Hamburg. Tote Hosen, Gerhard Polt und die Well-Brüder zeigen in Hamburg eine bayerisch-rheinische „Kulturelle Zumutung“. Was ist da los?

Mal was anderes: Im Juli 2022 feierten Die Toten Hosen eine große Rocksause mit 20.000 Fans im Hamburger Volkspark, ein Jahr später tobt Campino im Stadtpark durch die Reihen und fordert das Publikum zu „Ohohohoho“-Chören an – vor 1900 Leuten, die es sich in Windjacken und Regenparkas auf nassen Stühlen mehr oder weniger bequem gemacht haben.

Hinter ihm spielen die Hosen bis auf Bassist Andi unplugged, und bayerische Folkloremusiker pusten in Tuba und Trompete. Was ist denn da los?

Die Toten Hosen im Stadtpark: „A Mordsgaudi“ – und Campino geht doch zu den Bayern

Die Düsseldorfer Rockband hatte schon immer einen Hang zum Skurrilen. 1987 zum Beispiel nahmen sie das Album „Never Mind The Hosen – Here’s Die Roten Rosen“ mit dröhnenden Schlager-Interpretationen auf, und die Zahl der Geheim- und Überraschungskonzerte in zu kleinen Clubs, auf der Zugspitze, in Haftanstalten und Klostern, auf Ausflugsdampfern, in Wohnzimmern und sogar zusammen mit der Konkurrenz Die Ärzte überfordert sogar den härtesten Kern der Fans der „Opel-Gang“.

Die Toten Hosen spielten in Hamburg seit 1982 schon nahezu überall, in Punkerkneipen (Krawall, Graffiti), in Clubs vom Molotow bis zum Docks, im AK Ochsenzoll, in der Sporthalle, am Millerntor und im Volkspark. Der Stadtpark fehlte noch in Campinos Sammlung.
Die Toten Hosen spielten in Hamburg seit 1982 schon nahezu überall, in Punkerkneipen (Krawall, Graffiti), in Clubs vom Molotow bis zum Docks, im AK Ochsenzoll, in der Sporthalle, am Millerntor und im Volkspark. Der Stadtpark fehlte noch in Campinos Sammlung. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Und Mitte der 80er-Jahre engagierten sich die Hosen auch bei den „Anti-WAAhnsinns-Festivals“ in Burglengenfeld, den Protesten gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf, wo sie den Münchner Kabarettisten Gerhard Polt und die Well-Brüder trafen – drei bayerische Folklore-Stubenmusikanten aus dem Haspelmoor im Landkreis Fürstenfeldbruck. Dort entstand eine ungewöhnliche Künstlerfreundschaft, die seit 40 Jahren Bestand hat.

In den 80ern trafen die Hosen auf Gerhard Polt und die Well-Brüder

Bereits 2017 gastierte diese rheinisch-bayerische Verbrüderung in der Laeiszhalle, und auch dieses Jahr lassen die Hosen ihre kreischbunten Klamotten und E-Gitarren zur Seite und greifen im Stadtpark gediegen gekleidet zu Wanderklampfen und im Verlauf des zweieinhalb Stunden langen Abends sogar zu Hackbrett, Zither, Harfe, Brummtopf, Pauke und Alphorn. Und Campino versucht wieder, leise zu schreien.

Musikalisch darf da keine große Kunst erwartet werden, „Wir bitten um Entschuldigung“, singen die Düsselpiraten gleich zu Beginn. Aber eigentlich ist das schon Punk, auch wenn Puristen jetzt wieder empört ihr Dosenbier ausspucken.

Hamburg: Das Programm im Stadtpark ist eine „Kulturelle Zumutung“

„Eine kulturelle Zumutung“, heißt das Programm von Hosen, Gerhard Polt und den Well-Brüdern dieses Jahr. Zum Auftakt gibt es von Karli, Stofferl und Michael Well ein Gstanzl, bayerischen Spottgesang über Hamburg: „Die Elbe ausgebaggert bis auf den Grund und unsere Stimmungskanone Scholz leidet an Gedächtnisschwund.“ Auch der HSV kriegt einen mit, sehr zur Freude des örtlichen Publikums, das traditionell doch eher zu St. Pauli hält.

Es ist schwierig zu sagen, welche der Fans, die von Campino mit Blumen bedacht werden, wegen der Hosen da sind und welche für das polternde Urgestein Polt. Am Alter lässt es sich nicht mehr festmachen, der Schnitt geht auch bei normalen Hosen-Konzerten auf die 50 zu.

Die Stimmung ist jedenfalls bei allen Beteiligten gut. Die Hosen spielen ein, zwei Klassiker und neuere Hits wie „Laune der Natur“, „Liebeslied“ oder „Alle sagen das“, dann zieht Gerhard Polt vom Leder, die Well-Brüder gstanzln, Sketche werden aufgeführt oder Lieder gecovert: „Politische Lieder“ von Funny van Dannen, „Forever Young“ von Alphaville oder „Lago Maggiore“ von Rudi Schuricke. A Mordsgaudi.

Die Toten Hosen im Stadtpark: „Wir brauchen keine AfD, wir haben ja die CSU“

Aber auch Kritik an den Zuständen wird geübt. „Wir brauchen keine AfD, wir haben ja die CSU“, wissen die Well-Brüder, und Polt verwandelt sich immer noch gern wie im Film „Man spricht deutsh“ (1988) in den deutschen Spießer, wenn er den „Suff“ (also SUV) feiert und die Verschwendung von Klimaklebern bedauert: „Früher ham mia den Kleber noch geschnuffelt.“ Ja, Bayern, Land der Schneekanonen und „Kerndlfresser“, wo man eine Religion hat, die das Bier nicht nur trinkt, sondern sogar braut.

Keine Maß, auch wenn man im Stadtpark auf Wunsch auch Literbecher bekommt: Einige Fans haben sich dem Anlass entsprechend in Tracht geworfen.
Keine Maß, auch wenn man im Stadtpark auf Wunsch auch Literbecher bekommt: Einige Fans haben sich dem Anlass entsprechend in Tracht geworfen. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Wenn das „Jünglingsballett aus Düsseldorf“ die Lieder „Wannsee, „Wünsch dir was“, „Freunde“ und „Auld Lang Syne“ präsentiert, steht das Publikum im Stadtpark komplett auf. Polt hingegen nimmt auf seinem Stuhl Platz und zelebriert eine Art Sitz-Pogo-Schuhplattler. Und zum Finale geht niemand allein bei „You’ll Never Walk Alone“.

Das Erstaunliche ist eigentlich, dass Campino doch immer behauptet hat, nie zu Bayern zu gehen, und jetzt mit Bayern durch die Republik reist. Okay, er meinte den FC Bayern, diesen feinen Unterschied muss man schon machen. Gerhard Polt macht es aber zur Sicherheit noch mal ganz deutlich: „Bevor Campino zum FC Bayern geht, geht er zu Die Ärzte.“