Landkreis Harburg. Seit Anfang 2023 verdoppelte sich Zahl unbegleiteter minderjähriger Ausländer. Mit welchen Problemen Jugendliche und Verwaltung kämpfen.
„Wenn Ihr nach Deutschland kommt und krank werdet, bekommt Ihr ein eigenes Haus und eine privatärztliche Krankenversorgung.“ Mit solchen Versprechen locken Schlepperbanden immer wieder junge Menschen, ihre Heimat zu verlassen und sich auf den gefährlichen Weg nach Deutschland zu machen. Lassen sie sich locken, endet die Reise häufig vor der Tür eines Jugendamtes – im Landkreis Harburg „gern genommen“ ist die Außenstelle Buchholz.
Junge Geflüchtete: Landkreis Harburg muss ihre Betreuung übernehmen
Können Schlepper diese „Ankunft“ nachweisen, wird die Restzahlung der Familie fällig. „Wir können die jungen Menschen nicht ablehnen, müssen sie in Obhut nehmen und die weitere Betreuung übernehmen“, sagt Petra Elvers aus dem UmA-Team der Kreisverwaltung. „UmA“ steht für unbegleitete minderjährige Ausländer. Das sind Kinder (unter 14 Jahren) oder Jugendliche (unter 18 Jahren), die sich ohne Personen- oder Erziehungsberechtigte in Deutschland aufhalten.
Wie vielfältig die Herausforderungen sind, berichteten einige Mitarbeiterinnen jetzt im Jugendhilfeausschuss. Dazu gehört zunächst die Enttäuschung darüber, dass bei Erkrankung weder Haus noch Privatarzt warten. Viele junge Menschen kommen mit dem Auftrag, erst Asyl zu beantragen und dann die Familie nachzuholen.
Auftrag vieler junger Menschen: Erst Asyl beantragen, dann Familie nachholen
Problem: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) führt kaum Anhörungen zu Asylanträgen von Minderjährigen durch (15 Stück in 2024). Manchmal beträgt die Wartezeit mehrere Jahre. Eine Verzögerung, die der Jugendliche seiner Familie in der Heimat erklären muss.
Es gilt, die oft traumatischen Erlebnisse auf der Fluchtroute zu verarbeiten. Es gilt, den Wunsch vieler Familien zu erfüllen, durch Arbeitslohn die Daheimgebliebenen zu unterstützen. „Der Druck aus dem Heimatland behindert die Entwicklung der jungen Menschen auf vielen Ebenen“, erfährt das hiesige UmA-Team immer wieder. Wird der Familien-Nachzug irgendwann Realität, übernimmt der Vater als Familienoberhaupt auch in Deutschland das Kommando. Für die bis dato selbständigen Jugendlichen sind viele Entwicklungsschritte auf einen Schlag dahin.
Doppelt so viele unbegleitete minderjährige Ausländer wie vor zwei Jahren
In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Zahl der unbegleiteten minderjährigen Ausländer im Landkreis Harburg mehr als verdoppelt. Waren es im Januar 2023 noch 60 Kinder und Jugendliche, sind es ein Jahr später bereits 111 und im November 2024 insgesamt 124 junge Menschen, darunter neun weibliche. Damit bewegt sich der Kreis Harburg knapp unterhalb der Soll-Zahlen, die er gemäß „Königsteiner Schlüssel“, der die Verteilung von Bundesebene, über Bundesländer auf Kommunen regelt, aufnehmen müsste.
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Die Mehrzahl der Neuzugänge resultiert aus der Umverteilung aus Ballungszentren (Bremen als abgebendes Bundesland steht hoch im Kurs), dazu kommt etwa ein Viertel sogenannter „Selbstmelder“. Bei den Herkunftsländern stehen Afghanistan (56 Kinder und Jugendliche) und Syrien (29) an der Spitze. Dahinter folgen im Kreis Harburg die Türkei (9), Somalia (8), Guinea (5) und die Ukraine (4).
Häufigste Herkunftsländer: Afghanistan, Syrien, die Türkei und Somalia
Mit steigendem Zustrom wird die Unterbringung immer schwieriger. Aktuell kann die Kreisverwaltung, die grundsätzlich auf stationäre Angebote setzt, vier junge Menschen nicht adäquat in Jugendhilfeeinrichtungen unterbringen. Ganz zu schweigen von den zu erwartenden Neuzugängen. „Die Erfahrung zeigt, dass sich die meisten im Frühjahr in ihrer Heimat auf den Weg machen und im Herbst bei uns ankommen“, sagt Kreisrätin Ana Cristina Bröcking.
Im Oktober 2023 gelang in einem Kraftakt mehrerer Organisationen, Träger und der Verwaltung die Einrichtung einer „Notgruppe“ in Neu Wulmstorf. Die 15 zur Verfügung stehenden Plätze sind bis heute ausgebucht.
„In Zusammenarbeit mit dem Landkreis pressen die Träger alles aus sich raus“
„In Zusammenarbeit mit dem Landkreis pressen die Träger alles aus sich raus“, sagte Bröcking. Unbedingt solle vermieden werden, dass Geflüchtete, die inzwischen volljährig geworden sind, in Unterkünfte für Erwachsene oder Obdachlose wechseln müssten. „Dann wären viele Erfolge dahin“, so die Kreisrätin weiter.
Junge Geflüchtete: Erfolge der ersten Welle motivieren für weitere Betreuung
Dass das UmA-Team nicht nur Herausforderungen, sondern auch Erfolge hat, zeigt die Entwicklung vieler junger Menschen, die 2015/2016 in den Landkreis Harburg gekommen waren, seinerzeit über Inzmühlen. Viele seien gut integriert, seien eingebürgert und hätten eine Ausbildung, teilweise auch ein Studium, abgeschlossen. Auch einige der noch in Jugendhilfe betreuten Jugendlichen arbeiteten über schulische Erfolge und sportliches Engagement aktiv an ihrer Integration mit, hieß es.