Hamburg. Die Symphoniker und Sylvain Cambreling starteten mit drei extrem unterschiedlichen Werken in ihre Spielzeit. Eine Kritik.
Das Konzept-Rezept des Regisseurs Christoph Marthaler ist jahrzehntelang bewährt: Sonderbare Menschen, die wieder und wieder eigenwillige Dinge tun und tragikomisch daran scheitern. Es passt aber dennoch nicht immer ideal. Nach einer Beethoven-Vermarthalerung haben die Symphoniker Hamburg ihn wieder, für ihren Spielzeitauftakt in der Laeiszhalle, eingeladen.
Als roten Konzept-Faden hatte man sich das Phänomen des Rituals zurechtargumentiert und mit drei extrem unterschiedlichen Werken auf einen Nenner zu bringen versucht: Französischer Kleinmeister-Barock, ein deutscher Außenseiter aus dem 20. Jahrhundert und Strawinskys größter Hit. Liest sich eigenwillig? War es, auch qualitativ.
Symphoniker Hamburg mit Amuse-Geule-Auftakt in der Laeiszhalle
Michel-Richard Delalande diente Ludwig XIV. in Versailles als hauptberuflicher Speisekarten-Beschaller; seine „Symphonies pour le soupers du Roy“ sind Gebrauchsbarock-Portionen, nichts, was schwer oder lange oder gar quer im Magen liegt. Einige Handvoll Symphoniker strengte sich unter der motivierenden Anleitung ihres Chefdirigenten Sylvain Cambreling rechtschaffen an, den geschmeidigen Phrasierungsanforderungen und schlanken Klangbedürfnissen dieser Epoche nahe zu kommen. Es blieb allerdings beim allzu satten, volltönenden Versuch, fast wie historisch informiert zu klingen.
Während dieses Amuse-Geule-Auftakts lag eine Frau wie schlafend auf der Bühne, praktisch tarnbeiger Mantel, praktische Handtasche und – so sah es zumindest aus Reihe zehn aus – die Preisschilder noch am Anzug, der entschlossene Reisefeinheit signalisieren sollte. In B.A. Zimmermanns „Musique pour le soupers du Roi Ubu“ hat Marthaler die Schauspielerin Olivia Grigolli – feste Größe in seinem Mitwirkenden-Bestand – hineinverfremdet. Das Orchester kullerte fröhlich, virtuos und lautstark durch die Zettelkasten-Vertonung, für die Zimmermann sich kreuz und quer durch die Musikgeschichte zitiert hatte.
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Symphoniker Hamburg: Marthaler niedrig dosiert – zu viel und zu wenig
Grigolli rezitierte mittendrin neu hineinkombinierte Texte über das Fremdeln, das Abfahren, das Reisen und das Ankommen und ließ auch den Zerfall Europas nicht unerwähnt. Ansonsten wieselte sie durchs Tutti, ließ sich auf Stadtplänen zeigen, wohin sie sich gerade imaginär verlaufen hatte oder tanzte Walzer mit Cambreling, bevor sie sich wieder hinlegte. Marthaler eben, niedrig dosiert – doch auch zu viel, um es zu ignorieren, und zu wenig, um begeistert zu sein.
Kann man Strawinskys „Sacre“ in der Laeiszhalle aufführen? Theoretisch ja, praktisch sollte – und kann – man es sich inzwischen zweimal überlegen, wenn man diesen buchstäblichen Kracher der frühen Moderne auch in der Elbphilharmonie von der Kette lassen kann. Dort also, wo die Akustik nicht überstrapaziert wird. Seit 15 Jahren, betonte das Programmheft, hätten die Symphoniker das Stück nicht mehr gespielt. Das hörte man. Rhythmen wurden durchgezählt, nicht gefühlt. Was man viel zu wenig klar hörte, war das Unbändige, Wilde, Archaische und Animalische dieses Meisterwerks.
Das Konzert wird am Dienstag, 20 Uhr, im Großen Saal der Elbphilharmonie wiederholt.