Lüneburg. Deutschlands größtes Wohnhaus aus Holz, Stroh und Lehm steht südlich von Hamburg. Wie Bewohner die Planung und den Bau erlebt haben.

Ein einzigartiges Wohnhaus in Lüneburg ist mit dem Niedersächsischen Holzbaupreis ausgezeichnet worden. Das Gemeinschaftswohnprojekt Querbeet hat im Hanseviertel zwei Gebäude aus Stroh, Lehm, Kalk und Holz mit insgesamt 38 Wohnungen errichtet.

Die Begründung der Jury für die Preisvergabe: Das Lüneburger Projekt zeige, dass Bauen mit nachhaltigen Baustoffen nicht nur möglich ist, sondern auch im großen Stil eingesetzt werden kann. Die Häuser sind bereits bewohnt. Es gibt einen Gemeinschaftsraum, eine Werkstatt und einen Naturgarten. Das Hamburger Abendblatt hatte einige Bewohner während der Bauphase im Jahr 2022 besucht.

Ökologisch bauen: Wohnprojekt aus Lüneburg gewinnt Holzbaupreis 2024

Das vierstöckige Wohnhaus ist das größte seiner Art in Deutschland. Es ist entstanden aus Holz, Stroh und Lehm und das neue Zuhause für 51 Erwachsene und 15 Kinder, die zusammen das Wohnprojekt Querbeet bilden. Menschen aus Lüneburg, Hamburg, Paderborn, Peine und Lübeck verwirklichen im Lüneburger Hanseviertel ihren Traum vom gemeinschaftlichen Wohnen in einem besonders ökologisch gebauten Haus. Zu ihnen zählen Familien, Paare, Alleinstehende und eine Wohngemeinschaft.

Für ihren gemeinsamen Traum haben Eva Kern, Elke Huckfeldt und Matthias Skorning eine Menge Zeit und viel Geld investiert. Sie sind drei der Bauherren und Bauherrinnen, die unterstützt von einem Planungsbüro und Architekten, die zwei nebeneinander stehenden Häusern realisieren. Ihre Gründe, in das Wohnprojekt einzusteigen, haben alle mit dem Wunsch nach Gemeinschaft zu tun.

Mitglieder des Wohnprojekts freuen sich über Dorfgefühl und Gemeinschaft

„Früher war es normal, dass es Treffpunkte gab, heute leben wir alle viel vereinzelter“, sagt Elke Huckfeldt. Für die 70-Jährige, die bereits in einem Hochhaus und in WGs gelebt hat, ist das Wohnprojekt daher vielmehr eine Rückkehr ins Normale als ein Zukunftsexperiment. Die Sozialpädagogin ist von Anfang an bei Querbeet dabei. Wie die meisten der Teilnehmer schätzt auch sie die Möglichkeit, sich bei Bedarf in die eigene Wohnung zurückziehen zu können.

Schon vor zwei Jahren freuten sie sich auf den Einzug ins Haus aus Lehm und Stroh (von links): Sybille Filter, Matthias Skorning, Eva Kern und Elke Huckfeldt.
Schon vor zwei Jahren freuten sie sich auf den Einzug ins Haus aus Lehm und Stroh (von links): Sybille Filter, Matthias Skorning, Eva Kern und Elke Huckfeldt. © Lena Thiele | Lena Thiele

Das war auch für Eva Kern ein Grund für die Baugemeinschaft. Nach vier Jahren mit häufig wechselnden Nachbarn freue sie sich auf Beständigkeit, sagt die 34-Jährige, die in einem Dorf aufgewachsen ist. Auch die Größe des Projekts sei ideal. „Da ist jetzt schon ein kleines Dorfgefühl. Ich muss nicht mit jedem ganz dicke sein, aber es werden immer Menschen da sein, mit denen ich unterschiedliche Interessen teilen kann.“

Familien, Paare und Alleinstehende aus Lüneburg und anderen Orten ziehen ein

Eva Kern, die beim Jugendumweltnetzwerk Janun in Lüneburg arbeitet, wird in dem Haus eine Wohngemeinschaft in ihrer Wohnung gründen. Die daneben gelegene Wohnung hat eine Freundin von ihr gekauft, sie wird mit ihren zwei Kindern einziehen. Im Alltag wollen die Frauen die beiden Wohnungen gemeinsam nutzen.

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Die Kinder von Matthias Skorning und seiner Frau sind bereits ausgezogen. Jetzt will das Paar aus Reppenstedt ein neues Kapitel in seinem Leben aufschlagen. „Wir wollen nicht nur auf unserer Scholle bleiben, sondern uns aufs Wesentliche besinnen“, sagt der Pädagoge, der die Evangelische Familienbildungsstätte in der Hansestadt leitet.

Bewohner planen den Bau des Häuser-Ensembles seit 2019

Für den 61-Jährigen ist der gemeinschaftlich Gedanke ebenso wichtig wie die besondere ökologische Heran­gehensweise, durch die viele Interessenten auf das Wohnprojekt aufmerksam geworden sind. Den Familien in der Gruppe sei es zumeist wichtig gewesen, dass ihre Kinder nicht so vereinzelt aufwachsen, sagt Matthias Skorning. Wer mitmachen will, sollte ausreichend Zeit haben, sich in die Gemeinschaft einbringen zu können. Auch Erfahrungen im gemeinschaftlichen Wohnen sind von Vorteil.

