Hamburg. Saison-Finale der Symphoniker Hamburg mit Schönberg, Berlioz und Cambreling hätte eine kleine Prise Raserei mehr verdient gehabt.
Zwei bereits zu Lebzeiten schwerst umstrittene Exzentriker oder, richtiger ausgedrückt: kompromisslose Visionäre an einem Abend sinnstiftend vereint, das hat was. Der eine – der Wiener Schönberg – pulverisierte das bis dahin gelernte, klassische Denken über Tonalität und vermeintliche Harmonien, der andere – der Pariser Berlioz – holte mit seinem Kombinationsgenie aus romantischen Orchestern Klangfarben heraus, die vor ihm niemand dort vermutet hatte.
Durchaus ehrgeizig also, dass die Symphoniker mit ihrem Chefdirigenten Sylvain Cambreling bei ihrem letzten regulären Abo-Konzert dieser Saison das expressionistisch-nervöse Monodram „Erwartung“ von 1909 mit der 80 Jahre älteren „Symphonie fantastique“ zusammenbrachten, zwei Stücke, die verzweifelte Innenleben entblößten und manische Rauschzustände vertonten, jedes auf seine sehr eigene Art.
Symphoniker Hamburg in der Laeiszhalle: Saison-Finale mit etwas zu wenig Größenwahn
Mit der Sopranistin Anne Schwanewilms hatte man sich für eine stimmlich klug agierende Hauptdarstellerin entschieden; dieser Schönberg kann keine Diva gebrauchen, sondern nur eine furchtlose Charakter-Sängerin, die dem erratisch flatternden Text des Plots – Frau irrt durch die Nacht, auf der Suche nach ihrem Geliebten und findet letztlich seine Leiche – und den heiklen Anforderungen dieser Partie dennoch Halt und Form geben kann.
- Elbphilharmonie: Berlioz auswendig gespielt – Drahtseilakt im Großen Saal
- Symphoniker Hamburg: Spielzeit mit spektakulärem Abschluss
- Laeiszhalle: Symphoniker Hamburg mit leicht theatralem Marthaler-Auftakt
Das gelang ihr beeindruckend, auch, weil Cambrelings Faible für diffizile Klassiker der Moderne sich auf die Gestaltung des Orchesters übertrug. Hin und wieder litt die Textverständlichkeit unter dem dann allzu energischen Eigenschwung der Symphoniker. Doch das Experiment an sich, dieses gewollt verstörende Stück der Stammkundschaft zu präsentieren, das gelang und gefiel dem Publikum ausdrücklich.
Die gefühlte, hörbare musikalische Innenspannung ist nicht immer eine Frage des konkret gespielten Tempos. Manchmal aber doch. Nach etlichen Runden mit anderen Dirigenten (vor allem in der feiner zeichnenden Elbphilharmonie-Akustik) durch Berlioz‘ leicht irres Meisterwerk wirkte Cambrelings Ansatz, bei aller Hingabe an die Detailformung der großen melodischen Linien, weitaus weniger überwältigend als praktisch möglich.
Laeiszhalle: Sekt statt Champagner bei der Ball-Szene
Da tänzelte und irrlichterte es nur sporadisch, die Tempi waren im Zweifelsfall eher auf der gemächlichen Seite des Spektrums. Vieles, zu vieles wirkte auf Sicherheit gespielt und nicht auf volles Risiko gesetzt. Die Ball-Szene im zweiten Abschnitt moussierte mäßig, anstatt mondän im Walzertakt zu perlen. Es gab Sekt statt Champagner.
Die nachfolgende Szene auf dem Lande zeichnete die Stimmung fein nach. Aber sowohl der „Ganz zum Richtplatz“ als auch das „Hexensabbat“-Finale mit seiner Dies-irae-Horrorshow hätten die eine kleine Prise Größenwahn und Raserei mehr verdient gehabt, ohne die gerade dieser Berlioz nur original klingt, aber nicht originell.
Die „Symphonie fantastique“ wird beim Eröffnungskonzert des Argerich-Festivals am 20.6. im Großen Saal der Elbphilharmonie wiederholt, evtl. Restkarten an der Abendkasse, www.elbphilharmonie.de