Stelle. Birgit Tewes ist Pilzcoach und Beraterin. Was sie von Bestimmungs-Apps hält und welche Köstlichkeit sie aus ihrem Lieblingspilz zaubert.
- Wer dieses Wochenende auf die Pilz-Pirsch gehen möchte, hat gute Chancen auf eine reichhaltige Ernte
- Viele Pilzarten haben aktuell Hochsaison, das milde Wetter bietet gute Bedingungen
- Was nach dem Sammeln mit den Pilzen in jedem Fall passieren sollte und was nicht – das weiß unsere Pilz-Expertin Birgit Tewes
Birgit Tewes streift durch den Buchwedel, wie beinahe an jedem Tag des Jahres. Sie trägt Wetterjacke, feste Stiefel und einen Korb. Gerade zieht ein heftiger Schauer über das Waldgebiet nahe Stelle im Landkreis Harburg, wo sie seit langem lebt. Birgit Tewes stört das nicht. Sie mag Regenwetter. Denn die Feuchtigkeit wird in den kommenden Tagen Pilze sprießen lassen. Und Pilze sind seit Kindesbeinen die Leidenschaft der heute 70-Jährigen.
Am Wochenende im Herbstwald Pilze sammeln: Expertin gibt Tipps zur Lagerung und Zubereitung
Mit ihren Eltern sammelte die gebürtige Harburgerin einst Butterpilze, Maronen, Steinpilze. Vater und Mutter kannten und aßen nur Pilze mit Schwamm unter dem Hut, weil es unter den Röhrlingen keine tödlich giftigen Arten gibt. Die kleine Birgit aber wollte mehr Pilze kennen, mehr über sie wissen. Mit zwölf Jahren wünschte sie sich nichts sehnlicher als ein Pilz-Bestimmungsbuch. Und bekam tatsächlich eines.
Heute füllen dutzende Werke führender Pilzkenner ihre Regale, manche von den Autoren handsigniert. Denn Birgit Tewes, die einst als Erzieherin Kindern aus dem Harburger Phoenix-Viertel die Natur im Außenmühlenpark und in Meyers Park nahe brachte, hat sich auf dem Gebiet der Pilzkunde in zahlreichen Kursen und Seminaren kundig gemacht und Prüfungen abgelegt.
Sie ist zertifizierte Pilzberaterin und Pilzcoach, bot einst öffentliche Pilzwanderungen an. Inzwischen allerdings teilt sie ihr immenses Wissen nur noch mit Freunden und Bekannten. Oder, ausnahmsweise, mit der Abendblatt-Reporterin.
Selbst über den Schleimbuchenrübling weiß Birgit Tewes Bescheid
Am liebsten geht sie allein oder mit ihrem neunjährigen Enkel im Wald auf Pilz-Pirsch. Der findet, Pilze sammeln sei wie Schatzsuche. Birgit Tewes ist aber nicht nur auf „Beute“ aus. Sie erfreut sich auch an nicht-essbaren Entdeckungen. „Das ist ein wurzelnder Schleimbuchenrübling. Nicht giftig, aber auch nicht schmackhaft. Im Krieg wurde er gegessen.“
An einem Holzstubben entdeckt sie eine verwandte Spezies, den Spindeligen Rübling. Vorsichtig zieht sie den Pilz mit langer Wurzel aus dem schon zersetzten Holz. „Der ist leicht giftig“, erklärt sie.
Das Anfassen von Giftpilzen ist in Europa ungefährlich. Es gibt hier keine Art, die über bloßen Hautkontakt Vergiftungen auslöst. Von den rund 3200 in Norddeutschland vorkommenden Großpilzarten sind nur knapp 200 essbar.
Von Pilz-Apps rät die Expertin ab – zu fehleranfällig
Die häufigsten Vergiftungen werden allerdings nicht durch Giftpilze, sondern durch den Genuss zu alter, an sich essbarer Pilze verursacht. „Man muss unbedingt darauf achten, dass kein verdorbener Pilz in die Mahlzeit gerät“, sagt Birgit Tewes.
