Lüneburg. Sorgentelefon berät Landwirte in Not. Anrufer bleiben anonym. Welche Rolle toxische Männlichkeit spielt und was die Bäuerinnen erzählen.

  • Wenn Städter sich das Leben auf dem Bauernhof vorstellen, sind viele Klischees im Spiel
  • Dass Landwirtschaft harte Arbeit bedeutet, ist zwar vielen bewusst, aber ...
  • ... wie groß die psychische Not vieler Landwirte ist, dürfte den Wenigsten bekannt sein

Es ist die Nummer bei Kummer für die harten Jungs vom Feld – und alle Anderen, die mit Landwirtschaft ihr Geld verdienen: das Landwirtschaftliche Sorgentelefon. Die Beratenden arbeiten ehrenamtlich. Sie haben eine zweijährige Ausbildung absolviert und verfügen über landwirtschaftliche Kenntnisse.

Doch mit welchen Problemen kommen die Anrufenden? Das Hamburger Abendblatt hat mit einem Berater gesprochen, der seit zehn Jahren Schichten am Sorgentelefon schiebt.

Sorgentelefon für Landwirte in Not: Bauern im Kampf mit alten Rollenbildern

Finanziert wird das Landwirtschaftliche Sorgentelefon vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie durch zahlreiche Förderungen. Das Sorgentelefon ist an fünf Tagen in der Woche erreichbar und ist angegliedert an das Bildungs- und Tagungszentrum Ostheide in Barendorf bei Lüneburg.

Landhof zum Dorfkrug in Neu Wulmstorf: Thomas Hauschild mit seiner Tochter Lea, die Landwirtschaft studiert hat und für den Landhof zuständig ist.
Landhof zum Dorfkrug in Neu Wulmstorf: Thomas Hauschild mit seiner Tochter Lea, die Landwirtschaft studiert hat und für den Landhof zuständig ist. © HA | Sabine Lepél/Dorfkrug/Architektur+Stadtplanung

Da das Landwirtschaftliche Sorgentelefon anonym arbeitet, bleibt auch unser Gesprächspartner anonym. Er ist 67 Jahre alt, hat den Beruf des Landwirts gelernt und später viele Jahre beim Maschinenring gearbeitet. Er lebt im Norden Niedersachsens.

Sie arbeiten seit zehn Jahren für das Landwirtschaftliche Sorgentelefon. Gibt es ein Thema, das sich in jüngster Vergangenheit verstärkt hat?

Auf jeden Fall sind das Depressionen und Erschöpfung. Die Betriebe werden immer größer und damit auch die Verantwortung. Das ist nicht jedermanns Sache. Jüngere kommen aus Unerfahrenheit an ihre Grenzen, und Ältere merken, dass ihr Bild von Erfolg sich verliert. Manche Männer werden immer schweigsamer, andere bleiben einfach den ganzen Tag im Bett. Noch gibt es keine Zahlen dazu, aber alle überregionalen Fachzeitschriften haben dies mittlerweile thematisiert. Leider spricht kaum ein Betroffener öffentlich darüber.

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Wer erzählt Ihnen davon, die Männer selbst oder die Frauen?

Früher waren es in der Regel die Frauen. Heute rufen vermehrt Männer bei uns an. Sie haben Schwierigkeiten mit den Rollenbrüchen: Aus Bauern wurden Unternehmer. Erfolg entstand früher aus Fleiß, heute entsteht Erfolg aus Managen. Nicht alle sind dem gewachsen. Gleichzeitig sind die Männer immer noch der Meinung, sich ihre Erschöpfung und ihre Verstimmung nicht anmerken lassen zu dürfen. Viele haben auch das Gefühl, die ganze Welt sei gegen sie. Dass sie alles falsch machen. Da herrscht viel Einsamkeit.

Dies war auch während der Bauernproteste Anfang des Jahres zu spüren. Was hörten Sie dazu?

