Hamburg. Auf St. Pauli zu Hause, will der Hamburger Kampfsportler und Autor Michel Ruge von Afrika lernen – auf einer Fahrt vom Kiez zum Kap.
Michel Ruge ist ein St. Paulianer Jung. Als Sohn eines Bordellbesitzers ist er auf dem Kiez aufgewachsen. In den 80er Jahren war er Gangmitglied. Er hat Schauspiel studiert und als Türsteher in Berliner Clubs gearbeitet. Heute ist der Kampfsportler und Personenschützer Buchautor („Bordsteinkönig“, „Große Freiheit Mitte“) – und jetzt auch noch Entdeckungsreisender.
„My Teacher Africa – Travel To Learn“ steht auf Moterhaube und Türen des großen britischen Geländewagens, der am Kantstein vor dem Haus des 52-Jährigen auf St. Pauli parkt. Der silberne Wagen soll ihm, seiner Frau Annika (45) und dem kleinen Töchterchen Jaguar - gerade mal ein Jahr alt - in den kommenden Monaten ein Zuhause sein. Vom Kiez soll er sie bis ans Kap der Guten Hoffnung in Südafrika bringen. Kommenden Freitag geht es los.
Michel Ruge: Von Kiez zu Kap der Guten Hoffnung
„Wir wollen, solange Jaguar noch so klein ist und wir sie nicht so bewusst aus ihren Umfeld herausreißen, wegfahren und etwas entdecken, was wir noch nicht kennen“, sagt Ruge. Nicht, dass das Paar in letzter Zeit nicht herumgekommen wäre. „In New York haben wir geheiratet, in Paris das Flitterwochenende verbracht.“ Alles während Corona. „Wir haben geheiratet, ein Kind bekommen – wir haben die Zeit genutzt.“
Die Idee, nach Afrika zu reisen, kam mit einem Buch: „Afrotopia“ von Felwine Sarr. Darin wünscht sich der senegalesische Sozialwissenschaftler eine Rückbesinnung auf die vergessenen und verdrängten geistigen Ressourcen Afrikas, die - anders als das westliche Gesellschaftsmodell, ein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Natur aufweise.
Michel Ruge: Gangmitglied, Türsteher, Buchautor
„Als ich das gelesen habe, bekam ich total Gänsehaut“, erinnert sich Ruge. „Was dieser tolle Mann da sagt, ist genau das, was ich schon immer gedacht habe. Ich habe dieses Bild vom großen weißen Retter immer für hochnäsig gehalten. Wir als Weiße, also als westliche Länder, haben ja erst dafür gesorgt, dass dieser reiche Kontinent, der ja viel größer ist als ich als Kind gelernt habe, absichtlich klein gemacht wurde.“
Dass sie zusammen ein Buch schreiben wollen, stand schon vor der Bestimmung des Reiseziels fest, sagt Annika Ruge, sie ist Journalistin. „Für uns war klar, dass wir ein Buch schreiben wollen über einen zweiten Wirtschaftskreislauf und die Bedeutung von Geld und was es mit Menschen macht.“ Das Buch von Felwine Sarr habe sie beide „auf vielerlei Ebenen berührt“.
Personenschützer für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft
Als er als Personenschützer für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in Südafrika war, habe er Ubuntu kennengelernt, sagt Michel. Die Lebensphilosophie, die auf Nächstenliebe, wechselseitigen Respekt und Gemeinsinn abstellt und die auch von Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela vertreten wurde, habe ihn begeistert. „Natürlich kann man das nicht eins zu eins auf Europa übertragen. Aber es gibt einen Blickwinkel in Afrika, den wir ruhig einmal als Schüler übernehmen können.“
Seine Frau glaubt, dass es hierzulande durchaus „einen Hunger danach“ gibt. „Man hat es ja in der Pandemie gesehen, als die Menschen im Lockdown auf die Balkone gegangen sind, um zu klatschen für das Pflegepersonal und die Supermarktkassiererinnen. Auf der einen Seite war das natürlich sehr oberflächlich, aber es war auch Ausdruck für etwas, was uns verloren gegangen ist. Nämlich wirklich zu sehen, was macht der andere und wie hängt das mit mir zusammen. Für diese Bewusstheit, glaube ich, ist Afrika ein guter Ort.“
Michel Ruge wil möglichst viele Menschen kennenlernen
Während der Reise wollen sie möglichst viele Menschen kennenlernen. „Schriftsteller, Künstler, Politiker, mit denen wir über Kunst und Kultur sprechen. Denn das - und das haben wir während Corona gesehen - ist das, was den Geist ausmacht“, sagt Michel. „Die Wirtschaft treibt nur etwas an, Kunst und Kultur können eine Gesellschaft aber wirklich in etwas Besseres hieven.“
Dass die lange Reise auch Gefahren berge, wisse er. „Uns ist durchaus bewusst, dass es dort Krisengebiete gibt. Aber das ist durchaus nicht überall so. Das ist ja gerade so schade, dass man einen ganzen Kontinent, der so riesig ist, immer nur auf Armut, auf Hunger und auf Gewalt und Krieg reduziert.“
Sie hätten sehr gute Berater und die Route sei entsprechend abgestimmt. „Wir werden alles tun, damit wir niemals bedroht werden.“ Die Vorstellung, dass er sich als Personenschützer bewaffneten Angreifern einfach widersetzen würde, sei „Schwachsinn“. „Ich bin in fremden Ländern und ich bin als Schüler dort, nicht als Kämpfer.“
Vom Kiez zum Kap der Guten Hoffnung
Alle seien während der Reise getrackt und jederzeit ortbar, nicht nur das Auto, sagt Annika. „Wir haben Satellitentelefon. Aber wir respektieren natürlich auch die Landessitten, das gilt auch für mich. In Ländern, in denen die Scharia gilt, werde ich auch verschleiert sein.“
Minimum ein Jahr soll die Reise dauern. „Wir brauchen geschätzt ja schon acht Monate, um im Süden anzukommen“, sagt Michel. „Ich gehe eher davon aus, dass wir anderthalb Jahre unterwegs sein werden.“ Und im Anschluss soll es dann eine gemeinsame Lesereise geben, wenn denn das Buch fertig ist.