Aus diesem Grund entscheidet sie auch niemals anhand ihr zugesandter Fotos, ob ein Pilz genießbar ist oder nicht. „Ich muss ihn selbst in der Hand gehabt haben, um die Art sicher zu bestimmen und den Zustand zu beurteilen. Ich würde deshalb auch von der Nutzung von Pilz-Apps abraten.“
Auch bei gekauften Pilzen rät sie zur Vorsicht. Denn oftmals komme bereits verdorbene Ware in den Handel. Grundsätzlich empfiehlt sie, Pilze scharf anzubraten und ausreichend zu garen, mindestens 20 Minuten lang. Denn roh sind außer Zuchtchampignons nahezu alle Arten unbekömmlich oder sogar giftig.
Aus getrockneten Trompetenpfifferlingen wird ein schmackhaftes Würzpulver
„Pilze sollten am Tag des Sammelns weiterverarbeitet werden. Sollen sie erst am nächsten Tag gegessen werden, vorgaren und wieder kühl stellen!“ Für längere Lagerung können Pilze eingefroren oder getrocknet werden. Birgit Tewes nutzt einen Trockenapparat. „Aus getrockneten Trompetenpfifferlingen etwa mache ich ein wunderbares Würzpulver. Aber die wachsen erst im späten Herbst.“
Was viele nicht wissen: Pilze gibt es das ganze Jahr über. Jede Art hat ihre Saison. Der Winter etwa ist Zeit für Austernseitlinge und Samtfußrüblinge. Birgit Tewes streift deshalb nahezu täglich durch den Wald.
Vorsicht: Pilze enthalten Blei, Cadmium und Quecksilber
Trotzdem isst sie Pilze nie in großer Menge, denn sie sind wegen ihres Chitin-Gehalts nur schwer verdaulich und im Übermaß genossen auch ungesund. „Man sollte nicht mehr als 200 bis 250 Gramm pro Woche zu sich nehmen, sonst reichern sich Schadstoffe im Körper an.“ Zwar sei die Cäsium-137-Belastung, ausgelöst durch den Reaktorunfall in Tschernobyl 1986, in Norddeutschland gering, meint Birgit Tewes. Aber Pilze enthalten Blei, Cadmium und Quecksilber.
Jedes dieser Schwermetalle ist überall in der Natur vorhanden. Mancherorts ist die Konzentration dieser Stoffe aber durch menschliche Einflüsse besonders hoch. „Man sollte keine Pilze in der Nähe stark befahrener Straßen sammeln, denn in ihnen sind durch Autoabgase viele Schadstoffe angereichert.“
Lieblingspilz Krause Glücke: In Nüssen und Mandeln paniert ein Genuss
Im Wald dagegen sammelt Birgit Tewes bevorzugt am Wegesrand. „Da ist es feuchter als direkt unter den Baumkronen.“ Tatsächlich findet sie auch heute die ersten Pfifferlinge direkt am Weg. Aber auch abseits in Moos und Heidelbeerkraut sieht ihr geübtes Auge die orangegelben Pilze leuchten.
Die kleinsten, nur wenige Millimeter im Durchmesser, lässt sie stehen. Die größeren dreht sie mit den Fingern aus dem Boden, drückt wieder Laub und Moos über die entstandene Delle, damit das Pilzgeflecht in der Erde nicht austrocknet. Denn genügend Feuchtigkeit ist Grundvoraussetzung für Pilzwachstum.
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In diesem Jahr hat Birgit Tewes Ende Mai und im verregneten Juni die meisten Pilze gefunden. Momentan ist es tatsächlich schon wieder so trocken, dass Tewes‘ Körbchen weitgehend leer bleibt. Die Pilzexpertin freut sich nun auf den Herbst. Ab September und bis in den November ist nämlich ihr Lieblingspilz im Wald anzutreffen: Die Krause Glucke, die mit ihren bizarren Verzweigungen an einen Badeschwamm erinnert und den sie am liebsten mit gemahlenen Mandeln und Nüssen paniert verspeist. Einfach nur lecker.