Hamburg. Auch nach zehn Jahren können Gerichte nicht klären, ob Karl-Heinz Schwensen ohne Führerschein fuhr.
Er pflegt schon seit Jahrzehnten das Image des Mister Superlässig. Mit cooler, dunkel getönter Pilotenbrille auch dann, wenn kein Sonnenstrahl zu sehen ist. Kiezlegende Karl-Heinz Schwensen legt viel Wert auf einen gepflegten, ewig gleichen Look – und damit einen hohen Wiedererkennungswert.
Doch was in manchem Metier Gold wert sein kann, mag in anderen Lebensbereichen eher zum Handicap werden. Vor allem, wenn es um den guten Ruf geht – und um eine mögliche Straftat. War er es, oder war er es nicht? Oder präziser: Ist einer, der auch im Dunkeln mit auffallend getönter, groß dimensionierter Pilotenbrille unterwegs ist, automatisch die St.-Pauli-Größe Karl-Heinz Schwensen?
Seit zehn Jahren scheiden sich eben daran nun schon die Geister. Und fast genauso lange soll diese Frage vor Gericht aufgeklärt werden – ohne dass es bis heute eine Antwort gibt. Es geht dabei nicht etwa um aufwendigste Ermittlungen und hoch komplexe Sachverhalte. Nein, die Justiz tut sich schwer daran, einen schlichten Fall möglichen Fahrens ohne Führerschein rechtskräftig abzuschließen. Zuletzt war im Juni 2017 ein Verhandlungstermin anberaumt – ohne Ergebnis. Seit jenem Tag vor mehr als dreieinhalb Jahren ruht das Verfahren sogar; ein nächster Prozess ist nicht in Sicht.
Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu 100 Euro
Der inzwischen 67 Jahre alte Hauptdarsteller in dieser unendlich anmutenden Geschichte spottete schon vor Jahren: „Mein Vertrauen in die Justiz reicht so weit, wie ich einen 30-Tonnen-Lkw schmeißen kann“, so Schwensen. Da hatte es gerade den dritten Anlauf gegeben, das Verfahren zu einem Ende zu bringen. Mittlerweile sind ein Amtsrichter und drei Kleine Strafkammern am Landgericht mit dem Fall befasst gewesen. Ende weiterhin offen.
Das Schauspiel in vier Akten begann in den späten Abendstunden des 2. Februar 2011. Damals soll die Kiezlegende auf der Balduinstraße unterwegs gewesen sein, am Steuer eines Mercedes – und ohne Fahrerlaubnis. Die hatte Schwensen einen Monat zuvor abgeben müssen, nachdem er das 18-Punkte-Limit in Flensburg erreicht hatte. Keine sechs Monate später wurde der Fall erstmals vor Gericht verhandelt.
Der Amtsrichter verurteilte Schwensen zu einer Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu 100 Euro. Das Gericht stützte sich dabei auf die Aussage zweier Polizisten: „Ich bin in Hamburg aufgewachsen, ich weiß, wie Herr Schwensen aussieht“, hatte einer der Beamten ausgesagt. Und der andere hatte gemeint: „Ich habe in meinem Leben nur zwei Menschen erlebt, die im Dunkeln eine Sonnenbrille tragen, Heino und Herrn Schwensen. Und Heino war es nicht.“
Pilotenbrille nahm Schwensen früher angeblich nur beim Haarewaschen ab
Goldrand-Sonnenbrille und Schnauzer: Diese beiden Accessoires sind ebenso Markenzeichen des 67-Jährigen wie ein schicker Anzug. Die fast zum Kultobjekt erhobene Pilotenbrille nahm der Hamburger früher angeblich nur beim Haarewaschen ab. Unvergessen ist beispielsweise eine Szene vom 23. August 1996, als Schwensen in einem Restaurant angeschossen wurde und sich noch auf der Trage des Notarztes weigerte, seine Sonnenbrille abzunehmen, eine Hand zum Victory-Zeichen erhoben.
Dass nun aber allein das Aufsetzen einer Sonnenbrille zur Nachtzeit in einem Prozess als Beweis für seine Schuld gelten soll, scheint Schwensen gewurmt zu haben. Und so hatte der Club-Betreiber bei einer Berufungsverhandlung im Oktober 2012 zu einem Trick gegriffen, der offenbar zeigen sollte, wie leicht Menschen mit wenigen Accessoires zu täuschen seien: Im Gerichtssaal war ganz kurz ein Doppelgänger im typischen Schwensen-Look aufgetaucht und dann wieder verschwunden. Dann kam der echte Schwensen – ohne seine Markenzeichen Sonnenbrille und Schnauzbart. Doch dieser Auftritt „oben ohne“ sorgte für mehr Irritation, als dem Hamburger lieb gewesen sein konnte.
