Winsen. Mit Brauerei und Binnenhafen: Visionäre Ausstellung lässt Besucher von der Zukunft ihrer Stadt träumen – und selber aktiv werden.
Was wäre, wenn in Winsen wasserstoffbetriebene Helikopter produziert werden würden? Wenn die Kreisstadt aufgrund ihrer Neupflanzungen deutschlandweit als „Stadt der Bäume“ bekannt wäre? Wenn auf einer kleinen Wasserbühne auf der Luhe regelmäßig Kleinkunst präsentiert würde, wenn Winsen einen kleinen Binnenhafen für Elektroboote besäße?
Was für eine Stadt wäre Winsen? Diese Frage dürfen sich Besucherinnen und Besucher einer neuen Ausstellung im Museum im Marstall stellen – und weiterspinnen, womit sich ihre vier Macher rund ein halbes Jahr befasst haben.
Wie viel Potenzial steckt in Winsen? Ausstellung lässt Besucher von der Zukunft träumen
Für die Schau „Winsen in 25 Jahren“, bis zum 30. Oktober im Foyer des Museums zu sehen, hat Prof. Dr. Rolf Wiese, Vorsitzender des Heimat- und Museumsvereins Winsen, gemeinsam mit Knut Rosenblath vom Gymnasium Winsen, David Forster von der Stadt und Dr. Stefano Panebianco vom Winsener Klimaschutznetzwerk, Zukunftsszenarien entworfen, die rein theoretisch möglich wären und die deswegen ziemlich viel Freude bereiten. (Vielleicht abgesehen von den Helikoptern, wobei ihre Herstellung in Winsen auch nicht komplett ausgeschlossen ist.)
Man stelle sich vor, Winsens Innenstadt wäre sogar abends bunt und belebt – mit Bars, in denen sich auch junge Leute ein Bier leisten können, der Deich- und Marktstraße als Genussmeile, die nicht nur mit Fleischerei Jurich, Konditorei Kaul und Teeladen ausgestattet ist, sondern auch mit eigener Brauerei, Käseladen und einem Pastageschäft.
„Wir glauben, dass hochwertiger Konsum in Winsen läuft“, sagt Wiese bei einem kleinen Rundgang durch die portable Ausstellung, die hauptsächlich Lesestoff bietet, auf Stellwänden, aber auch digital, zum Durchklicken zu den jeweiligen Themenbereichen.
Leerstand in Winsener Innenstadt: Wie soll das erst in 25 Jahren aussehen?
Er habe sich gefragt, was Winsen gegenüber Online-Märkten zu bieten hat, und Kultur, Genuss sowie Shopping miteinander verknüpft, sagt Wiese: „Denn mal ehrlich, bei dem aktuellen Leerstand könnte man meinen, dass in 25 Jahren kein einziger Laden mehr in Winsens Innenstadt existiert.“ Deswegen müsse man handeln.
Pläne und Konzepte, die die Entwicklung der Stadt Winsen betreffen, gibt es schon, sogar viele. In der Ausstellung werden sie in Kürze vorgestellt: das Regionale Raumordnungsprogramm des Landkreises, ein Handlungsprogramm Wohnen, ein Radverkehrskonzept und so weiter. Auch an Marketingkonzepten mangelt es nicht. Wiese ist der Meinung, dass diese gebündelt werden sollten.
Auch Seitengässchen könnten endlich wiederbelebt werden
Die Ausstellungsmacher schlagen außerdem vor, das Lokal Stallbaums wiederzueröffnen, mit Bühne und Rosengarten, und das Gemeindezentrum von St. Marien für Veranstaltungen zu nutzen. Verschiedene Formate für Kulturveranstaltungen könne es geben, auch Seitengassen könnten endlich wiederbelebt werden, stellt sich Wiese vor, man erinnere sich an das Chateau gegenüber der heutigen Thalia-Niederlassung.
Mit ihrer portablen Schau beabsichtige das vierköpfige Team aber auf keinen Fall, den Zeigefinger in Richtung Politik zu erheben, betont Wiese: „Wir wollen davon erzählen, was sein könnte.“ Eine Antwort auf die Frage, wie zumindest einige Szenarien finanziert werden könnten, etwa eine neue, zentrale und vielfach nutzbare Stadthalle, angeschlossen an einen zusammenhängenden Bildungscampus in der Eckermannstraße, liefert die Ausstellung gleich mit: Dann könne man die aktuelle Stadthalle endlich schließen und die Fläche verkaufen, sagt Wiese.
Das Gelände der Stadthalle könnte verkauft werden
Schließlich könne der Winsener Kulturverein die 1980 an der Luhdorfer Straße eröffnete Halle selbst nach einer umfangreichen Renovierung vor rund zwei Jahren nicht für all seine Veranstaltungen nutzen. Die Technik sei noch immer nicht auf dem neuesten Stand, weiß Wiese aus Gesprächen mit den Mitgliedern des Kulturvereins. Außerdem liege der Veranstaltungsort bekanntlich weit von der Innenstadt entfernt und sei deswegen kein Gewinn für ebendiese.
Die Foyerausstellung wurde mit dem Kultursommerpreis, den der Landkreis Harburg alljährlich ausruft, ausgezeichnet. Wiese und sein Team haben sich gezielt dem diesjährigen Kultursommer-Thema, nämlich Zukunftsvisionen, gewidmet, um die Schau mit dem Preisgeld in Höhe von 1000 Euro auf die Beine zu stellen.
Auch die Visionen der Neuntklässler sind in der Ausstellung zu sehen
Wieses Marstall-Teams packte mit an, entwarf Stellwände und eine digitale Präsentation. Auch eine fünfte und eine neunte Klasse des Winsener Gymnasiums wurden mit ins Boot geholt. Die Visionen der Schülerinnen und Schüler sind in der Ausstellung, ganz analog, auf Plakaten zu sehen. Die Neuntklässler hätten ganz praktische Vorschläge gemacht, berichtet Wiese, sie hätten beispielsweise empfohlen, den Fast-Food-Laden Subway weiter in den Innenstadtbereich zu holen.
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Ein besonderes Anliegen der Ausstellungsmacher – neben der Verwendung nachhaltiger Materialien für den Häuserbau – sind Bewältigungsstrategien gegen die Einsamkeit, der Volkskrankheit, wie Wiese sie nennt.
In der Schau stellt man sich vor, dass es Nachbarschaftsinseln gäbe, außerdem sollen die Winsenerinnen und Winsener stärker in offenen Fragen einbezogen werden, in Form eines Bürgerrats und eines „Rats der Winsener Weisen“. Darüber hinaus soll ein Fonds für die Entwicklung der Stadt eingerichtet werden. „Denn mit Steuergeldern allein klappt es scheinbar nicht“, sagt Wiese.
Ausstellung im Winsener Marstall: Welche Diskussionen wird sie auslösen?
Wer die Ausstellung im Winsener Marstall besuchen möchte, sollte sich Zeit mitbringen – denn es gibt jede Menge Lesestoff, und wer möchte, kann seine eigenen Ideen beisteuern. Spannend bleibt, welche Diskussionen die Schau anregt. Ob einige Ideen umgesetzt werden? Die Ausstellung soll an mehreren Orten aufgestellt werden, so ihre Fäden spinnen und zu Veränderung anregen.
Foyerausstellung im Museum im Marstall, Schloßplatz 11, bis 30. Oktober. Geöffnet täglich zwischen 10 und 17 Uhr, Sonntag 11 bis 16 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos.