreichen. „Ich selbst habe die meisten Einzelstimmen bekommen“, berichtet Uwe Blanck. Ihm gehe es um Themen, nicht um Parteipolitik.
Partei-Austritt: „Windkraftanlagen im Wald sind für mich nicht akzeptabel“
Wo liegen die Gründe für den Parteiaustritt? Die Grünen, denen sich Blanck 2016 mit Fokus Naturschutz angeschlossen hatte, hätten sich seit der Corona-Pandemie sehr gewandelt. Vor allem im Umgang mit Andersdenkenden und in der Art und Weise der Umsetzung der Energiewende sieht Blanck grundlegende Unterschiede zwischen seinen Überzeugungen und der aktuellen Ausrichtung der Partei.
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Der Entschluss zum Austritt sei ein längerer Prozess gewesen. „Windkraftanlagen im Wald sind für mich nicht akzeptabel“, benennt Blanck das Thema, das das Fass bei ihm zum Überlaufen gebracht habe.
Das Ziel: Bundesweit zwei Prozent der Flächen für Windenergie ausweisen
Mit dieser Meinung steht der Handeloher nicht allein. Mehr als deutlich wurde das auf der Kreistagssitzung in Hittfeld. Die Ausgangslage: Im Zuge der Energiewende verabschiedete die Bundesregierung ein Gesetz, das vorsieht, bis 2032 bundesweit zwei Prozent der Fläche für Windenergie nutzen zu müssen. Das Gesamtziel wird über die Bundesländer und Gebietskörperschaften in zwei Stufen heruntergebrochen.
Letztlich ist der Landkreis Harburg gesetzlich verpflichtet, bis Ende 2027 zunächst 2,44 Prozent des Kreisgebiets (entspricht 3051 Hektar) und bis Ende 2032 dann 3,16 Prozent (3949 Hektar) für Windenergie auszuweisen. Der Blick auf den Bestand fällt ernüchternd aus: demnach sind momentan nur 0,45 Prozent oder 550 Hektar im Landkreis Harburg für Windkraftanlagen vorgesehen.
Landkreis Harburg hat enormen Nachholbedarf in Sachen Windenergie
Die Kreisverwaltung muss also tätig werden und im Rahmen einer Änderung des Regionalen Raumordnungsprogramms nach weiteren Flächen suchen. Der Vorschlag setzt auf größere Abstände zur Wohnbebauung als vorgeschrieben und zunächst „nur“ auf Windanlagen in Mischwäldern. Kann das erste Teilflächenziel bis Ende 2027 allerdings nicht realisiert werden, sind selbst Landschaftsschutzgebiete kein Tabu mehr.
Salzhausen und Tostedt am stärksten belastet, Buchholz und Jesteburg kaum
Was Bürgerinnen und Bürger der Samtgemeinde Salzhausen auf die Palme bringt, ist die ungleiche Verteilung innerhalb des Kreisgebietes. Mit 1349 Hektar sollen sie mehr als ein Drittel der „Vorranggebiete nach neuem Windkonzept“ schultern.
Auch in den Samtgemeinden Tostedt (887 Hektar) und Hanstedt (559 Hektar) identifizierte die Verwaltung viele Potenzialflächen. Dahinter folgen mit deutlichem Abstand Hollenstedt (259), Winsen (224), Elbmarsch (111), Neu Wulmstorf (103), Seevetal (95), Rosengarten (49), Stelle (35), Buchholz (24) und Jesteburg (12).
Landrat Rainer Rempe: „Stehen am Anfang eines stark formalisierten Prozesses“
„Wir stehen ganz am Anfang eines stark formalisierten Prozesses“, sagte Landrat Rainer Rempe. „Jetzt machen wir den ersten Aufschlag, dem viele weitere folgen werden.“ Momentan geht es nicht um die Entscheidung für eine oder gegen eine andere Fläche. Momentan geht es um die Beteiligung der Öffentlichkeit, geht es darum, dass Bürgerinnen und Bürger nicht nur (wie bisher) mitdiskutieren. Jetzt erhalten sie die rechtlich verbriefte Möglichkeit, Einwendungen zu formulieren, die beantwortet werden müssen und in den weiteren Planungsprozess einfließen.
Letztlich stimmte der Kreistag mit sieben Gegenstimmen und einigen Enthaltungen für die „Auslegung“ der Planungsunterlagen. Einzusehen sind sie vom 27. Dezember 2024 bis 26. März 2025 (also drei Monate) im Kreishaus in Winsen oder im Internet unter www.landkreis-harburg.de/windenergie_beteiligung. Vier Informations-Veranstaltungen in Präsenz und eine weitere online sind geplant für Montag, 13. Januar, um 18 Uhr.
Windkraftanlagen im Kreis Harburg: Stellungnahmen der Bürger sind gewünscht
Nach drei Monaten Auslegung erfolgt eine Abwägung der eingegangenen Stellungnahmen und Überarbeitung des Entwurfs in Abstimmung mit der Politik. Die Beteiligung der Öffentlichkeit wird so oft wiederholt, bis keine Änderungen mehr erfolgen. Abschließend fasst der Harburger Kreistag dann einen Satzungsbeschluss, der vom Amt für regionale Landesentwicklung (ArL) in Lüneburg genehmigt werden muss. Bis sich die Emotionen, wenn überhaupt, beruhigen werden, wird also viel Zeit vergehen.