Denn die Richterin glaubte dem damals 58-Jährigen nicht, dass er wirklich der ist, den man sonst nur in seinem charakteristischen Outfit kennt. Auch dass Schwensen anbot, seine Fingerabdrücke nehmen zu lassen, und im Saal auch noch seinen Pullover lupfte und seine Jeans ein wenig herunterschob, um die Narben seiner alten Schusswunden zu zeigen und so seine wahre Identität zu beweisen, half nicht.
Der Mann, der sich als Schwensen ausgegeben habe, „ist nicht Herr Schwensen“, sagte die Richterin entschlossen und verwarf die Berufung. Gegen ihre Entscheidung legte die Kiezlegende mit seinem Verteidiger Klaus Hüser erfolgreich Rechtsmittel ein.
„Dieses Verfahren ist kein Ruhmesblatt für die Hamburger Justiz“
Bei einer neuen Berufungsverhandlung vor einer anderen Kleinen Strafkammer im Oktober 2013 erschien Schwensen erneut glatt rasiert und ohne Brille. Und er beteuerte, dass mitnichten er seinerzeit am Steuer gesessen habe, sondern dass er zur fraglichen Stunde gemeinsam mit einer Bekannten „Deutschland sucht den Superstar“ gesehen habe.
Trotzdem bekundeten zwei Polizeibeamte, sie hätten den Fahrer des Wagens eindeutig als Schwensen erkannt. Wieder wurde der Angeklagte verurteilt, und zwar diesmal zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 15 Euro wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Auch gegen diese Entscheidung ging die Verteidigung erfolgreich in Revision. Daraufhin kam es am 2. Juni 2017 zu einem weiteren Termin wiederum vor einer anderen Kammer. Doch dieser Prozess endete, bevor er überhaupt begonnen hatte. Die Verteidigung hatte angeregt zu überlegen, ob das Verfahren eingestellt werden könne.
Die Staatsanwaltschaft hatte dem allerdings nicht zustimmen wollen. Als dies erst am Morgen der geplanten Hauptverhandlung bekannt wurde, war klar, dass der Prozess ohne Zeugen nicht durchgeführt werden konnte. Ein neuer Termin sollte her. Doch den hat es bis heute nicht gegeben.
„Dieses Verfahren ist kein Ruhmesblatt für die Hamburger Justiz“, sagt dazu Schwensens Verteidiger Klaus Hüser auf Anfrage. Er glaube nicht, so Hüser weiter, „dass in der ganzen Bundesrepublik jemals ein Verfahren wegen eines solchen Tatvorwurfs, also wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, so lange gedauert hat“.
Fall musste immer wieder zurückgestellt werden
Auch bei Gericht ist man alles andere als froh über die Situation. „Es besteht kein Zweifel, dass dieses Verfahren – wie auch immer es ausgehen mag – längst abgeschlossen sein sollte“, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen. „Unter den vielen Tausend Strafprozessen, die insgesamt im Jahr anfallen, sind leider manchmal Ausreißer, bei denen eines zum anderen kommt. Und auch in diesem Fall gibt es unterschiedliche Faktoren, die das Verfahren immer länger haben werden lassen.“ Seit der letzten Revisionsentscheidung hätten sich die immer wieder sehr angespannte Belastungssituation in den Berufungskammern und zuletzt auch die coronabedingten Einschränkungen ausgewirkt.
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„Die hohe Zahl von Verfahren und ihre zunehmende Komplexität“ verlange von den Richtern immer wieder, „dass priorisiert werden muss: Angeklagte, die sich in Untersuchungshaft befinden, haben immer Vorrang, und auch sonst müssen häufig Fälle vorgezogen werden, in denen es um zu vollstreckende Freiheitsstrafen geht“, erklärt Wantzen. „Es kommt dann vor, dass Verhandlungen mit weniger gravierenden Vorwürfen immer wieder zurückgestellt werden müssen. Das ist für alle unbefriedigend, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Kolleginnen und Kollegen, deren Ziel es ist, für möglichst zügige Verfahren zu sorgen, und sehr hart dafür arbeiten.“