Toppenstedt. Rund 1,5 Prozent Fett machen den Unterschied. Ein Paar im Kreis Harburg produziert Heumilch, die untypisch im Norden Deutschlands ist.
Ganz schön weit draußen wohnen Jenny und Sven Ole Johansson von Winsen aus gesehen – noch hinter Pattensen, und auch noch hinter Tangendorf, einem Gemeindeteil von Toppenstedt in der Samtgemeinde Salzhausen. Wer sie besucht, fährt erst einmal lange geradeaus, links und rechts nur Felder. Hier baut das sympathische Paar, das sich in der Reihe „NDR auf’m Land“ so liebevoll streitet, einen alten Milchbetrieb wieder auf. Das Besondere: Die Johanssons haben sich auf Heumilch spezialisiert, die sehr hochwertig ist, aber in Norddeutschland untypisch.
Vertrieb der eigene Heumilch via Online-Shop
In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gibt es einige Betriebe, die Heumilch produzieren, wesentlich weiter verbreitet ist sie in Bayern, Österreich und der Schweiz. Das niedersächsische Paar vertreibt die eigene Heumilch via Online-Shop, an Supermärkte und Hamburger Restaurants wie Tim Mälzers Bullerei. Auch Käse aus der eigenen Milch bieten sie an, und Kisten mit Gemüse, Milchprodukten und weiteren Lebensmitteln, die in Kooperation mit regionalen Erzeugern zusammengestellt werden.
Gerade findet auf dem Hof Johansson eine Zulassungskontrolle für milchverarbeitende Betriebe statt, drei Kontrolleurinnen gucken in jeden Winkel des Hofes. Der Landwirt hat kaum Zeit, ein paar Fragen zu beantworten. So sei ihr Leben auf dem Land eben, es sei immer etwas los, beschwichtigt Jenny.
Hof befindet sich in vierter Generation in Familienbesitz
Vor ziemlich genau zwei Jahren hat das junge Paar den Hof, den Sven Oles Vater führte, in vierter Generation übernommen. Mut war gefragt plus jede Menge Einfallsreichtum und Ehrgeiz. „Jeder normale Betriebswirtschaftler hätte uns geraten, so schnell wie es geht wegzulaufen“, meint Sven Ole. Der Schuldenberg, den das frisch vermählte Paar dazubekam, war riesig, „knapp vor siebenstellig“. Die beiden nehmen es leicht – so wirkt es zumindest von Außen. Als wäre es das Selbstverständlichste, das zusammen durchzustehen.
„Ich lebe halt nach meinem Bauch“, sagt Jenny, „sonst würde ich ständig zurückblicken und mir Fragen stellen.“ Ganz so selbstverständlich wäre es vor rund sechs Jahren nämlich nicht für die Hamburgerin gewesen, raus aufs Land zu ziehen. Die 38-Jährige ist gelernte Immobilienkauffrau, später kam eine Weiterbildung zur Immobilienfachwirtin hinzu. So richtig zufrieden habe sie das Berufsfeld aber nie gestimmt. Deswegen machte sie eine dreijährige Ausbildung an einer Schauspielschule, nebenbei arbeitete sie in einer Personalabteilung.
Die 38-jährige Jenny ist gelernte Immobilienkauffrau
„Heute bin ich schon nach einem halben Tag im Büro maximal genervt“, sagt sie lachend. Eine Art Berufsnomadin sei sie gewesen. Mit dem Landleben war sie nur wenig in Berührung gekommen. „Noch nicht einmal den Unterschied zwischen Heu und Stroh kannte ich“, gesteht sie.
2016 lernte sie Sven Ole kennen, bei einem vierzigsten Geburtstag, der zu ihrem Schrecken in der Pampa stattfand, in einer Dorfkneipe. Die beiden verguckten sich ineinander. „Wobei ich dachte, er wäre älter“, sagt Jenny. Sven Ole ist heute 28, zehn Jahre jünger als seine Frau. Sie hätten sich so einige Sprüche anhören müssen, erinnert sich Jenny. Nach dem Kennenlernen ging alles ganz schnell: Zwei Monate darauf zogen sie zusammen, weitere zwei Monate später war Jenny schwanger. Noch vor der Geburt des ersten Kindes eröffneten sie ihre Molkerei. Er kümmerte sich um die Milch, sie um das Marketing. Ein zweites Kind folgte.
Bei Geburtstagsfeier in Dorfkneipe lernte sich das Paar kennen
„Die Zeit für uns allein hat komplett gefehlt“, blickt Sven Ole zurück. Er würde sehr gern einmal wie andere Paare sorglos ins Kino gehen. Immerhin einen Urlaub hätten sie zu Beginn gemacht, im Wohnmobil. Beide lachen – so richtig entspannt sei der Urlaub nicht gewesen, Jenny habe sich mit ihrem Bauch kaum im Wohnmobil umdrehen können.
Heute, nachdem sie den Betrieb übernommen haben (53 Milchkühe, insgesamt 123 Tiere, 79 Hektar Land) sind die Rollen ähnlich verteilt wie zu Beginn. Jenny sei das hübschere Aushängeschild, sagt Sven Ole. Was nicht heißt, dass sie nicht mit anpackt: Heuballen verladen, Kälberboxen für die Neugeborenen zum Strahlen bringen, Buchhaltung – die Hamburgerin legt viel Wert auf Ordnung. Ihren Vater hat sie zum Ausfahren der Milch eingestellt.
