Finkenwerder. Kinder, Kranke, Menschen mit Behinderung: Die Sperrung am Finkenwerder Ring traf auch die Schwächsten im Stadtteil. Eine Bilanz.
Die Treckerblockaden am Finkenwerder Ring in Waltershof und an der Kornweide in Wilhelmsburg zeigten Wirkung: An vielen Stellen stockte im Hamburger Süden der Verkehr wegen des Rückstaus. Pendler, Lieferanten, Schüler, Krankentransporte und Rettungswagen steckten fest.
Besonders betroffen waren die Stadtteile Finkenwerder und Neuenfelde. Durch die 24-stündige Blockade östlich von Finkenwerder und die drei Rohrbrüche in Neuenfelde waren diese Stadtteile so gut wie abgeschnitten. Hatte es anfangs noch einiges Verständnis für die Protestierer gegeben, konnte man in den Sozialen Netzwerken verfolgen, wie der Rückhalt für die Bauern im Laufe des Tages verschwand.
Bauerndemo am Finkenwerder Ring: Viele Blockierer kamen aus dem Wendland
Rund 3000 Bauernhöfe, zwei Drittel davon im Vollerwerb, gibt es im Hamburger Süden und den angrenzenden Landkreisen Harburg, Stade und Lüneburg noch. Längst nicht jeder Landwirt beteiligte sich an den Protesten. Aus ganz Norddeutschland waren etwa 1500 nach Hamburg gekommen, hatten vor dem Dammtor demonstriert und waren wieder nach Hause gefahren.
Etwa 150 hatten sich gar nicht erst zur angemeldeten Kundgebung begeben, sondern waren unterwegs ausgeschert, um in Waltershof und Wilhelmsburg zwei wichtige Hafenzufahrten zu blockieren. Einige dieser Landmaschinen hatten Kennzeichen aus Lüchow-Dannenberg und waren schon bei der Aldi- und Amazon-Blockade vor einigen Wochen gesichtet worden
Die Polizei zeigte sich überrascht – und überfordert
Diese Aktionen waren nicht angemeldet. Wohl aber waren sie im Vorwege hörbar angekündigt. Die Polizei zeigte sich dennoch überrascht und überfordert. Zwar löste sie die Versammlungen schnell offiziell auf und forderte die Treckerfahrer auf, die Blockaden zu beenden. Als diese der Aufforderung nicht nachkamen, half die Polizei allerdings nicht nach, wie sonst bei Blockaden üblich.
Zunächst zögerten die Einsatzkräfte sogar, die Personalien der Blockierer festzustellen. Erst als die Polizei in den Morgenstunden des Dienstags drohte, die Traktoren mithilfe eines Krans und eines Tiefladers auf unbestimmte Zeit sicherzustellen, gaben die Treckerfahrer, die zwischendurch sogar zu Fuß den Versammlungsort verlassen hatten und ihre Maschinen quasi auf Autopilot protestieren ließen, klein bei.
Der Mann einer Hebamme schildert, wie seine Frau dreieinhalb Stunden zu einer Schwangeren nach Neugraben braucht
Der Rückstau der Blockade legte den Hamburger Süden weitestgehend lahm. In sozialen Netzwerken schilderte der Ehemann einer Harburger Hebamme, wie seine Frau dreieinhalb Stunden zu einer Klientin nach Neugraben gebraucht habe. Das Hebammenschild in der Windschutzscheibe habe ihr ebenso wenig genützt, wie dem Rettungswagen auf der Nebenspur. Wie auch? Beide standen im Stau, kilometerweit entfernt von irgendeiner Stelle, an der ein Blockierer sie großmütig hätte durchwinken können.
Eine Post-Mitarbeiterin berichtete am Harburger Bahnhof, dass sie die Bus-Anfahrt zur Spätschicht im Briefverteilzentrum Hausbruch nach drei Stunden mit dem Segen ihrer Schichtleiterin aufgegeben habe. Mindestens ein Drittel ihrer Schichtkollegen hätte dies betroffen.
Buslinien über die Elbe wurden „gesplittet“
„Wir versuchen in solchen Situationen, so viele Fahrten, wie möglich zu gewährleisten“, sagt Christoph Kreienbaum, Pressesprecher des größten Busbetreibers im Süden, der Hamburger Hochbahn. „Manchmal heißt das aber auch, dass wir Buslinien unterbrechen müssen.“
So wurden die Buslinien, die sonst den Süden und Altona verbinden, „gesplittet“. Von Norden fuhren die Linien 150 und 250 zu den Fähranlegern Neuenfelde und Teufelsbrück – dort mussten Fahrgäste darauf hoffen, dass die HADAG genügend Schiffsführer hat. Von Cranz fuhr die 150 zum Finkenwerder Dampferanleger, von Neugraben die 250 bis zum Hausbrucher Gewerbegebiet.
