Hamburg. Matt Berninger durchlebte eine dunkle Phase. Jetzt erscheint das neue Album von The National. Was der Stadtpark damit zu tun hat.
„The Alcott“ ist tatsächlich auch ein guter Song; man kann da aufatmen. Taylor Swift ist also nicht nur als bloße VIP-Aufhübschung beim neuen Album von The National dabei. Ein getragenes Klavier, Streicher, Matt Berningers Signature-Bariton, dann setzt die große Taylor Swift ein: „It’s the last thing I wanted/It’s the first thing I do“. Ein schwelgerisches Liebeslied.
Ein wenig melodramatisch. Aber so sind die neuen Songs von The National, es ist ja auch die Zeit dafür. Wir machen alle viel mit, Kriege, Viren, Menschen, die nicht klüger werden. Da kann man sich auch mal den Gefühlswallungen ergeben. Berninger zum Beispiel war in einer deftigen künstlerischen Krise. Mehr als ein Jahr lang hatte er eine Schreibblockade: Sie muss ihm, verbunden mit psychischen Problemen, wie ein Monster vorgekommen sein. Auch deshalb erscheint „First Two Pages of Frankenstein“ nun reichlich vier Jahre nach dem Vorgängerwerk „I’m Easy To Find“.
The National: Erstes neues Album nach vier Jahren
So lange musste man noch nie auf ein neues Album der Indierockband aus New York warten, die in Hamburg gerne zu Gast ist. In der Elbphilharmonie, im Stadtpark – wenn engagierter Ami-Rock und überall, aber besonders auch in Deutschland anschlussfähiger Weltenschmerz zusammentreffen, versammeln sich die Leute gern.
Beim letzten Mal auf der Freilichtbühne war’s übrigens nicht so doll. Auch und gerade Live-Spezialisten haben schlechtere Tage. Wie man nun im Begleittext zum neuen, wirklich gelungenen Album erfährt, ist die Aufnahme der ersten Single, das stimmungsvolle, leichtfüßige „Tropic Morning News“, auch im Stadtpark entstanden.
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Seit dem unterschätzten Album „Sleep Well Beast“, erschienen 2017, hat das kühl beigemischte Gepluckere und Elektro-Zirpen, haben PC-generierte Sounds ihren Platz in den ursprünglich so schweißtriefenden Kompositionen. Fakedrums sind übrigens eine komplizierte Sache, wenn man über einen Wahnsinnsschlagzeuger wie Bryan Devendorf verfügt. Aber was soll’s, er trommelt ja trotzdem noch genug.
Matt Berningers Depression ging dem Album voraus
Die Berninger-Brüterei über dem eigenen, zeitweiligen Versagen – in Interviews erwähnt er die Depression, die mit jenem einherging – ist mehrfach Thema der Platte. Dass er bei „The Mind Is Not Your Friend“ und „This Isn’t Helping“ jeweils die Hilfe von Phoebe Bridgers (die zuletzt auch bei The 1975 mitsang und mitspielte – in einem Videoclip der Band) in Anspruch nahm, veredelt fraglos die aber auch sonst hübschen Stücke.
Lyrisch ist Berninger weiter auf der Höhe. Gerade wenn er von der Dunkelheit singt. Mit Neid blickt er auf die, die fröhlicher sind: „I cannot believe what you get away with/You find beauty in anything/Whenever you look down into a sewer/You see a diamond ring“.
„First Two Pages of Frankenstein“: traumverhangenes Balladen-Programm
Die Arrangements sind übrigens insgesamt eher dem Licht verpflichtet. Was den The-National-Songs so noch nicht da gewesene Reibungsgewinne verschafft. Es gibt Uptempostücke („Grease In Your Hair“) auf diesem Album; insgesamt dominiert aber das perfekt produzierte, traumverhangene Balladen-Programm.
„First Two Pages of Frankenstein“ ist das bislang wahrscheinlich gemächlichste Album von The National. Das macht wirklich gar nichts, im Gegenteil. Als Melancholie-Lieferant taugt die Band besser denn je. Und wer ein Stück namens „New Order T-Shirt“ im Portfolio hat, ist eh der Popchampion des Tages.