Hamburg. ARD zeigt Doku „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“, in der vor allem aus einer Sicht über die Bekämpfung der OK berichtet wird.

Kiezgold erkennt man sofort, auch hier. Gut abgestandener, kiezkerniger Humor, gemixt mit der selbstverliebten Überzeugung des eigenen Legendenstatus, der nur für Miesmacher natürlich fragwürdig ist. „Die einen gingen zum Anwalt, die anderen kamen zu mir“, sagt Karl Heinz Schwensen also, heute Discobetreiber.

Damals, in ferner St.-Pauli-Vergangenheit, war er einer von der Sorte, die grob zu Werke ging. Im Doku-Fünfteiler Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ sitzt Schwensen bei einem Kaltgetränk in seinem Laden, in dem außer ihm und den Leuten, die ihn filmen und befragen, keiner ist. Und spricht im Halbdunkel mit Sonnenbrille über die Zeit, in der der Kiez gefährlich und tödlich wurde. Die Zeit, in der der Staatsgewalt langsam schwante, dass man es im Milieu nicht mehr mit dem alten, irgendwie handhabbaren kriminellen Personalbestand zu tun hatte, sondern, wer weiß, auch mit organisierter Kriminalität?

Reeperbahn: Neue Doku hatte auf Filmfest gekürzte Premiere

Anfang der 80er-Jahre wurde deshalb an der Elbe Deutschlands erste Polizeieinheit zur Bekämpfung dieser organisierten Kriminalität gegründet: ebenjene Reeperbahn Spezialeinheit FD65. Das Wort „OK“, wie die professionell betriebene Gaunerei mit Hang zum Töten im Kriminaler-Sprech heißt, wird von Polizeibeamten wie dem späteren Hamburger LKA-Leiter und Polizeiinspekteur Wolfgang Sielaff beinah ehrfurchtgebietend ausgesprochen.

Die NDR-Produktion hatte vor ein paar Wochen eine gekürzte Premiere auf dem Filmfest in Hamburg. Kiezkundige dürften anlässlich dieser Sneak Preview schon an Oliver Schwabes Doku-Dreiteiler „Die Paten von St. Pauli“ gedacht haben, die erst im April auf Arte lief. Auch da ging es hauptsächlich um die 70er- und 80er-Jahre auf der Reeperbahn, um all die seit Jahrzehnten weitergetragenen Mythen, Geschichten, Gerüchte, um den „Paten von St. Pauli“, Wilfrid Schulz, „Dakota-Uwe“, „Karate-Tommy“, den Killer Werner „Mucki“ Pinzner, die Ritze, die Nutella-Band, kleine Gangster und große Geschäfte.

„Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ – vornehmlich aus Polizeisicht

All das begegnet einem nun ein halbes Jahr später in „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ wieder. Der Fünfteiler von Georg Tschurtschenthaler setzt mit einem Schwenk über den Ort des Geschehens ein, dazu haut die Erzählerstimme dann gleich die Buzzwords raus: „Hamburg-St. Pauli, die schmutzigste Meile der Welt“. Mit dem Superlativ ist man im Film, die Überhöhung ist ja ein beliebtes Stilmittel. Und den Modebegriff „Buzzword“ darf man sicher verwenden, wo doch Regisseur Tschurtschenthaler sich im Intro als „Showrunner“ bezeichnen lässt. „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ zielt auf ein internationales Publikum.

Wie die Netflix-Doku „Rohwedder“, mit der die auch für die neue St.-Pauli-Serie verantwortlich zeichnende GebruederBeetz Filmproduktion zuletzt in Erscheinung getreten war. Mit filmischem Archivmaterial und unheilvoller Hintergrundmusik setzt Tschurtschenthaler die mythischen St.-Pauli-Erzähler ausführlich in Szene. Anders als bei „Die Paten von St. Pauli“ wird vornehmlich aus Polizeisicht von der Verdorbenheit des Hafenstadtteils berichtet, die Luden kommen diesmal kaum zu Wort. Aber die Polizisten kennt man schon, zum Beispiel den auffällig behaarten Zivilfahnder (Szenename: „Rotfuchs“), der im Hinblick auf Korruption und beamtliches Fehlverhalten folgenden zeitlos schönen Satz ventiliert: „Das is’ auch Realität Mensch.“

Reeperbahn: Doku – als die US-Mafia nach Hamburg kam

Von Staatsdienern, die Prostituierte schwängern, führt gewissermaßen ein direkter Weg zur neu aufgesetzten Reeperbahn-Sondereinheit. Gerüchte über Filz zwischen Politik, Polizei und Milieu, dazu, über dessen jahrelangen Herrscher Wilfrid Schulz, Belege für die Ankunft der amerikanischen Mafia in Hamburg: Die Strafverfolger waren in Zugzwang geraten. Zum Vorbild nahm man sich US-Ermittler, mithilfe überseeischer Methoden soll nun in Norddeutschland das organisierte Verbrechen bekämpft werden.

Polizeichef Wolfgang Sielaff, der von Ermittlerseite am häufigsten zu Wort kommt, brachte so exotische Dinge wie „Sondereinheit“ und „Zeugenschutz“ mit nach Deutschland. Dabei, und dieser Eindruck mag auch der Fantasielosigkeit des heutigen Betrachters geschuldet sein, mutet die hiesige Professionalisierung der Polizeiarbeit und wie sie im Film dargestellt wird, einigermaßen geschraubt an.

„Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ ist ein Hamburg-Thriller

Der Hamburger Beamte, der zum FBI-Intensivkursus ausrückt? Sehen wir der Wahrheit unerschrocken ins Auge: Wahrscheinlich war Hamburg insgesamt halt doch provinziell – vor Sielaffs Heldenwerk. Was für ein Glück also, dass Amerika seine Sendboten von Sex & Crime, Mobster und die Hells Angels an die Elbe geschickt hatte! Doku-Serien müssen heute unterhaltsam sein, deswegen ist es erlaubt, wenn vordergründig „normale“ Polizeiarbeit – Abhören, Wühlen, Vorladungen – mit Bedeutung aufgepumpt wird.

„Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ ist ein Hamburg-Thriller, der sich, keine schlechte Idee, die Mühe macht, auch überkommene Realitäten jenseits der Polizeiarbeit zu porträtieren. Beleuchtet werden die Methoden des Boulevardjournalismus, aber auch die Hafenstraßen-Subkultur. In unnachahmlicher Diktion räsoniert einmal Schorsch Kamerun (Die Goldenen Zitronen) über die Beziehung der Linken zu Kiez, Sexarbeit und Amüsement: „Wir wollten deren Service nicht. Die Leistung, die die anboten, haben wir eher abgelehnt.“

Insgesamt ist im Urteil vieler der hier zu Wort kommenden Beamten (in der Sondereinheit war übrigens lediglich eine Frau, ein Zeichen der Zeit) wenig Raum für Nostalgie. „Ich persönlich habe den Kiez nie gemocht, war mir zu klebrig“, sagt einer über die Epoche, in der die Reeperbahn tatsächlich ein schmutziger Ort war.

„Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ Alle fünf Folgen an in der ARD-Mediathek abrufbar. Am Sonntag, 30. Oktober, zeigt das Erste um 21.45 Uhr eine 90-Minuten-Version.