Landkreis Harburg. Bei Herzinfarkt und Schlaganfall geht es um Sekunden: Wie ein Projekt im Süden Hamburgs die Einsatzzeit von Rettungskräften fast halbiert.

Bei medizinischen Notfällen kann es gar nicht schnell genug gehen, manchmal entscheiden wenige Sekunden über Leben und Tod. Um die Zeit zwischen Notruf und Eintreffen der ersten Rettungskräfte zu verkürzen, gibt es im Landkreis Harburg seit Sommer 2023 das Projekt „Mobile Retter“ – Zeit für eine Bilanz.

Oft schneller als der Rettungsdienst: Wie Mobile Retter Leben retten können

Jahr für Jahr erleiden in Deutschland etwa eine halbe Million Menschen einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Nur etwa zehn Prozent von ihnen überleben, weil Reanimation-Maßnahmen erst nach Eintreffen des Rettungsdienstes eingeleitet werden können – manchmal nicht rechtzeitig genug. Deutschlandweit dauert es durchschnittlich neun Minuten, bis ein Rettungswagen am Unfallort eintrifft, und das trotz Blaulicht und Martinshorn.

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Mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK), der Johanniter Unfallhilfe (JuH) und der kreiseigenen Rettungsdienstgesellschaft ist der Landkreis Harburg gut aufgestellt. Gerade in einem Flächen-Landkreis nimmt die Anfahrt von Krankenwagen (KTW), Rettungswagen (RTW) und Notarzt aber eben seine Zeit in Anspruch. „Es war dringend erforderlich, dass unsere Rettungsdienste Unterstützung bekommen“, sagte Landrat Rainer Rempe.

„Dringend erforderlich, dass unsere Rettungsdienste Unterstützung bekommen“

Das Projekt „Mobile Retter“ gibt es in einigen Teilen Deutschlands seit zehn Jahren, im Landkreis Harburg seit Sommer 2023. Die Idee: Männer und Frauen mit medizinischem Hintergrund dergestalt aus- und weiterzubilden, dass sie als Ersthelfer zeitlich vor den Rettungsdiensten am Unfallort sein können. Ihr Vorteil: „Mobile Retter“ haben eben keine feste Wache, von der sie starten.

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Kai-Martin Pöllmann, Leiter der Abteilung Rettungsdienst, Brand- und Katstrophenschutz beim Landkreis Harburg. © HA | Markus Steinbrück

Sie sind in ihrer Freizeit oder bei der Arbeit in vielen Teilen des Kreisgebiets unterwegs. Geht ein Notruf über die 112 bei der Rettungsleitstelle ein, kann der Disponent mittels GPS-Daten identifizieren, ob sich möglicherweise mobile Retter in der Nähe befinden. Ist das der Fall, werden diese mittels Smartphone-App zeitgleich zum Rettungsdienst alarmiert. Sie bekommen die Notfalldaten geschickt und werden zum Einsatzort navigiert.

Mobile Retter benötigen im Durchschnitt weniger als fünf Minuten zum Einsatzort

Das Ergebnis der ersten 15 Monate kann sich sehen lassen: Bis Ende September 2024 wurden in 137 Notfällen (davon 84 Atemstillstände) mobile Retter alarmiert. In mehr als der Hälfte der Fälle waren sie schneller als der Rettungsdienst vor Ort. Durchschnittlich benötigten mobile Retter im Süden Hamburgs lediglich 4:44 Minuten bis zum Einsatzort. Zur Erinnerung: Krankenwagen treffen deutschlandweit nach neun Minuten ein. Ein Vorsprung, der Leben retten kann und Leben rettet!

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Wer sind diese Menschen? Die meisten haben einen verwandten Hintergrund, engagieren sich beruflich oder ehrenamtlich bereits für das Wohl ihrer Mitbürger. Viele arbeiten in Arztpraxen, in Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen, bei der Feuerwehr oder Hilfsorganisationen. Nadine Jansen zum Beispiel, die als mobile Retterin im August 2023 Heiko Siebern wiederbelebte, arbeitet in der Anästhesie eines Krankenhauses. In ihrer Freizeit ist Rettungssanitäterin bei den Johannitern.

Grillabend muss warten: „Wir müssen nochmal kurz jemanden reanimieren“

Als die Alarmierung eintraf, wollten sie und ihr Mann Alexander (ebenfalls mobiler Retter) gerade zu einem Grillabend aufbrechen. „Wir müssen nochmal kurz jemanden reanimieren“, hätten sie sich abgemeldet, erzählt Nadine Jansen schmunzelnd. Das zeigt ein Stück weit die Einstellung von Retterinnen und Rettern: unaufgeregt und immer zur Hilfe bereit.

Kräftiges Wachstum: Heute stehen 555 qualifizierte mobile Ersthelfer bereit

Das Projekt im Landkreis Harburg startete im Juli 2023 mit 220 qualifizierten mobilen Ersthelferinnen und Ersthelfern. Bis Oktober 2024 ist der Pool auf 555 Personen angewachsen. Aktuell stünden 246 weitere potenzielle Lebensretter in den Startlöchern, teilte ein Kreissprecher mit.

Alle Kandidaten – das Mindestalter beträgt 18 Jahre – absolvieren ein zwei- bis dreistündiges Einführungstraining, bevor sie freigeschaltet werden. Die nächsten Termine sind Sonnabend, 7. Dezember, in Winsen und am Donnerstag, 16. Januar, in Hittfeld.

Mobile Retter Landkreis Harburg: Ausstattung und Nachsorge sollen besser werden

Der Landkreis Harburg möchte seine mobilen Retter noch besser unterstützten. Neben der Aufstockung personeller Kapazitäten sollen die Abläufe, die Technik und die Retter-Ausstattung optimiert werden. Neuerdings sind die „Mobilen Retter im Landkreis Harburg“ durch blaue Westen mit entsprechender Aufschrift zu erkennen. Ein weiterer Fokus gilt der besseren Nachsorge und Betreuung der Retter nach belastenden Einsätzen.