Seit 2019 plant die Gruppe das Häuserensemble. Die Steuerung des Projekts hat das Büro Plan W mit Sitz in Lübeck und Hannover übernommen. Den Neubau hat der Architekt Dirk Scharmer vom Lüneburger Planungsbüro Deltagrün entworfen. Wegen der Coronapandemie traf die Baugemeinschaft sich über Monate nur noch digital.

Jede Wohnpartei hat eine Förderung von 37.000 Euro erhalten

Das habe auch einen positiven Effekt gehabt, sagt Eva Kern. „Ich zum Beispiel hatte keine Ahnung von Hausbau, wusste aber, wie Zoom funktioniert. Indem wir uns gegenseitig geholfen haben, sind wir alle mehr auf eine gemeinsame Augenhöhe gekommen.“

Im Herbst 2021 begannen die Bauarbeiten, im Sommer 2022 wurde Richtfest gefeiert. Die Energiesparhäuser haben KfW-40-Standard, besser geht es im Moment nicht. Dadurch erhielt jede Partei eine Förderung in Höhe von 37.000 Euro.

Die 51 Bauherren müssen viel Zeit und Geld für ihren Traum aufbringen

Das Projekt ist bereits in der Vorbereitungsphase und in der Bauphase mit viel Zeitaufwand für die Mitglieder verbunden. Alle drei Wochen gibt es eine Gesellschafterversammlung, alle vier Wochen treffen sich die Eigentümer auf der Baustelle. „Wir organisieren auch Themenabende, zum Beispiel um Bodenbeläge oder Wandfarben auszusuchen“, sagt Eva Kern. „Die Fensterklinken stehen schon fest.“ Aus praktischen und finanziellen Gründen werden solche Dinge einheitlich beauftragt.

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Ohnehin ist das Thema Geld eines, mit dem sich die Gruppe bereits intensiv auseinandersetzt hat. „Das Ganze ist sehr viel teurer als ursprünglich geplant geworden“, sagt Matthias Skorning. Von 3700 Euro stiegen die Kosten pro Quadratmeter auf 5050 Euro, vor allem weil Rohstoffe und Handwerkerleistungen sich deutlich verteuert haben.

38 Eigentumswohnungen sind in den beiden Häusern entstanden

Jetzt helfen einige aus der Gruppe beim Bau des Hauses mit, ob durch Fegen am Abend, um Handwerkerstunden zu sparen, oder beim Einpassen der Strohballen in das Holzständerwerk. Denn es fand sich kein Betrieb, der den noch ungewöhnlichen Strohbau in diesem bisher einmaligen Umfang übernehmen konnte. Von innen werden die Gebäude mit Lehm verputzt, außen wird ein Kalkputz aufgetragen.

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38 Wohnungen entstehen in den beiden Häusern, dazu ein Gemeinschaftsraum und weitere gemeinschaftlich genutzte Flächen, wie eine Werkstatt, ein Waschmaschinenraum und ein Garten. Auch eine Tiefgarage musste die Gruppe zähneknirschend einplanen, wegen der auch für sie gültigen Stellplatzverordnung. Zusätzlich gibt es in ihrer Tiefgarage allerdings hundert Fahrradbügel, das zählt zu ihrem Mobilitätskonzept.

Ein Open Space dient kreativen Treffen und dem gemeinschaftlichen Arbeiten

Alle Wohnungen werden von den Eigentümern bezogen. Eine vierte Wohnung soll zu einem Open Space werden, der für Co-Working oder auch als Atelier genutzt werden kann. Um diese Idee finanzieren zu können, hat die Gruppe eine Crowdfunding-Kampagne gestartet.

Trotz der gestiegenen Kosten sind die drei künftigen Nachbarn überzeugt, dass die Investition sich für ihr Leben auszahlen wird. „Wir sind schon jetzt eine starke Gemeinschaft, können zusammen feiern, uns füreinander freuen und nehmen Anteil aneinander“, sagt Matthias Skorning. „Das kann man mit Geld nicht bezahlen.“

Lüneburger Wohnprojekt Querbeet: Holzbaupreis Niedersachsen geht an zwei weitere Projekte

Der Niedersächsische Holzbaupreis 2024 ging an insgesamt drei Preisträger. Neben dem Haus aus Holz und Stroh des Gemeinschaftswohnprojekts Querbeet in Lüneburg wurden das Haus M in Isenbüttel und das Sartorius Forschungs- und Entwicklungsgebäude in Göttingen ausgezeichnet. Die Preisträger teilen sich das Preisgeld von insgesamt 12.000 Euro.

Der Wettbewerb wird vom Landesbeirat Holz und dem Landesmarketingfonds Holz des 3N Kompetenzzentrums Niedersachsen Netzwerk Nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie ausgerichtet. Er zeichnet Gebäude aus, die überwiegend aus Holz, Holzwerkstoffen und weiteren nachwachsenden Rohstoffen bestehen und ökologische und ressourcensparende Aspekte besonders berücksichtigen. Weitere Informationen zum ausgezeichneten Projekt Querbeet in Lüneburg gibt es im Internet auf www.querbeet-lueneburg.de.