Zum einen das gute Gefühl, endlich einmal etwas für die gemeinsame Sache zusammen gemacht zu haben und wahrgenommen zu werden. Das ist ein Gefühl, das lange zu kurz kam. Auch wenn es verrückt klingt: Viele freuten sich, dass endlich mal ein Trecker im Fernsehen zu sehen war. Aktionen wie etwa Blockaden mit Mist auf der Autobahn oder dergleichen wurden von der Mehrheit abgelehnt. Den meisten ist klar, dass dies nicht akzeptabel war.

Auch wenn Kälbchen süß anzusehen sind: Milchviehbetriebe bedeuten für die Bauern Arbeit, die sich kaum noch rentiert.
Auch wenn Kälbchen süß anzusehen sind: Milchviehbetriebe bedeuten für die Bauern Arbeit, die sich kaum noch rentiert. © HA | Sabine Lepél

Wenn Sie Ihre zehn Jahre am Sorgentelefon Revue passieren lassen: Welche Themen sind die brennendsten?

In den allermeisten Fällen geht es um familiäre Probleme, vor allem Hofübergaben und Konflikte zwischen den Generationen. Bei den Hofübergaben klaffen die Unterschiede mittlerweile sehr weit auseinander: Die einen fahren zum Wander-Coaching nach Österreich und bereiten die Übergabe zwei Jahre lang vor, die anderen wollen innerhalb weniger Wochen einen Vertrag machen und denken, damit sei alles geregelt. Das ist es aber nicht. Es müssen auch die Aufgaben und Rollen zwingend geregelt und eingeübt werden – zum Beispiel, wer zu welchen betrieblichen Entscheidungen noch etwas zu sagen hat oder eben nicht.

Gibt es typische Situationen, die Ihnen immer wieder erzählt werden?

In der Tat wiederholt sich vieles. Da gibt es zum Beispiel Knatsch am Frühstückstisch zwischen Alt und Jung. Und dann setzt sich der Sohn auf den Trecker und hofft, dass beim Abendbrot alles vergessen ist. Oder die ganze Familie sitzt zusammen, alle haben die Arme vor der Brust verschränkt und reden nicht. Oder der Vater, der den Betrieb längst abgegeben hat und sich trotzdem überall einmischt.

Wie geht es weiter, wenn Familien über ihre Konflikte nicht sprechen?

Mit Aggressionen und Gewalt. Es fängt mit lautstarken Auseinandersetzungen an, und irgendwann knallt es. Manchmal in Verbindung mit körperlicher Gewalt, entweder zwischen Vater und Sohn oder Mann und Frau. Oft ist Alkohol hier ein zusätzliches Problem. Dann bekommt die Frau Dresche, und sie schminkt sich die blauen Flecken weg, damit niemand etwas merkt – auch heute noch.

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Erzählen Männer und Frauen von unterschiedlichen Problemen?

Frauen sind generell reflektierter und strukturierter. Sie haben den klareren Blick, holen sich eher Unterstützung. Aber sie kommen alleine ja nicht weiter. Sie sagen sehr häufig etwas wie: Ich komme an meinen Mann nicht heran. Ich sehe, dass es meinem Mann schlecht geht, wie erschöpft er ist, aber er will darüber nicht reden.

Herrscht also auch innerhalb der Familie eine Form von Einsamkeit?

Ja, wenn nicht miteinander über persönliche Belange gesprochen wird und man sich aus dem Weg geht. Es gibt aber auch die klassische Einsamkeit des Mannes, der auf dem Hof seiner Eltern lebt und keine Frau findet. Wenn die Eltern dann auch noch sterben, ist er sehr allein auf dem Hof. Oder die Einsamkeit im Dorf, weil es erstens kaum noch Landwirte und zweitens kaum noch Schnacks am Gartenzaun gibt, weil keiner mehr Zeit hat.

Gibt es aktuelle politische Themen, zu denen sich die Landwirtinnen und Landwirte am Telefon äußern?