Die Wilhelmsburger Linien 154 und 155 fuhren von Hamburg aus nur bis zur Veddel. „Der Rest unserer Busse war aber vielerorts vom Stau betroffen und nicht mehr pünktlich“, sagt Kreienbaum. „Wir können in solchen Fällen einfach nur so fahren, wie es die Lage hergibt.“
Schulkinder konnten nicht transportiert werden
Bei der Kreisverkehrsgesellschaft (KVG) Stade, die den Hamburger Südwesten mit den Buslinien ins Umland bedient, war die Blockade ebenfalls zu spüren: „Morgendliche Schulbusdienste sind mit hohen Verspätungen geleistet worden oder sogar in Einzelfällen ausgefallen“, sagt KVG-Sprecher Oliver Blau. „Im Umland war es relativ ruhig. Allerdings gab es durch die Verknüpfung der Fahrten zu Linien in Richtung Finkenwerder auch im Umkreis Linien mit größeren Verspätungen gefahren, beispielsweise in Harburg, Stade und Buxtehude.“
Die Schulen reagierten: Das Gymnasium Finkenwerder schickte am Montag alle Kinder um 11.30 Uhr nach Hause – auch, weil es kaum Lehrer zu Schule geschafft hatten. In der Stadtteilschule gab es Unterricht und sogar Mittagessen, weil der Caterer vor der Blockade durchgekommen war. Das fiel dafür am Dienstag aus. An der Grundschule Westerschule blieb am Montag die Küche kalt, viele Kinder mussten bis in den Nachmittag ohne warme Mahlzeit auskommen.
Kinder mit Behinderung müssen stundenlange Umwege ertragen
Auch die Behinderten-Fahrdienste des DRK standen am Montag vor massiven Herausforderungen. So konnte die Tagesstätte Nessdeich – ein Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderung – nach Start der Blockade nicht mehr angefahren, die Mitarbeiter nicht nach Hause transportiert werden.
Schulkinder aus Finkenwerder und Cranz, die von umliegenden Förderschulen zurück zu ihren Familien wollten, mussten am Nachmittag stundenlange Umwege ertragen. Am Dienstag entschieden sich deshalb viele Eltern dafür, ihre Kinder ganz zu Hause zu lassen – sie verpassten den Unterricht und wichtige therapeutische Fördermaßnahmen.
Medikamentenversorgung in Finkenwerder zeitweise unterbrochen
Die Apotheken in Finkenwerder konnten am Montag nicht mit Medikamenten beliefert werden, viele Patienten mussten sich bis Dienstag gedulden. Zwar habe man versucht, die Kundinnen und Kunden aus dem Bestand zu versorgen, „aber alles haben wir natürlich auch nicht jederzeit da“, sagte Apotheker Sebastian Buchholz. Die gesamte Ware des Tages sei dann in der Nacht geliefert worden. Doch auch am Dienstag lief der Betrieb zunächst ruckelig wieder an. „Wir hoffen sehr, dass es sich bis zum Nachmittag wieder normalisiert“, so Buchholz.
Die Verkehrslage im Hamburger Hafengebiet war durch die Demonstrationen angespannt. Erst Dienstagvormittag lief der Verkehr wieder an. „Durch die Verkehrssituation kommt es seit Montag zu Verzögerungen bei der An- und Abfahrt zu und von den HHLA-Terminals“, sagt Karolin Hamann, Pressesprecherin bei der Hamburger Hafen- und Lagerhaus-AG (HHLA). „Insbesondere Lkw und teilweise auch die Beschäftigten der HHLA erreichten die Terminals verspätet. Die Abfertigung an den Terminals war kurzfristig eingeschränkt, läuft derzeit aber an allen Verkehrsträgern und wird entsprechend an die aktuelle Situation angepasst.“
In Finkenwerder bröckelt nun der Rückhalt für die protestierenden Landwirte
In sozialen Netzwerken berichten zahlreiche Finkenwerder von ausgefallenen Arztterminen oder tagelangen Expeditionen zum Facharztbesuch außerhalb der Insel. Eine betagte Patientin mit einem Schlaganfall soll, so die Aussage einer Angehörigen, mehrere Stunden nicht von der Insel heruntergekommen sein. Am Ende sei sie in einer Klinik ohne Schlaganfall-Station behandelt worden.
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Gab es vor einigen Wochen auch in Finkenwerder noch viel Verständnis für die Dieselproteste, bröckelt dieser Rückhalt seit Montag: „Mein Verständnis endet mit der heutigen Aktion!“, schrieb ein Intensivpfleger aus Finkenwerder, der sich von der Arbeit freinehmen musste, am Montag auf Facebook.
„Unangemessen und am Ziel vorbei. Die unangemeldete Aktion rund um Finkenwerder gefährdet mittlerweile Menschenleben, weil Rettungsdienst und Feuerwehr nur verzögert durchkommen auf den Autobahnen. Warum reicht es eigentlich nicht, wenn wir alle heute Abend eine Stunde mal das Licht ausmachen und auf den Balkon gehen zum Klatschen?“