Kühe werden nur mit Gras, Heu und Getreide gefüttert
Die Kühe allerdings sind Sven Oles Metier. Sie werden ausschließlich mit Gras, Heu und Getreide gefüttert. Gentechnisch veränderte Futtermittel sind verboten, Silage fällt weg, was dazu führt, dass die Kühe nicht ganz so viel Leistung erbringen wie herkömmlich ernährte Tiere. Dafür ist ihre Milch besonders reichhaltig. Das Heu piekse quasi von innen den Pansen, erklärt Sven Ole, deswegen bestehe keine Azidose-Gefahr, der Magen der Kuh übersäuert also nicht. Ihre Hörner dürfen die Tiere übrigens behalten – ein Experiment auf dem Hof.
Fünf Prozent Fett enthält die Milch der Johanssons. Um sie „Heumilch“ nennen zu dürfen, war ein EU-Gütesiegel nötig, für das das Paar vier Monate lang gekämpft hat, der Name ist geschützt. In der NDR-Reihe spricht Sven Ole vom „Fieber für die Milch“, das ihn erwischt habe. In seiner Ausbildung zum Landwirt habe er zwar einiges über Kuhmilch gelernt, aber er sei eben auch mit Milch aufgewachsen und es sei seine Leidenschaft, die ihn antreibe.
Jede einzelne Flasche Heumilch wird von Hand befüllt
Die Milch, die er abends melkt, landet am nächsten Tag schon im Supermarktregal. Frischer geht es kaum. 400 bis 500 Liter wirft der Hof pro Tag ab, ungefähr die Hälfte dessen, was ein durchschnittlicher Betrieb dieser Größe abwirft. Jede einzelne Flasche wird von Hand befüllt, im Durchschnitt rund 500 Flaschen pro Woche. 44 Cent erhält der Landwirt pro Liter, wenn er sie an eine Molkerei gibt. Wird sie in der eigenen Molkerei vertrieben, wirft sie mehr ab, dafür ist der Aufwand größer.
Sven Ole arbeitet mindestens 14 Stunden am Tag, fast doppelt so viel wie die meisten Menschen. Um die Einnahmen aufzubessern, fährt er zusätzlich noch zweimal pro Woche Lkw. Alles, was es auf Paletten gibt, fahre er aus. Manchmal muss er auch die Nacht durchmachen. Ist es das wert? „Ich habe einmal ein Praktikum im Einzelhandel gemacht, aber das war nichts für mich“, antwortet er. Er sei sein eigener Chef, immer draußen, seine Arbeitsstelle liege direkt vor seiner Tür.
Jenny möchte Bauernhofromantik auf den Hof holen
Jenny sieht es ähnlich. Es sei ein tolles Gefühl, mitanpacken zu können, an der frischen Luft zu sein. Allerdings sei manchmal echt viel zu bewältigen – in der Arbeit auf einem Bauernhof sei so viel mehr inbegriffen als die Produktion von Milch. Jenny möchte Bauernhofromantik auf den Hof holen, dafür muss das ganze Gelände aber erst einmal aufgeräumt werden. „Es hört nicht auf mit dem Müll“, sagt sie. Überall auf dem Hof lagerte Schrott, Plastikplanen waren verbuddelt, vieles davon konnte das Paar schon wegschaffen.
Die Landwirtin bietet für private Gruppen oder Kindergartengruppen Veranstaltungen auf dem Hof an. Die Kleinen können lernen, wie man vom Kalb zur Butter kommt, was der Unterschied zwischen Heu und Stroh ist und wie sich die Zunge einer Kuh anfühlt. Im vergangenen Jahr hat Jenny einen Lehrgang zur Bauernhofpädagogik absolviert. „Speed Dating im Stroh“ am 17. April oder „Ladies Nights im Kuhstall“ am 28. Mai sind die Events für Erwachsene, zu denen sie einlädt. „Ich versuche, besondere Sachen anzubieten. Wichtig ist uns immer der Spaßfaktor.“ Melken lernen kann man bei ihr auch, am 22. Mai findet „Melken lernen mit Brigitte“ statt.
Februar-Stürme haben die Maschinenhalle beschädigt
Aber Jenny hat noch weitere Pläne: Sie möchte einen Spielplatz für Kinder aus recycelten Gegenständen vom Hof bauen und einen Container aufstellen, in dem Kinder auch bei schlechtem Wetter Details über das Landleben kennenlernen können. Ein paar Ziegen sollen Platz finden, Hühner und vielleicht auch ein Hängebauchschwein. Die nächste Anschaffung soll aber erst einmal eine Maschine zur Heutrocknung sein. Wieder muss also Geld investiert werden, um den Hof instand zu setzen. Das Paar hat mit Sturmschäden zu kämpfen, in der Maschinenhalle, in der auch das Heu gelagert wird, klafft ein großes Loch. Das Problem: Die Maschinen werden in der Ukraine hergestellt und momentan nicht geliefert. Die Johansson haben viele Probleme zu bewältigen, aber ihrer Freude am Landleben scheint das keinen Abbruch zu tun.
Weitere Informationen unter www.hof-johansson.de