Hamburg. Ein Rundgang durch die Kinosäle offenbarte Starpotenzial, ungeahnte Aktualität und lauten deutschen Technowumms mit H.P. Baxxter.

Beim Filmfest Hamburg sind Putin und seine Schergen sicher nicht beteiligt. Der Film „How To Blow Up A Pipeline“ trägt nach den Anschlägen auf die Gas-Leitungen Nordstream 1 und 2 aber einen bestechend aktuellen Titel, doch die Intention der Film-Saboteure ist eine andere als die der unbekannten Täter in der Ostsee.

Was die fiktive achtköpfige Gruppe antreibt, eine Öl-Leitung im Westen von Texas in die Luft zu jagen, ist die Sorge um den fortschreitenden Klimawandel. Sie verstehen ihre genau geplante Tat als Notwehr gegenüber einer Industrie, die sich einen Teufel um vereinbarte Klimaziele schert, sondern nur an Profit interessiert ist. Der amerikanische Regisseur Daniel Goldhaber inszeniert seinen Film – basierend auf dem gleichnamigen Manifest des schwedischen Wissenschaftlers Andreas Malm – als einen Öko-Thriller.

„How To Blow Up A Pipeline“: Es geht nicht um Nordstream.
„How To Blow Up A Pipeline“: Es geht nicht um Nordstream. © filmfest hamburg | filmfest hamburg

Spannend ist neben der Action die Beschreibung der Dynamik innerhalb dieser heterogenen Gruppe aus radikalen und umsichtigen Klima-Aktivisten. Sie lösen keine Umweltkatastrophe aus: Bevor die Pipeline in die Luft fliegt, stoppt eine Aktivistin den Ölfluss durch die Rohre. Bei der Europa-Premiere im Cinemaxx erläuterten Goldhaber und Malm die Intentionen ihres provokativen Films (läuft noch einmal am 4.10., 21.30, Metropolis).

Filmfest Hamburg: Publikum amüsiert sich glänzend

Ein Dauergast beim Filmfest Hamburg ist Lars Becker. Am Wochenende war er gleich mit zwei Filmen vertreten. Neben dem Justizdrama „Die Macht der Frauen“ mit Natalia Wörner lief die jüngste Ausgabe seiner „Nachtschicht“-Reihe. Es ist bereits der 18. Film mit dem ruppigen Hauptkommissar Erichsen (Armin Rohde) und seinem diversen Team. Dieses Mal haben die Polizisten es nicht nur mit einem Mörder auf der Flucht, zwei entlaufenen Schimpansen und einem Drogenkurierdienst zu tun, sondern auch mit einem Orkan, der die Hansestadt bedroht. Das Publikum amüsierte sich bei „Die Ruhe vor dem Sturm“ glänzend über den schwarzhumorigen Krimi.

Der Filmfest-Sonnabendabend verschrieb sich nicht nur Thrill und Humor, sondern auch der Musik. Und mit gleich zwei Musikerporträts – Fatih Akins Spielfilm „Rheingold“ und Cordula Kablitz-Posts Scooter-Dokumentation „FCK 2020 - Zweieinhalb Jahre mit Scooter“ – den richtig coolen Typen.

Mit „Rheingold“ hat Akin („Der Goldene Handschuh“) das wilde Gangster-Leben des Rappers und Unternehmers Xatar (kurdisch für „Gefahr“) frei nach dessen Autobiografie verfilmt. Das große Finale bildet dabei der spektakuläre Überfall auf einen Goldtransporter, den der Rapper 2009 verübte und der ihn hinter Gitter brachte.

Der Schein trügt: Gangsterrapper Xatar (l., mit Regisseur Faith Akin und Hauptdarsteller Emilio Sakraya) überließ zur „Rheingold“-Premiere das Wort bescheiden seiner Mutter.
Der Schein trügt: Gangsterrapper Xatar (l., mit Regisseur Faith Akin und Hauptdarsteller Emilio Sakraya) überließ zur „Rheingold“-Premiere das Wort bescheiden seiner Mutter. © Imago/Future Image

Sein neuestes Werk wurde „mit einem ganzen Batzen Para von Warner“ produziert, formuliert Akin selbst in Szene-Manier. Es ist eine Erzählung über Freundschaft, Rache und schlechte Entscheidungen. Der Streifen zeigt in den meisten seiner 140 Minuten Spielzeit knallharte Jungs: Die ticken Koks, die schwören viel, da gibt es Drive-by-Shootings, reichlich Rap und blutige Prügeleien.