Das ist zum Beispiel die geplante verstärkte Wiedervernässung der Moore in Niedersachsen. Da geht es um das Gefühl von Enteignung. Oder die Frage, ob ich meinen Kindern eigentlich noch empfehlen will, den Betrieb weiterzuführen – auch wenn er gut läuft. Weil die Perspektive einer langfristigen Zukunft und wie sich die Politik entwickelt, nicht zu überblicken ist.

Als Tochter den Hof der Eltern zu übernehmen ist für viele Familien eine große Herausforderung.
Als Tochter den Hof der Eltern zu übernehmen ist für viele Familien eine große Herausforderung. © HA | Sabine Lepél

Wie können Sie die Anrufenden unterstützen?

In erster Linie, indem wir zuhören. Der Anruf bei uns ist in der Regel der erste, größte und schwierigste Schritt. Überhaupt über diese Themen zu sprechen, ist eine Riesenhürde. Oft beginnen die Gespräche mit dem Satz: Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Wir bringen eine Struktur in die Probleme, indem wir nachfragen. Niemals sagen wir den Leuten, was sie tun sollten. Auch wenn sie uns danach fragen. Unser Ziel ist, dass sie über das Erzählen selbst auf die Antwort kommen.

Was könnte besser laufen?

Dass die Ratsuchenden weniger lange warten, bis sie uns anrufen. Sie kennen ihre Baustellen, verdrängen sie aber. Der Anruf bei uns kommt leider oft sehr spät und manchmal auch zu spät. In diesen Fällen nichts mehr ausrichten zu können oder zu erkennen, dass Menschen einfach nicht im Gespräch zueinander finden, ist schlimm.

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Warum sind die Hürden für einen Anruf so hoch?

Konflikte und Probleme zu haben, ist in vielen landwirtschaftlichen Familien noch schambesetzt. Es ist peinlich. Hier zählt noch der Schein, alles im Griff zu haben, vor allem vor den Nachbarn. Es gilt noch das Klischee des starken Mannes. Das ist wirklich so, jedenfalls ist es weit verbreitet. Neulich erzählte mir eine junge Frau, ihr Vater habe zu ihr gesagt: Sieh zu, dass du einen guten Mann kriegst, damit es hier weiterläuft. Dabei ist sie selbst ausgebildete Landwirtin.

Was anderswo seit Jahren passiert, kommt in der Landwirtschaft etwa zehn bis 20 Jahre zeitverzögert an. Was in der freien Wirtschaft längst gang und gäbe ist, gibt es hier nur vereinzelt unter der Jungen: das Hinzuziehen von Rat, Coaching und das Ansprechen von Konflikten.

Erfahren Sie mitunter, ob sich eine Situation verbessert hat, ob Sie helfen konnten?

Im Prinzip endet jedes Gespräch mit einem echten Dankeschön. Allein daran merken wir schon, dass der Anruf gutgetan hat. Mitunter hören wir in der Supervision von Fällen, die sich positiv entwickelt haben. Und manchmal überweist jemand eine Spende, auch das werten wir als Zeichen, geholfen zu haben.

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Da die Gespräche uns sehr nahe gehen, freut uns das sehr. Wir stellen allerdings oft fest: Lösungen gibt es genug. Aber Lösungen zu akzeptieren, ist schwer.

Welche Lösung sehen Sie?

Die Lösung ist ganz einfach: Das ist die nächste Generation. Den Jungen muss klar sein, dass Konflikte zum Alltag gehören und völlig normal sind. Das sind 50 Prozent der Lösung. Der Rest ist, dass sie in den Dialog gehen anstatt so zu reagieren wie die Alten: hauen, abhauen oder totstellen. Landwirte müssen heute das wissen, was die Führungskräfte in der Wirtschaft seit Jahren wissen: Erfolg hat nur, wer mental gut drauf ist. Schließlich sind Probleme in der Familie nichts anderes als Probleme im Stall.