Den Muskelpaketen und Drogenbossen werden aber die allzu menschlichen Schlamastiken gelassen. „Rheingold“ lehrt dem Zuschauer, dass auch der größte Gangster Körbe bekommt und auch der tougheste Ticker mal genervt im Pforzheimer Stau steht. Das Weltpremieren-Publikum im Cinemaxx würdigte Akins Sinn für Comic Reliefs mehrfach mit Szenenapplaus.

Echte „Goodfellas“ beim Filmfest Hamburg

Nach altem Filmfestritus zeigte sich die fast 50 Personen starke Crew im Anschluss auf der Bühne vor der Leinwand. Darunter der bejubelnswerte Hauptdarsteller Emilio Sakraya, Fatih Akin, aber auch einige Rollenvorbilder – echte „Goodfellas“ also, wie der Regisseur mehrfach betonte.

Rollenvorbilder: Auch die Gangstarapper der Hamburger Strassenbande 187 LX (alias Alexander Justin Fritz Hutzler, M.) und Gzuz (Kristoffer Jonas Klauß, r.) posierten zur „Rheingold“-Premiere mit Fatih Akin.
Rollenvorbilder: Auch die Gangstarapper der Hamburger Strassenbande 187 LX (alias Alexander Justin Fritz Hutzler, M.) und Gzuz (Kristoffer Jonas Klauß, r.) posierten zur „Rheingold“-Premiere mit Fatih Akin. © Imago/Andre Lenthe

Natürlich war auch Rheingold-Räuber Xatar selbst dabei, der sich unerwartet bescheiden gab und das Wort seiner Mutter überließ. Die wiederum nutzte die Aufmerksamkeit und brach in einer ergreifenden Rede eine Lanze für die unterdrückten Frauen im Iran.

Ein würdiger Abschluss einer Vorführung, die den Zuschauer mit dem Gefühl zurückließ, dass Gangsterrapper wohl ein klassischer Harte-Schale-weicher-Kern-Fall sind. Nun, und einem leisen Zweifel darüber, ob das Schaffen drogendealender Goldräuber wirklich so stark romantisiert werden sollte.

Scooter-Film sollte Epileptiker-Warnung bekommen

Lange ließ sich nicht darüber sinnieren, denn kaum waren Akin und Xatar aus dem Seitenausgang des Kinos verschwunden, standen mit Scooter die nächsten Superstars vor der Tür. Cordula Kablitz-Posts Bandporträt lief standesgemäß in der Spätvorstellung, müde wurde während „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“ aber niemand. Denn dieser Film ist laut(!) – und sollte eine Epileptiker-Warnung bekommen. Wer die Texte von Scooter bisher für einigermaßen sinnentleert hielt, der wurde keines Besseren belehrt. So richtig Bock aufs stumpfe Abgehen und Loslassen bei einer Scooter-Show machte der Film gerade deshalb.

Filmfest Hamburg? Der richtige Ort für einen Scooter-Film.
Filmfest Hamburg? Der richtige Ort für einen Scooter-Film. © filmfest hamburg | filmfest hamburg

Zweieinhalb Jahre lang hat Kablitz-Post H.P. Baxxter und Konsorten mit der Kamera begleitet. Neben Archivaufnahmen aus den frühen Jahren der Techno-Pop-Pioniere zeigt sie, wie die Coronazeit Scooter und insbesondere den feierwütigen und damit isolationsunfähigen Frontmann gebeutelt hat. Am spannendsten sind dabei wohl die Einblicke in dessen Privatleben. Denn die Hardcore-Ikone gibt sich punktuell ziemlich pedantisch, fast spießig und – um es sacht auszudrücken – Bandkollegen gegenüber einigermaßen fordernd.

800 Stunden Drehmaterial wurden für „FCK 2020“ auf 112 Minuten eingedampft. Eine Hammer-Aufgabe, die vielleicht dafür verantwortlich ist, dass der Film zuweilen den roten Faden etwas vermissen lässt. Übrigens: Im kurzen Nachgespräch mit dem Filmteam holte auch H.P. Baxxter seine Mutter auf die Bühne. Ja, das sind eben wirklich coole Typen, die sich am Sonnabend im Cinemaxx gezeigt und zeigen lassen haben.

Das Filmfest Hamburg läuft noch bis 8. Oktober. Alle Infos unter filmfesthamburg.de